Das Schlangenfeuer Kundalini
 
(Ein Wettlauf am Himmel und dessen Spiegelung im Menschen)
  von Dr. Friedrich Schwab   
  Aus der Zeitschrift Merlin Nr. 2, 1947

 O Menschenherz, was ist dein Glück?
Ein rätselhaft geborner
Und, kaum gegrüsst, verlorner
Unwiederholter Augenblick.
                                                        (Lenau)

 
     

                      
                  


Was wurde nicht schon alles gedichtet und geschrieben über unseren Mond, jenen Gesellen am Himmel, der es so eilig hat, der Sonne nachläuft, sie überholt, sie dann von deren anderen Seite aufs neue suchen und - nicht finden muss. Ein Wettlauf findet am Himmel statt, in Märchen und Legenden aller Völker geschildert und mannigfach dargestellt: Hase und Igel verabredeten einen Wettlauf. Der schnelle Hase war sich schon von vornherein seines Sieges gewiss. Aber jedesmal, wenn er den Acker umlaufen hatte, sah er den Igel wieder vor sich der ihm spöttisch zurief:" Ich bin bereits hier." Der stachelige Igel bedeutet die Sonne, die ihren Lauf gleichmässig weiterführt, der Hase ist der Mond, der die Sonne nicht findet, wenn er rund herumgelaufen ist; sie ist inzwischen vorwärts gegangen, ist nicht mehr am ursprünglichen Platz.

