Christliche Mystik, die Geburt Christi

             (Auszug aus Franz Hartmanns Lotusblüten)

 
       

 

Tief im Heiligtum der Seele, im Stillen Bethlehem (Im Materiellen) schlummert der Funke der göttlichen Liebe, und wird in dem reinen Gemüte zum Lichte der Erkenntnis geboren. Der Nährvater des göttlichen Kindes ist der Verstand, welcher das Haus in Ordnung hält und dem Bösen den Zutritt verweigert.

Die Wiege steht im Stall, umgeben von tierischen Elementen, Begierden und Leidenschaften; da steht der Eigensinn als „Esel" und die Nichterkenntnis als „Ochse" symbolisiert; aber da ist auch die Mutter, die himmlische Natur, als „Jungfrau Maria" welche das Kind beschützt und ernährt. In seiner Kindheit wird die Stimme des Kindes, die Stimme der Stille, nur durch die Empfindung und das Gewissen vernommen; aber schon im zwölften Jahr tritt er als Intuition lehrend auf und verblüfft durch seine Weisheit die logischen Argumenten und den Scharfsinn des Intellektes, der keine wahre Erkenntnis besitzt. Durch alle Regionen des Empfindens und Denkens nimmt der Erlöser seinen Weg, Wunder wirkend. Ohne zu sinken wandelt er auf dem sturmbewegten Meere des Lebens und gebietet den Wogen Ruhe.

Durch die Kraft der Selbstbeherrschung heilt er die Krankheiten der Seele und des Körpers; er bringt die geistig Blinden zur Erkenntnis der Wahrheit, macht, dass die geistig Tauben die Stimme des Gewissens wieder vernehmen; ja, er weckt sogar die welche schon geistig tot zu sein schienen, wieder zum geistigen Leben auf. Von den Theologen und Anbetern äusserlicher Götter verfolgt und verraten, wird er vor den Richterstuhl der Vernunft geführt; aber „Pilatus" kann, da er nicht selbst die Wahrheit ist, die Wahrheit nicht erkennen, und frägt vergebens nach Beweisen ohne zu begreifen, dass es für das Dasein der Wahrheit keinen besseren Beweis gibt als die Offenbarung Ihrer selbst.

Weil aber die Vernunft ohne Erleuchtung die Wahrheit nicht erkennt, so bleibt der Mensch an dieses irdische Dasein gefesselt, dessen Symbol das Kreuz ist, wobei der senkrechte Balken das Herab und- Hinaufsteigen des Geistes, der horizontale das Reich des Materiellen bedeutet. Der Mensch muss selbst sein Kreuz (Karma) tragen; aber „Josef von Arimathia", d.h. das Vertrauen, die Hoffnung hilft ihm dabei.

Doch endet das Leiden des Menschen erst dann, wenn er das grosse Werk der Aufopferung des Selbstwahnes vollbracht hat. Dann stirbt der Mensch den mystischen Tod, und an die Stelle der menschlichen Vernunft tritt die göttliche Weisheit. So erlöst sich Gott vom Menschentiere und erlöst damit auch den mit ihm vereinigten Menschen selbst. Der Tod der Nichterkenntnis ist die Auferstehung der Erkenntnis, so wie das Verschwinden der Dunkelheit die Geburt des Tages ist.

 

 Wohlergehen, Friede und Gottes Segen.