Auszüge aus Briefen von Gustav Meyrink

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 V
om 7. August 1930



"Heute am 7. August 1930, morgens um 10 Uhr, nach langer, qualvollster Nacht, fiel es mir plötzlich wie Schuppen von den Augen und ich weiss nun, was der Zweck aller Daseins in Wahrheit ist.

Nicht sollen wir durch Yoga uns selbst verändern, sondern wir sollen quasi einen Gott bauen, oder christlich gesprochen : Wir sollen nicht Christo nachfolgen, sondern ihn vom Kreuz abnehmen.!

Den alten Mann, den ich immer in der Ferne sehe, soll ich also krönen und ihn mit Purpur bekleiden und ihn zum Herrscher meines Lebens machen. Ich sehe ihn jetzt auch gekrönt und im Purpurmantel! Je vollkommener er wird, desto eher wird er mir helfen. Er ist also dann der Adept und ich werde nur insofern daran teilnehmen als er sich einmal mit mir verschmelzen wird, denn im Grunde ist er mein eigenes Ich.  Er wird wachsen, ich aber werde schwinden.
 (Dies ist der Sinn der Rede des Täufers!)

  Bisher war falsch und die Ursache alles meines Leidens, dass ich all das nicht klar wusste und glaubte: ich müsste mich vervollkommnen, mich und nicht ihn! Die Tantrik-Übungen sind also wie alle Askese falsch, führen in den Abgrund und sind eigentlichste schwarze Magie.

Jetzt weiss ich auch weshalb der alte Mann immer unbeweglich war wie ein Bild! Eben, weil ich an mir arbeitete und nicht an ihm. Bo Yin Ra stellte es mir so dar, als müsse man sofort alles, was man in solcher Art findet, gewissermassen verschlingen und sich von ihm nähren!

Gerade umgekehrt ! Der alte ist also der Christos und wir müssen ihn losbinden und ihn mächtig machen, dann erst kann er wunder tun. Das Wundertun geht erst dann auf uns über, bis diese Schizophrenie aufgehoben sein wird und wir mit aufgesogen sein werden. Zum Beispiel die Konnersreutherin müsste den, den sie leiden sieht, geistig loszubinden trachten, statt immer mitzuleiden.  Sie geht also immer im Kreis herum.

Alle diese Erkenntnisse müsste ich eigentlich jetzt in Romanform behandeln.  Es wäre das denkbar interessanteste Thema. Vielleicht ändern sich bald unsere Verhältnisse, dass ich endlich so arbeiten werde können, wie ich es möchte.

Ich kann keineswegs alles das, was ich ein Leben lang hindurch in Yoga versuchte und tat, als Irrtum bezeichnen. Ich glaube aber, solche Mühen sind nötig, um das zu erkennen, was mir heute , am 7. August, klar geworden ist."