Der Neumond mutet uns nämlich wie eine Blendung des Mondes an, wie ein Auslöschen oder eine Verflüchtigung seiner Wesenheit, als ob er da nicht merke, dass er bereits an der Sonne verbeiläuft.
Solche Märchen lehren uns in ihrer Beziehung zum Lebendigen nicht nur astronomisches, sondern auch Kultisches. Wir wissen: Geburt, Wachstum, Fruchtbarkeit, Sterben und neugeborenwerden stehen unter dem Einfluss von Sonne und Mond. Der Mond, der die mächtige Wirkung  von Ebbe und Flut erzeugt, der auf dem Äquator ein Heben und Senken der Erdkruste bewirkt, wirkt auch auf das keimende Leben ein; Brüte- und Brunstzeiten hängen mit seinen Perioden zusammen und alles ist wiederum zum Teil abhängig von der Jahreszeit, (Sonne). Dem Sonnen-Mond Verhältnis entspricht eine Jagd um das Leben, um die Zeugung.
Beim Verschwinden des Mondes (Neumond) sind gewisse Keim- und Zeugungsprozesse in der Natur herabgemindert, bei zunehmendem Monde steigern sie sich mehr bis zur Vollmondzeit, um bei abnehmendem Monde wieder schwächer zu werden. Dem Neumond entspricht eine Involution, dem Vollmond eine Evolution. Zum Überfluss sei hier noch das Palolo-Phänomen erwähnt (vgl. mein Buch "Sternenmächte und Mensch", 2. Aufl. S.30). Ein Wurm der Südsee stösst einen Tag vor Neumond seine hinteren Leibesteile ab, die dann an der Oberfläche des Meeres dem Prozess der Vermehrung dienen. Also ein Gewisses Sterben in der Neumondszeit, das aber dann wieder zu neuem Leben führt. Man erinnert sich dabei  unwillkürlich an die Ovulation beim Menschen, die alle 28 Tage (=einem Mondumlauf) stattfindet. Dadurch wird die Menstruation erzeugt, wonach dann auch die Befruchtung am leichtesten stattfinden kann. Also ebenfalls ein Mondzyklus, nur hat sich beim Menschen diese Epoche vom wirklichen Mondlauf emanzipiert, sie läuft selbständig weiter, ist aber nichtsdestoweniger noch vorhanden.
Viele Frauen haben vor Beginn der Menstruation jedesmal eine Art Todesahnen, es stirbt etwas in ihnen - oder sie erleben in ihrer Seele etwas wie einen Tod. Im Volksglauben wird ebenfalls alles, was spriessen, wachsen, sich vermehren soll, in die Zeit des zunehmenden Mondes. Der zunehmende Mond bewirkt tatsächlich in allen organischen Säften ein Anschwellen, ein Vermehren, das beim Vollmond zum Höhepunkt gelangt. Sekrete und Ausschwitzungen fliessen stärker, neigen gleichsam zum Überlaufen; auch seelische Regungen und Gefühlsaffekte neigen zu deutlicherem Ausdruck bis Überschwenglichkeit.
Das Verhältnis Sonne-Mond wirkt also auch auf das Seelen- und Gefühlsleben des Menschen. Sensitive können bei Vollmond nicht schlafen, haben Erregungszustände, andere haben bei Neumond Angstzustände. Aus Horoskopstudien wissen wir, welch starken Einfluss Vollmond und Neumond im Geburtshoroskop auf das ganze Leben ausüben. Wir wissen dass es bestimmte Sonne-Mond-Krankheiten gibt sowie typische Sonnen-Mond-Schicksale. Die moderne Physiologie (vergl.W. Hellpach,"Geopsyche" Leipzig 1939) neigt immer mehr dazu, Spannungen, Sehnsüchte, Komplexe, Phantasiebegabung, Sensitivität und vieles andere vom Sonne-Mond-Verhältnis abhängig zu machen.
Die Sonne im Horoskop gibt den Geist, der Mond aber Seelen- Empfindungsleben; die Sonne bringt die Lebenskraft, der Mond den Rhythmus der Lebensenergien (Geburt, Wachstum, Tod und Neugeburt). So wird das Konstante durch das Inkonstante, Rhythmische ständig verlassen und aufgegeben, aber auch ununterbrochen wieder zu erreichen gesucht. Der Wettlauf am Himmel hat in der Tat seine Parallele auf Erden: ein Wettlauf im Kreise des Lebendigen findet hier unten statt. Alle Wesen stehen unter dem Einfluss dieser Jagd, deren Ende immer wieder der Anfang ist. Sie führt durch zwei Tore, Geburt und Tod, zu Tod und Geburt. Alles irdische Streben und Hoffen endet mit einem Finden, dass immer wieder Ausgangspunkt wiederholten Suchens und Hoffens sein kann - und so fort. Diese grosse Weltentatsache war es, die die Philosophen aller Zeitalter zum tiefsten Nachdenken veranlasst hat. Könnten Sonne und Mond nicht zu einer höheren
Verbindung kommen? Könnte der Hase den Igel nicht einmal wirklich erreichen? Und was geschähe, dann auf Erden? Könnte nicht einmal ein Wesen der endlichen Welt den toten Punkt im Bewusstsein überdauern?
Das himmlische Wettrennen wurde nicht nur in Märchen beschrieben, auch in Kulte und Mysterien wurde es aufgenommen. Und himmlische Wettrennen wurden nicht nur in Märchen beschrieben, auch in Kulte und Mysterien wurde es aufgenommen. Und einen viel tieferen Sinn hatte es dort, nicht nur einen biologischen, nicht nur einen naturhaften. Was im Naturgeschehen nicht verwirklicht werden kann, das sollte im Menschengeiste vollendet werden. Wo die Natur die Weiterbildung abbricht, da sollte der Menschengeist die Arbeit aufgreifen und mit Hilfe der "Götter" das "Werk" zu Ende führen. Was sonst Geburt und Tod unterworfen war, das sollte durch eine Neugeburt zur Unsterblichkeit auferweckt werden; Sonne und Mond, die in den Organismen ihren Wettlauf ewig und mannigfach wiederholen, sollen im ätherischen Leibe des Menschen zur Vereinigung, zu "Unio mystica" gebracht werden. Und ein Phönix, ein unsterbliches Wesen sollte daraus erstehen. Das war die Überwindung der blinden Natur.
Sollte diese Auferstehung nicht nur eine ideelle, ein Hoffen auf ein Jenseits bleiben, sondern eine lebendige werden, so war dazu noch eine dritte Kraft nötig, nämlich die Erdkraft, die Form und Stoff beherrschende Energie.
Ein Mensch der diesen Weg gegangen war, hatte nicht nur Sonne und Mond bewusst vereint, sondern er beherrschte auch die Unterweltsreiche, sein geistiges Auge sah die Sonne um Mitternacht.
Die Erdkraft ist bekannt unter den Namen Schlangenfeuer, weil sie den Körper in Schlangenwindung durchzieht; sie wird auch Wurzelkraft, im Indischen Kundalini genannt. Durch die unteren Extremitäten und am Ende der Wirbelsäule dringt diese Kraft ein, sie ruht dort in gewissen Zentren, ein kleiner Teil geht zu den Chakras (vergl. meinen Aufsatz" Die Chakras", Merlin, Heft 1), von dort werden die Organe des Leibes belebt (magnetisch-elektrische Energie), während ein entgegengesetzter Strom von Lebenskraft anderer und feinerer Art durch die Chakras von oben her in den Körper einströmt, der aus der Sonne stammt.
Das Schlangenfeuer ist aktive Feuerkraft und Träger einer ganz enormen Wunsch-Energie. In unbearbeitetem Zustand ist diese Kraft auch Träger von Dämonischem. Es wäre für den Menschen furchtbar, wenn sich in seinem gegenwärtigen Durchschnittsstadium  mangelnder Läuterung und Selbstbeherrschung diese Kraft völlig frei manifestieren würde. Eine Welt von Dämonen würde in seiner Seele aufsteigen, seine Leidenschaften würden wie aus einem Vulkan ausbrechen und seinen Geist verwirren: die Organe seines Leibes würden ihr normales wechselseitiges Ineinandergreifen verlieren, der Mensch fände sich in einem Labyrinth, verfolgt von Ungeheuern.
Dieses Schlangenfeuer ist also zunächst Feind der Sonne, die die Ordnung im Geist, Seele und Leib aufrechtzuerhalten hat-es hat die Tendenz, das Gefüge der derzeitigen Menschennatur, das nur durch einen Kompromiss zusammengehalten wird, auseinanderzusprengen. Das Dasein würde rasch aufgezehrt werden. Glücklicherweise treten da verschiedene Faktoren hindernd ein. Seit Jahrtausenden ist der Mensch gegen einen zu grossen Zustrom dieser Kraft abgeriegelt. In dem  Masse in dem das Vorderhirndenken sich ausgebildet hat, haben sich die Zugänge für den Strom dieser Feuerkraft immer mehr verstopft.  Die Kundalinischlange "schläft" wie man sich auszudrücken pflegt, am Grunde der Wirbelsäule und lässt nur jenen Bruchteil Energie durch, den der Organismus für das Leben, die Funktion der Organe und die Fortpflanzung benötigt. Der Mensch erlangt dadurch noch Bewegungsenergie, Bodenständigkeit, Ernährungswillen. Morgens, und abends beim Übergang vom Wachen zum Schlafen kommt der Mensch mit seinem Bewusstsein oft an die Pforte näher heran, die zu den Unterweltsmächten führt ("Hüter der Schwelle") und kann etwas von dieser Welt spüren. Im Allgemeinen geht bei den Menschen dieses Erleben ohne bewusste Anteilnahme vorüber. Der Mensch hat aber noch einen anderen Schutz, das sind die Mondkräfte, die eine Vermittlerrolle zwischen Sonne und Erde, zwischen dem reinen Geist des Menschen und dem Erden-Ich einnehmen. Der Mond bricht den Egoismus in seiner Erdenstarre, indem er die Kundalinikraft durch die Erotik und damit auch durch die Mutterschaft mit der Liebeskraft verbindet und schliesslich durch das reine Gemüt heiligt. Es dient dieses Faktum dereinst dem Menschen zur Rettung, damit er nicht noch tiefer sänke, als er bereits gesunken war. Und es ist auch heute noch für zahlreiche Menschen die einzig mögliche Rettung, um aus dem erstarrenmachenden Egoismus herauszukommen. Was sonst Tod wäre, absoluter Tod, physischer und geistiger Tod, wird durch diese Rhythmisierung des Mondes verhindert. Der Mond in seiner Vermittlerrolle sitzt in der Nähe des Wurzel-Charkra, er führt das Schlangenfeuer nach oben und wirkt für dieses wie ein Filter.
Wie den Astrologen bekannt ist, regiert der Mond die Bauchganglien und trägt die von dort her ausgelösten Traumbilder und Phantasien, der Phänomene des Unterbewusstseins, abgeschwächt zum Gehirn. Dies geschieht aber mit einer Art Schutzvorrichtung, so dass nur ein Teil hinaufgelangt und das Gehirn in seinem Tagesbewusstsein sowie in den von ihm her regulierten Aufgaben des Lebens nicht alteriert wird. Ist das Gemüt eines Esoterikers durch langdauernde Schulung und Übung vollständig beherrscht, geklärt und vertieft wie ein stiller spiegelglatter See, dann können auch die gewaltigen Energien des Schlangenfeuers in ihrer Fülle nach oben strömen. Die Mondkräfte (Madonnenkräfte) führen sie durch alle Charkras nach oben.
   
Nun sind wir in unserer Betrachtung an einen wichtigen Punkt angelangt. Der Mensch ist nicht nur Symbol von Sonne, Mond und Erde, sondern er ist direkt deren Abbild. Ein Spiegel von Dingen, die im Kosmos geschehen ist unser Organismus: nicht nur seelisch-geistig, sondern bis ins Physische hinein. Die Erde bewegt sich mit ihrem Mond um die Sonne, wodurch die Mondbahn zu einer Schlangenwindung wird
(Abb. 1)  Um die Erde bewegt sich der Mond zwar in Kreisform, aber dass die Erde zugleich selbst weiterrückt so ist die eigentliche Mondbahn eine in die Länge gestreckte Kurve, gegen die die Bahn der Erde wie eine Achse erscheint. Die Erde ist im Menschen vertreten durch die Wirbelsäule mit dem Rückenmark. In ihr liegt der Tierkreis (in gewissen Teilpunkten) den ja die Erde durchläuft. Die Mondbewegung zeigt sich in dem paarig angelegten, sich nach oben windenden Grenzstrang des sympathischen Nervensystems. Seine beiden Stränge haben Kreuzungspunkte im Rückenmark, wodurch sie in ihrem rechts- und linksseitigen Austausch zu einer doppelten Schlangenwindung werden. Die paarige Anordnung hängt damit zusammen, dass jeder Mensch in der Anlage zweigeschlechtlich ist; man kann die linke Seite die männliche, die rechte die weibliche nennen. Nun bewegt sich die Erde mit ihrem Mond um  
den Fixstern Sonne. Ihre ganzen Bewegungen sind in der Sonne fixieret.  Und diese Sonne ist bei uns durch das Gehirn mit den Sinnesorganen vertreten. Nachts, wenn wir der Sonne abgewendet sind, verlässt unser Bewusstsein seinen Sonnensitz und beschränkt sich auf *subcorticale (d.h. unterhalb der Hirnrinde gelegene) Zentren und Bauchganglien (Mondsphäre -Traumbewusstsein).  Dies umso stärker, je mehr der Mond die Nächte beherrscht (Vollmond) . Steht jedoch der Mond schwach, und die Sonne ebenfalls (Neumondnächte), dann überwiegt der Erdeinfluss, der Mensch gelangt in die Nähe der Unterweltsmächte (Angst, Furcht vor Dämonen). Geht der Mensch durch das Sommerhalbjahr, dann erlebt das Bewusstsein die Funktion des oberen Teils der Wirbelsäule (obere Tierkreiszeichen). Im Winterhalbjahr rückt es mehr in die Zone des Geheimnisvollen, des weitab vom Tagwachen Liegenden (unteren Teil der Wirbelsäule, unterer Tierkreiszeichen - besonders in der Adventszeit).
Die Sonne an sich hat aber auch eine eigene Bewegung im Kosmos, was bewirkt, dass sich der Mensch über sein Gehirn hinaus entwickeln kann.  Die hohen Eingeweihten alten Zeiten haben dies alles sehr genau gewusst, sie haben den
Menschen in seiner Welt- und Erdenmission erkannt und entsprechend dargestellt:


Oben eine geflügelte Sonne, daran anschliessend einen Stab, um den sich zwei Schlangen von unten nach oben winden.   Dies ist nicht nur eine schematische Zeichnung; der Mensch, dem solches alles selbst bewusst geworden ist, erlebt fühlt und schaut in sich die Gebilde tatsächlich (Abbildung 2 und 3)

In den Mysterien hat man nicht nur sehr genau gewusst, sondern man war bestrebt, aus einem gewöhnlichen Menschen einen kosmischen Menschen zu machen. Die Mysterien wollte Unsterbliche schaffen. Sonne und Mond sollten vereint, die Schlangenkraft sollte erlöst und dem Menschen dienstbar gemacht werden. Dies war auch das Ziel aller Religionen, sie wollten nicht nur f r o m m gewordene, sondern n e u gewordene Menschen schaffen. Ein solcher neu gewordene Mensch sollte aus der Ehe zwischen Sonne und Mond entstehen - wie Hermes Trismegistos sagt: Die Sonne sei sein Vater, der Mond seine Mutter, die Erde haben ihn ernährt usw. In den Mysterienstätten wurde gelernt, die Kundalinikraft - nachdem die Beherrschung und Reinigung der Gefühle vorangegangen war - nach oben zu tragen, zu den geistigen Zentren im Gehirn,  ein Vorgang bei dem die Naturmythen von Sonne, Mond und Erde gleichsam durchbrochen wurden.  Dieses heraufziehen geschah durch den geistigen Atem. Da Christentum kennt die Wassertaufe: diese findet statt, wenn das Gemüt (Mond) geläutert ist.  Das Christentum kennt aber auch eine Feuertaufe: sie ereignet sich, wenn der ganze Mensch mit seinem Willen aus allen Kräften (Erde) sich Gott (dem Christus) zu einen sucht. Leider wird in den abendländischen Kirchen sehr wenig von diesen "Kräften" gesagt. Die gottsuchenden Menschen werden nicht darüber belehrt, was sie mit ihren Kräften anfangen sollen, deshalb kommen sie oft auf den Einfall, man müsse das Schöpferische im Menschen völlig ignorieren, um gottwohltätig oder heilig zu werden. Aus dem ignorieren ergeben sich zumeist Perversitäten. Damit, dass man sagt, die Sexualität komme vom Teufel, ist es nicht getan; ein Heiliger ist ein Mensch, der die Zeugungskräfte nicht ignoriert, sondern sie zum Göttlichen zurückgeführt hat. Die Schlange löst sich in heilige Feuerkraft. Es gibt kein treffenderes und schöneres Bild von dieser Zurückführung als ältere Darstellungen der Madonna, sonnenstrahlend auf der Mondsichel stehend, unten jedoch eine Schlange, die sich hochwindet. Die Erd- und Mondkräfte sind der sonnenstrahlenden grossen Liebe aufgegangen und geheiligt (Abb 4).

Dies ist allerdings das Allerschwierigste, was ein Mensch auf Erden erreichen kann. In allen Kulturen ist aber deutlich diese Zurückführung dargestellt, wenn von Sonne und Mond und deren zugeordneten Göttergestalten, Helden und Heilanden die Rede ist. Kulte waren notwendig und angebracht, weil der Mensch zunächst nur durch das Symbol und die symbolische Handlung das ihm noch Unbekannte in seinem Wesen anrühren kann. Der Isis-Osiris  zeigt diesen beim Menschen zu erstrebenden Vorgang in schöner bildreicher Darstellung.  Osiris, der Sonnengott, ist Herrscher über die beiden Länder Ober- und Unter-Ägypten ("oben" und "unten"). Der finstere Seth (Erdgeist) trachtet ihm nach dem Leben.  Aber Isis, die Mondgöttin, des Osiris Gemahlin, der Seth nichts anhaben kann, stellt sich schützen vor Osiris. In dieser schützenden Stellung liege ein erhabenes grosses Geheimnis. "Isis war sein Schutz und wehrte den Feind ab", heisst es (Abb 5). Seth gelingt es jedoch durch eine List, den Osiris zu erreichen, er schlägt ihn in vierzehn Stücke. Isis sucht nun Ihren Gatten, sie wandert in aller Welt umher und sammelt die vierzehn Leibesteile (die Hälfte der 28 Mondstationen), setzt sie zusammen und lässt sie verbrennen. Nun wird Osiris in der geistigen Welt zum Herrscher über die Lebendigen und Toten. An seiner Leiche jedoch empfängt Isis in der Gestalt eines Vogels die Befruchtung und gebiert den Horus (den Auferstehungsmenschen).
Für das Verständnis dieser Mythe ist das Suchen der Isis bedeutsam. Wenn die gelehrten in dieser Geschichte nichts anderes sehen als einen simplen astronomischen Vorgang, dann ist das ihrer Unkenntnis des okkulten Symbolerlebens
zuzuschreiben. In den alten Zeiten gab es keine Fachwissenschaft um ihrer selbst willen - hier Astronomie, dort Mathematik, dort Medizin, dort Religion. Alles war nur Interpretation des Religiösen. Eine astronomische Lehre konnte z.B. zugleich eine religiöse sein.
Seth ist der Geist der Erde. Er hat die Göttlichkeit des ursprünglichen Menschen (Osiris) verschleiert. Aber Isis, die Mütterlichkeit, hat sich schützend vor Osiris gestellt. Sie konnte zwar das eintreten des Todes nicht mehr verhindern, aber sie konnte den Rhythmus einschalten wodurch die Erdkraft allmählich überwunden, nach oben gezwungen und der ursprüngliche göttliche Zustand wieder erreicht wird. Im öffentlichen Gottesdienst des alten Ägypten nahm die Gemeinde am Suchen nach dem ermordeten Osiris teil. Symbolisch konnte das erlebt werden, was der Esoteriker in seinem Werdegang bis zur Vollendung durchgemacht hat.  
In den griechischen Mysterienstätten wurden Sonne und Mond als eine strahlende und mattleuchtende Scheibe aufsteigend vorgeführt. Der Andächtige sollte sich dabei in die Probleme Kosmisch-Männlich und Kosmisch-Weiblich vertiefen. Oder dasselbe wurde mittels zweier Standbilder vorgeführt. In Indien gab es und gibt es noch zahleiche solcher Stätten.
Die Mohammedaner haben in ihrer alljährlichen Mekka-Pilgerfahrt noch heute einen sehr lehrreichen und eindrucksvollen Sonne-Mond-Kult. Nachdem die Pilger siebenmal um die Kaaba herumgeschritten sind, begeben sie sich ausserhalb der Stadt auf ein Terrain mit zwei Hügeln. Die Legende sagt:  Auf dem einen Hügel stand Eva (Mond) auf dem anderen Adam (Sonne). Beide suchten sich und eilten suchend umher. Der Pilger muss dies zu ihrem Gedächtnis wiederholen, indem er eine Zeitlang zwischen den beiden Hügeln hin- und herläuft (Wettlauf am Himmel, Wettlauf in unserer Seele).
H. Kazemzadeh-Iranschär hat in der "Moslemischen Revue" (1936 Heft 2) diese Mekka Pilgerfahrt eingehend geschildert.

Vom uralten hochstehenden Volk der Mayas in Mittelamerika ist uns ein Kult überliefert, der sich ähnlicherweise aufbaut.
Bei den alljährlichen mit der Mondstellung zusammenhängenden Festen wurden sieben Personen zu einem kultischen Spiel ausgewählt. Jeder musste versuchen mit dem Rücken (Kundalini) einen Ball (Mond) hochzustossen, bis er oben durch einen an einer hohen Mauer angebrachten Ring (Sonne) hindurchflog. Dies erforderte ein emsiges Hin- und Herrennen der beteiligten und war äusserst schwierig.
Solche Dinge nur als Sexualkult aufzufassen ist das Signum unserer oberflächlichen Zeit. Für den Astronomen bedeutet alles immer nur einen "Kalender" und für den Psychologen ist alles "sexuell". Ganz ins Volkstümliche übergegangen ist der Kult des Osterfestes, der aus der Urzeit stammt. Er findet statt in der Tag- und Nachtgleiche, nachdem der Mond noch einmal voll gewesen ist; dieses Fest zeigt deutlich die Sonne-Mond Beziehung. Ausserdem findet es in einer Jahreszeit statt, indem die Wachstumskräfte wieder erwachen. Der Osterhase deutet auf das Spiel dieser Wachstumskräfte; wegen seiner Schnelligkeit und Fruchtbarkeit ist er zu einem geeigneten Symbol des Mondes geworden. Das Suchen der Kinder nach den Ostereiern ist das Überbleibsel dieses Kultes, das deutlich den Wettlauf um ein Geheimnis wiedergibt. Auch das eifrige, mit Gefahren verknüpfte   
Sammeln von "Osterwasser", wobei man nachts oder früh aufbrechen, und suchen muss, nicht gesehen werden und nicht reden darf, bezieht sich - im Zusammenhang mit dem Tau der Alchymisten - auf das Mondgeheimnis.
Immer wieder finden wir in solchen Kulten übereinstimmend das Suchen eines Zieles, dabei ein vergebliches Hin- und Hergehen. Immer wieder ist es erschwert oder unermesslich schwierig, das Gesuchte zu erreichen. In manchen Ländern - oder auch in Legenden - spielt sich das Suchen in einem Labyrinth ab, dessen betreten mit Lebensgefahr verbunden ist. Die Einweihungsstätten in Ägypten waren Labyrinthe (in unterirdischen Gebäuden oder Pyramiden). In der griechischen Legende sucht Theoseus die schöne Tochter des Minos (Ariadne). Im Labyrinth auf  Kreta hauste ein Ungeheuer namens Minotaurus (Hüter der Schwelle). Sieben der schönsten Jünglinge und sieben Jungfrauen aus edelstem Geblüt mussten die Stadt Athen jährlich dem Ungeheuer als Opfer darbringen. Theseus bot   

sich freiwillig als Opfer an, er hatte die geheime Absicht, den Minotaurus zu töten. Das Orakel sagte ihm aber, dies würde ihm nur dann gelingen, wenn er sich von der Liebe führen lassen würde. Am Labyrinth angelangt, entflammte er in Liebe zur Ariadne, die ihm den Knäuel Faden zuwarf, wodurch er die Kraft bekam, den Blick des Minotaurus auszuhalten, das Ungeheuer dann selbst zu töten und wieder den Ausgang zu finden. Interessant ist dann noch der Zusatz, dass er Ariadne nicht heiratete, sondern dass letztere in den Himmel versetzt wurde. Ferner habe dann Theseus einen Tanz geschaffen, bei welchen die Krümmungen des Labyrinths nachgeahmt wurden (dies hat eine geheimnisvolle kultische Bedeutung). Die Labyrinthe waren Einweihungsstätten oder später Stätten der Hochzucht. Die "sieben Jünglinge und Jungfrauen" hatten Proben zu bestehen. - Die Labyrinthe der Germanen sind bekannt und von Gorsleben ("Hochzeit der Menschheit")  ausführlich beschrieben. An heiligen Stätten standen Steine in weitem Umkreise, und zwar so angeordnet, dass man, wenn man hineinging, nicht leicht den Ausgang wiederfinden konnte. Gesichtsforscher halten diese Steine wieder für weiter nichts als astronomische Orientierungssteine.  Das waren sie ausserdem, aber sie waren noch viel mehr. Auch hier lautet der Bericht wie aus Griechenland: Jünglinge und Jungfrauen aus edelstem Geschlecht seien für die Welt auf längere Zeit in diesen Labyrinthen verschwunden.  Bei Gorsleben ist aufgrund von Steinzeichnungen der Hinweis auf Hochzucht der Rasse durch kultische Handlungen zu finden. Es ist jedoch zu beachten, dass die Tonzeichnungen auf alten Krügen Labyrinthe darstellen, aus denen Helden mit Sonnenscheiben und Vogelgebilde herausreiten. Sonnenscheiben und Vogel waren in allen Kulten eine Symbol für eine hohe Initiation (z.B. bei den Ägyptern Horus als Vogel mit der Sonne). Besonders ausgewählte Menschen haben in solchen Stätten unter schwersten Prüfungen eine Umlagerung ihres ganzen Wesens erfahren. Es mag sein, dass die Labyrinthe in späteren Epochen Kulten dienten, die zugleich der Veredelung der Rasse gewidmet waren oder noch später gar entarteten. Man muss folgendes dabei bedenken: All die alten Kulteinrichtungen standen damals unter der Obhut der Priester. Und alle Probleme des Lebens standen unter religiösem Einfluss. So war auch das erotische Leben sakramental. Der Mensch zeugte weil die Götter zeugten. Es wird auch immer betont, dass nur Menschen edelsten Geblüts auserwählt wurden. Man dachte damals, wenn ein Mensch eine höhere Geistesstufe und Seelenadel erreichen will, so verträgt sich dies besser mit einer gesunden Sexualität als mit einer kranhaften Abstinenz und abgeschmacktem Büssertum. Das Sexualleben eines damaligen Menschen können wir heute gar nicht mehr begreifen. Eine Erotik wie wir sie heute kennen, abgelöst von der sonstigen Zielstrebung des Menschen gab es damals nicht. Es war sakramental aber nicht sakramental wie unser heutiges Eheleben, das sofort nach der Einsegnung wieder aus dem sakramentalen herausfällt (denn was nach der Hochzeit geschieht, geht die geistliche Fürsorge nichts mehr an). Gorsleben sagt:" Die Kirche hat alle Hochzucht  in eine Nichtzucht umgebogen und mit der leiblichen die geistige Hochzucht unterbunden, vernichtet." Man sollte sich klar sein, dass Sexualkräfte ihren Ursprung in göttlich-magischen Schaffenskräften (die Magie im Naturwerden) habe, welche durch das Sexuelle nur abgebogen sind, aber durch Heilung wieder zum Göttlich-Magischen umgebogen werden können. Für den Menschen von heute ist die Einbeziehung des Sexuellen ins Kultische einfach schamlos, unbegreiflich, weil das Sexuelle in seiner verdorbenen Phantasie nur mehr eine erbärmliche Rolle spielt. Auch in allen modernen schöngeistigen Plaudereien über Alchemie, Theosophie, Anthropsophie, Astrologie muss natürlich solches Thema prüde umgangen werden. (Aber ohne die schöpferisch-zeugenden Kräfte gibt es keinen Stein der Weisen!)
Im Gilgamensch-Epos verliert Engidu sofort seine Hellsichtigkeit, nachdem er durch die Reize einer Nixe verführt worden war. Nicht die Zeugung an sich führte den Herausfall des Menschen aus der Natursichtigkeit herbei (die Götter zeugten ja auch), sondern die Verstrickungen in Illusionen, denen der Mensch damit zum Opfer fiel, hat ihm die Erkenntnis und geistige Macht genommen. Die Erotik des Menschen kann auf dem verschiedensten Niveau stehen. Von der Erotik des niedrigen Menschen über die des bürgerlichen rechtsgläubigen Typ, der sich seiner "Fleischeslust" vor Gott schämt , bis zu Tristan und Isolde ist ein langer Weg. Aber auch auf dieser letzten, anscheinend höchsten Stufe geht der Weg noch im Kreise herum, er glaubt den anderen zu suchen und findet ihn doch nie. Aber auch da bleibt es ein Wettlauf mit unbekanntem Ziel. Es ist ja nicht das Erotische oder das Zeugende, das den Menschen im Labyrinth festhält, sondern seine Unkenntnis über das Ziel, das er eigentlich sucht (seine Verwirrung).  Es gibt noch ein höheres Suchen auf derselben Linie, das ist das Unsichtbare, die Gottesnatur (reine Liebe). Diese erreicht man nicht durch Durchdenken der abstrakten Gottesbegriffe, die die Philosophen in den letzten Jahrhunderten konstruiert haben, sondern durch die "chymische Hochzeit". Der Weg, den ein Mensch in stufenweisem Liebesstreben bis zu diesem Ziel gehen könnte, ist in Goethes "Faust" vorgezeichnet: Gretchen-Helena - Mater Gloriosa.
Man war in den echten antiken Mysterien nie darauf aus, den Menschen von der Erzeugung der Nachkommenschaft abzuhalten.  Man erstrebte neben dem fernen Ziel der Heiligung der Menschen, das erst in späteren Jahren zu erhoffen war, eine Veredelung der Rasse. Und es war gut, dass der Mensch höherer Geistesstufen Kinder zeugten. Das Erotische ist ja nicht das grosse Hindernis um die Gottseligkeit zu erreichen (siehe "Flita" von Mabel Collins), sondern Hochmut, Selbstsucht, Eitelkeit, Geiz, Unduldsamkeit, Klatschsucht, Heuchelei sind es. Diese Eigenschaften schliessen den Menschen von höherer Gemeinschaft aus.- Goethe versäumt nicht zu zeigen, dass die Erotik, selbst die Mittelmässige, nach oben führen kann,  weil in ihr schon von Anfang an, schon ein Funke reiner göttlichen Liebe steckt, der führend wirken kann. Dieser Weg ist sicherer als der der Askese. Die "chymische Hochzeit" (Vereinigung der Seele mit Gott) findet nicht ausserhalb über den Wolken statt, sondern im Menschen. Wenn der Logos von der Sonne (Christus) sich in den Leib hineinsenkt, vom Kopf durch die durch dieselben vierzehn Stationen, von denen der gewöhnliche Mensch  auf direkte Weise nichts merkt, herunter bis auf den Grund, und wenn anderseits aus diesem Grund die Feuerkraft mittels des geistigen Atems nach oben geführt wird und dieselben vierzehn Stationen, dann kommt der Mensch in jenes Verhältnis zum Göttlichen, das die Mystiker in Ermangelung eines besseren Ausdruckes wie das einer Braut zum Bräutigam bezeichnet haben. In der Sehnsucht, in dem Jagen und Rennen nach dem Glück, bei den meisten Menschen in Form von sexueller Erfüllung, steckt das Verlangen nach Unsterblichkeitserleben. Was sucht eigentlich der Mann bei der Frau? In Wirklichkeit das Unsichtbare.  Als Gutschein dafür erscheint zunächst die Erzeugung von Nachkommenschaft. Der Mensch will sich neu zeugen und zeugt das Kind. (Die Eltern betrachten eine Zeitlang ihr Kind auch als einen kleinen Herrgott.) Diese schöpferische Kraft wird, wenn dem Menschen seine unsterblichen Ideale zum Bewusstsein kommen, allmählich auf ein höheres Niveau gehoben.  Es wird aus ihr ein Extrakt gezogen, den die Alchymisten Quintessenz nannten. Die Sehnsüchte und Ideale, die ein Mensch haben kann, sind direkt verwoben und unlösbar verbunden mit seinem schöpferischen Wollen, das rhythmisch ist. Die Keimkräfte zusammen mit den Ernährungs- und Wachstumskräften, die jeder Mensch in seinem Organismus hat stehen nämlich nicht still, sie machen einen Weg und wirken auf diesem Weg auf Seele und Geist zurück.  Es ist auch hier ein Suchen und Jagen. Man kann in ihrem Rundgang ganz bestimmte, voneinander scharf abgegrenzte Stationen unterscheiden. Die daraus resultierenden unbewussten Eindrücke laufen durch alle Chakras von unten nach oben hindurch  und wieder herunter: traumhaft dunkel, die Seele, das Gehirn stimulierend. Daraus resultieren gefühls- und erkenntnismässige Einstellungen zur Umwelt, von denen der Mensch nicht weiss woher sie kommen. Dies bewirkt der Rhythmus von Sonne Mond und Erde. Man denke z.B. nur an die Schwangerschaft und die daraus folgende Laktation.  Das Seelenbild der Frau ändert sich bei diesem Hochsteigen der Kräfte vollständig. Das Sexualleben wird mütterlich. Dies ist aber nur ein Sonderfall. Alle Menschen stehen unter Rhythmus: Rhythmen des Tages (Erde), des Monats, (Mond), des Jahres (Sonne), ob diese Menschen nun hoch oder niedrig, heilig oder gewöhnlich sind. Innerhalb dieser Rhythmen gibt es progressive Epochen, in denen die Seele sich hineingezogen sieht in den Strudel von Äusserlichkeiten, ausgeliefert an die Dinge der Welt; dann wieder regressive Epochen, wo das Äussere für die Seele abstirbt und das Geistige spricht, zugleich auch das Schaffen von Innen heraus stärker auftritt. (Jeder Künstler kennt seine Zeiten der Ausschüttung schöpferischer Energie nach gewissen vorhergegangenen Entspannungen). So ist täglich, monatlich und im Jahreslauf je ein Herabsteigen und Wiederhinaufsteigen der Kräfte zu konstatieren. z.B. frühmorgens ist der Mensch einer geistigen Welt näher, die Frühzeit eignet sich zur Meditation. Mittags und Nachmittags stülpt sich die Seele mehr nach ausssen um, wird ins Materielle hereingedrückt. Des Abends kommen sie in die Sphäre der Kräfte, die unter der Erde sind und die bis zum anderen Morgen wieder nach oben geführt werden. Zum Vergleich wäre das Arbeiten eines Baggers mit seinen vielen Eimerchen nicht unangebracht, nur mit dem Unterschied, dass die Eimer nicht nur von unten etwas heraufholen, um es oben zu verwenden, sondern von oben etwas nach unten tragen, das dort eine Umwandlung bewirkt. Schon Goethe spricht von diesen Eimern, die Himmelskräfte auf- und niedertragen. Bis zu welchem Niveau? Das kommt auf das Streben des Menschen, auf seine Entwicklungsstufe an. Das Ideale wäre, dass der Strebende sich nach Ablauf eines jeden Zyklus um eine Stufe höher findet. Die zyklische Welle ist wie die bekannte Welle an der blauen Grotte, durch die allein das Schifflein in das Innere hineingelangen kann. Von einem gewissen Punkt an fühlt sich der Mensch erfasst von ganz eigenartigen Strömungen, die ihn dann zu einer Neugeburt führen. Aber im Allgemeinen verschlafen die Menschen ihre grossen Gelegenheiten im Leben:  Wie der Hase des Mondes, der im entscheidenden - den Moment, wo er die Sonne erreichen soll, von ihr geblendet wird, anstatt sie zu erleben. Herangekommen an einen Punkt wo nur noch eine Bewusstseinserhöhung nötig wäre um dem Leben einen neue Richtung zu geben, gleitet der Mensch ab auf niedrigeres Bewusstseinsniveau und begehrt Äusserlichkeiten, die gerade das Gegenteil sind, von dem was er suchte. Er erfährt im kritischen Moment, wo er das höchste erhaschen könnte, eine Art Auslöschung des wirklichen Zieles, und er sieht hinterher - oder er sieht es auch nicht -, dass er sich mit einem trivialen Ersatz begnügt hat. Wir kennen doch alle gewisse Menschen, die in einem wichtigen Augenblick wo sie etwas ganz besonderes hören und sehen sollen - z.B. bei einer "Parsifal"-Aufführung, wenn gerade der Gralskelch erglüht -, sich die Nase putzen müssen oder sich nach dem Nachbar umschauen. So sind die Menschen im Allgemeinen in Bezug auf höchstes geistiges Gut. Am Höhepunkt eines Zyklus versagen sie - und der Rundgang beginnt von neuem. Osiris stirbt jedesmal und Isis muss die Stücke wieder zusammenlesen.
Die Mysterienstätten haben früher bestimmte Zeiten im Jahre für die Einweihungen festgesetzt, die nach dem Stande von Sonne, Mond und Erde berechnet wurden. Da konnte der Mensch etwas ganz grosses in seiner Seele erleben oder - verschlafen. Tatsächlich geraten manche Menschen schon in Schlaf, wenn sie sich durch Gebet einmal sammeln wollen. Die heutigen Feste in den abendländischen Kirchen, bewegliche und unbewegliche, sind noch Reste solcher Systeme.

Ja das Wettrennen um das Glück! Alle möchten wenn auch unbewusst, das geistige Seelentor finden, das zur Herrlichkeit führt aber unter Zehntausenden ist kaum einer, der Mut und Reife hätte, in ein neues Land vorzustossen. Fast alle zerschellen an ihrer Lauheit. Ganz das Bild, das der Mediziner aus der kleinen und kleinsten Welt kennt, bei der Keimung, und das ganz zu dem vorliegenden Aufsatz vom Wettlauf passt: Unzählige Spermafäden, die merkwürdigerweise Schlangengestalt haben, steigen aufwärts und umschwärmen den wie eine strahlende Sonne anmutenden Eikörper. Aber alle zerschellen und nur einem ist es möglich - oder vielleicht auch nicht -, in das Innere dieser Sonne einzudringen um in ihr aufzugehen, in ihr unsterblich zu werden.
Nach all diesen Ernüchterungen durch unsere obigen Ausführungen muss allerdings auch betont werden, dass die Menschen, wenn sie auch Osiristöter sind, doch nach und nach weiterkommen, dass sie seine Leiden immer wieder mitmachen und ihn schliesslich in  der geistigen Welt schauen.  Das heisst: das Sinnesleben und sinnliche Erleben kann eine Leiter zum Geistesleben sein. Das Sinnliche lebt sich im Astralen aus und bildet bereits die Keime zum aufblühen der Chakras. Oft hat der Mensch einen Durst; oder er fühlt Hunger, und es ist ein geistiger Hunger. Darauf muss man aufpassen. Wenn man im alltäglichen Leben und Sinnesgenuss nicht versäumt, die sittliche Energie vom Gegenständlichen abzulösen (nicht zu ignorieren) und sie aufschauend zum Geistigen nach oben zu lenken (ein Beispiel ist das Tischgebet beim Essen), dann wird sie den Chakras zugeführt - und diese werden die Seelenorgane des höheren (ätherischen) Menschen sein. Nur in diesem Sinne hat Enthaltsamkeit und Entsagung einen wirklichen Wert. Diese Ausbildung sollte auch immer besonders gefördert werden durch die Bewegungskulte, von denen wir gesprochen haben, durch die das Schlangenfeuer geweckt werden kann. Diese Rennen und Bewegen im Rhythmus um ein Heiligtum , das herumtragen einer Reliquie, das Wenden, Beugen und Drehen das beim morgen- wie abendländischen Gottesdienst uns immer wieder auffällt, sind nichts anderes als symbolischer Ausdruck einschneidender innerer Vorgänge der Seele - so sollte es wenigstens sein. Es gibt Bewegungen , es gibt aber auch i n n e r e Bewegungen die dadurch ausgelöst werden sollen. Eingeleitet werden
solche Kulthandlungen stets durch Fasten, Gebete, Waschungen, Enthaltsamkeit; es soll die dann gestaute Lebensenergie durch den Kult zu einer Umschaltung des ganzen Menschen führen.
Die einfachste Kundgebung der Kundalinikraft im Menschen ist der Bewegungsdrang. Weil sich innerlich etwas drehen und wenden will, wird äusserlich eine Bewegung, möglichst eine rhythmische, veranlasst. Man möchte eine Lockerung des Ätherleibes bewirken. Die Wanderlust, die Tanzlust, das Spiel sind Ersatz für i n n e r e Bewegungen der Kundalini, die von den unteren Gliedmassen aus besonders den Links-rechts-Rhythmus veranlassen. ("Das Wandern ist des Müllers Lust*(
*des "Müllers", dessen "Räder" sich drehen)) In gewissen Zeiten, in gewissen Lebensjahren wird beim Menschen dieser Bewegungs-drang bis zur Übertreibung geführt, weil ihm ein unbestimmtes Etwas vorschwebt, das er unbedingt zu erreichen hofft. Die "Wanderjahre", die in den klassischen Biographien so starke Bedeutung bekamen, bergen ein grosses, aber fast stets ungelöst gebliebenes Geheimnis der Seele: ein richtiges Rennen und Jagen in dieser Zeit um einen Punkt, den keiner kennt. Tanz, Gymnastik, Wandern, Spiel sollten beim Menschen keinesfalls losgetrennt werden von innerem Seelentraining, sonst sind die Halbheiten. Der Mensch muss die Einstellung haben: alles dies ist gottgewollt. Warum Sport gesundend wirkt, ist der heutigen Medizin noch nicht bekannt. Beim Sport wird ein Funke Kundalinikraft zersprüht und wandert wie ein Lebenselexier durch den Körper.
Die olympischen Spiele, die ursprünglich den Göttern geweiht waren , sollten etwas heiliges sein. Um die Fackel, die man trug, war die Fackel des heiligen Feuers (Schlangenfeuer). Auch diese Feste hatten kultischen Charakter und bewirkten Hochzucht der Rasse.
Freilich haben auch Primitivvölker kultische Bewegungen und magische Tänze zur Erreichung niederer ekstatischer Zustände ausgeübt. Hier aber blieb Kundalini in den niederen Chakras stecken und führte zu verderblichem Dämonen-dienst, Zauber- und Aberglauben. Durch die religiösen Kulte der Hochreligionen  hingegen sollte diese aktive motorische Energie, erhöht, ins Erhabene erhoben werden, den Menschen von der Erde erlösen und zu einem kosmischen Bürger erwecken wodurch er den Lauf der Gestirne in seiner eigenen Brust, in seinem eigenen Leibe spüren lernt. (Gotteskind-schaft im wahrsten Sinne).  Nur durch erhabenste Vorbilder, die wir unserem Geiste vorführen, kann diese Schlangenfeuer den richtigen, gottgewollten Weg nach oben finden.  Im Christentum ist es der Kreuzesweg, die Nachfolge Jesu, die zur Erlösung führt. Die Wallfahrt mit ihren vierzehn Stationen zeigt deutlich den Weg. Er geht von unten nach oben. Das Ziel liegt auf einem Hügel oder Berg. Die unterste Station soll möglichst eine Grotte sein, oben der Himmel, die Himmelfahrt. Die vierzehn Stationen deuten auf den Mondzyklus (halbe Mondwanderung). Der Grund zur christlichen Wallfahrt wurde von Suso im Dominikanerkloster zu Konstanz gelegt. Im dortigen Kreuzgang schuf er zunächst vier Stationen. Beim herumgehen in diesem Kreuzgang wurden bei jeder Station Gebete gesprochen. Hier sind schon unbewusst die vier grossen Chakras der vier Kardinalpunkte mit rhythmischer Bewegung in Beziehung gesetzt worden. Die späteren vierzehn Stationen sind vielleicht durch Einflüsse der Rosenkreuzer auf die Kirche entstanden. Das gehen im Kreuzgang beim Gebet und Meditation war so richtig dazu angetan, Kundalini und die Chakras zu wecken. Wer den wahren Inhalt der christlichen Wallfahrt voll versteht und sie richtig ausführt, der kann tatsächlich zur "chymischen Hochzeit" kommen, d.h. er wird mit seinem Heiland die Himmelfahrt erleben. Aber mühsam soll der Weg sein. Das Rückgrat und die Knie müssen dabei empfunden werden, wenn die Handlung eine Wirkung haben soll.
Kundalini nach oben zu tragen, soll, wie die Legende einer östlichen Bruderschaft sagt, schwieriger sein, als den Jordan
 aufwärts fliessen zu lassen.


S c h l u s s b e t r a c h t u n g.

Wir haben vom Wettlauf am Himmel gesprochen der auf Erden sein Abbild hat. Wir haben auch vom Kultischen und Religiösen gesprochen, das den Menschen über die ewige Wiederholung alles Natürlichen hinausbringen soll.  Das Sehnen und hoffen jedes einzelnen ist ein Wettlauf - und das Leben und Schicksal jedes einzelnen ist bereits ein Kult. Das Leben lehrt uns etwas. Alles Geschick bringt Weiterentwicklung. Uns allen ist ein Gleichnis, ein Mythos mit auf den Weg gegeben. Wir sind in einem Irrgarten, einem Labyrinth, aus dem wir nicht leicht herauskommen und wir sehen die Dinge anders, als sie sind. Das Suchen nach dem letzten Glück ist beim Menschen ein Gang im Kreise herum, die Erfüllung erreicht er nie, weil er das Ziel immer anderswo sucht als da, wo es ist. In unseren Idealen verhalten wir uns wie der Hase des Mondes im Märchen, der im entscheidenden Moment jedesmal blind wird und der, wenn er rundherum ist, immer sehen muss, dass das Erstrebte, ja das Gewettete nicht erreicht, sondern anscheinend weiter vorausgerückt ist, nicht ahnend, dass er das Ziel doch von Anfang an schon hatte, es aber übersah, sodass er darüber hinausschoss. So ist es mit der Erfüllung unserer Wünsche-: ein Wettlauf um ein Nichts, während die Erfüllung doch ganz dicht bei uns liegt. Der heilige Konrad sagt: "Bei der Befriedigung unserer Sehnsucht im Irdischen kommen wir nie an ein Ende."   

Fangen wir also doch dort an, wo wir sind! Wir verschlafen jeden Tag eine grosse Gelegenheit. Das Leben selbst muss wieder sakramental werden, jede Handlung kann eine Weihehandlung sein. Wir müssen nur tief herabsteigen in den Urgrund unserer Seele und unser eigenes Labyrinth mit vollem, klarem Bewusstsein auskundschaften. Den Ariadnefaden finden wir dann sofort wenn wir die göttliche Liebe erkennen und fühlen, die in alles Dasein hineingelegt ist.

Nützen wir die Zeit, denn das Leben ist kurz, die Sanduhr läuft rasch ab - und bei einem Wettlauf ist jede Minute kostbar.     

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