Unsterblichkeit |
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(aus Fledermäuse , Erzählungen, Fragmente und Aufsätze) |
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von Gustav Meyrink |
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Soll ich auf die Frage: "Gibt es eine
Unsterblichkeit ?" antworten, so kann es nur geschehen mit den
Worten: es gibt überhaupt nichts anderes als einzig und allein
Unsterblichkeit. Leben und Unsterblichkeit sind dasselbe. Das
was der gemeine Mann unter Tod versteht, oder zu verstehen
wähnt, gibt es nicht. Gäbe es einen solchen "Tod", längst wäre
das Leben in ihn hineingestürzt, um nie mehr aus solchem Nichts
wiederzukehren. Da könnte nun einer entgegnen: aber Dinge, von Menschenhand geschaffen, sind doch tot und bleiben es. Ich sage: es gibt keine "Dinge". Dinge sind Wesen, lebendige Wesen, denn sie bestehen aus Zellen, Atomen, Elektronen, aus - Ichen! Sind Ansammlungen lebendiger Wesen, in eine Form gepresst. Ob sie ein Gesamtbewusstsein haben, wenn sie gerottet sind, ein gemeinsames Ichbewusstsein - gleichgültig, ob vorübergehend oder nicht - das zu erörtern gehört nicht hierher. Freilich, uns Menschen will es scheinen, als hätten sie es nicht: den verwegenen Gedanken aber, sie hätten es unter allen Umständen, ganz von der Hand zu weisen - lediglich aus Furcht, man könne sich bei sogenannten "vernünftigen" Menschen lächerlich machen - das geht nicht an. Es mag verstiegen bis zum äussersten klingen, wollte jemand behaupten, eine Kegelkugel , geschaffen von eines Drechlslers Hand, könnte wissen, dass sie eine Kugel ist, glaubwürdig klingt es, spricht man die Vermutung aus, wie zum Beispiel Fechner, die Erde - doch auch nur eine Kugel - müsse ein Ichbewusstsein haben. - Nun, gar so gross ist der Unterschied nicht. Mich bedünkt, und ich spreche es ruhig aus, denn ich beanspruche nicht, für einen Philosophen gehalten zu werden: nicht der Drechsler ist es, der aus freiem Entschluss heraus eine Kegelkugel schafft, nein, eine Summe von lebenden Wesen, die nicht wahrnehmbar sind für menschliche Sinne, hatte den Wunsch oder wurden zu dem Wünsche gedrängt, sich in Kugelform zusammenzutun. Nicht der Drechsler hat sie geschaffen; er war nur das Werkzeug, das half, die Form einer Kegelkugel im Reich unserer Sinne sichtbar und greifbar zu machen. Diese Form hat also vorher nicht existiert und wird aufhören zu existieren, wenn sie - z.B. durch Feuer verbrannt wird? Wird also geboren und stirbt? - Nein! Sie war von jeher und wird für immer bleiben, was sie gewesen ist! Nur für einen Beobachter wird sie "geboren" und "stirbt". In Wahrheit ist sie unsterblich auch als Form! Sie wechselt gewissermassen nur den Ort..... Doch dem einfach denkenden Menschen bieten derlei Theorien wenig Trost. "Ich will nicht sterben", sagt er, "ich will mein Ichbewusstsein behalten", denn er ist Egoist und in gewissem Sinne mit Recht. Und wenn er bisweilen, gefoltert von der Qual eines ihm nicht zusagenden Daseins, ausruft:" Wenn doch der Tod käme und mich erlösen wollte" so ist es nicht der Wunsch, zu Nichts zu werden, der aus ihm spricht, sondern lediglich der verborgene Wunsch, nach angenehmeren Lebensbedingungen. - Ein Buddhist würde einwenden: " Und doch gibt es Ausnahmen unter den Menschen! Zum Beispiel den Buddha Gautama: er hat gelehrt, wie man dem Leben entrinnen könne und vom Leben erlöst werde." - Freilich so meinen die südlichen Buddhisten, die der Schule des Hinayana - des "Kleinen Fahrzeugs" - angehören. Als aber einst der Buddha von einem seiner Zuhörer gefragt wurde: " Weiss der Erlöste - der vom Leben Erlöste - wenn er erlöst ist, sodann, dass er erlöst ist?" "Natürlich weiss er es!" Die südlichen Buddhisten leugnen, dass diese Antwort erfolgt sein. Die nördlichen behaupten es und verweisen auf ihre Quellen. Ihre Schule - Mahayanabuddhismus (Das "Grosse Fahrzeug") - gilt heut zwar als verfälscht und mit chinesischen Überlieferungen und Resten der uralten Bhon-Religion Tibets durchtränkt, aber schon zeigen sich in der Forschung auf diesem Gebiet Spuren der Erkenntnis, dass die Sache umgekehrt liegt und dass zwar die Dokumente des Palibuddhismus - nämlich des südlichen - echt und unverfälscht sind, aber - kaum die Hälfte der ganzen Lehre Buddhas enthalten. Es hat jetzt allen Anschein, als habe der Buddha nur chinesische Lehren in ihrer Wurzel übernommen. Mir will scheinen: der Buddha hat bewusst und absichtlich, und eben, weil er ein Erlöser war, mehr verschwiegen, als ausgesprochen! Doch zurück zu dem allen Wesen innewohnenden den Trieb, den der Mensch in die Worte fasst: ich will mein Ichbewusstsein behalten. - Es ist ein Angstschrei, nichts weiter. Zudem die Äusserung einer Angst, die keine Berechtigung hat. Wer das Leben verliert, der wird es gewinnen!! die Angst, die dem Menschen solche Schreie erpresst, wurzelt in der Erfahrung, dass er zuweilen, z.B. im Tiefschlaf, in der Ohnmacht, in der Narkose tatsächlich das Bewusstsein verliert. Dass er sich beim Erwachen wiederfindet, beruhigt ihn nicht vollends, denn er sieht ringsum Wesen sterben und nicht mehrt zurückkehren. Er schliesst daraus unlogischerweise, dass sie für immer ihr Ichbewusstsein eigebüsst hätten. Der Umstand, dass er nach der Geburt nicht weiss, ob und wer er vorher gewesen ist, verstärkt seine Furcht vor dem Phantom Tod, unter dem er gänzliche Vernichtung des Ichbewusstseins versteht.- Einen solchen Tod gibt es nicht. Nicht für Wesen, nicht für sogenannte Dinge, nicht einmal für Formen! Es ist meine feste Überzeugung: nicht ausserhalb, sozusagen, noch innerhalb, nicht ausserzeitlich, noch ausserräumlich (paradox ausgedrückt) gibt es etwas, was nicht Unsterblichkeit wäre. Angenommen nun, ein Mensch erinnere sich plötzlich genau, dass er vor seiner Geburt (als Erdenkind) als Einzelwesen existiert habe, (ob auf Erden oder auf einem anderen Stern, ob in einer Räumlichkeit, die der unseren gleicht, oder nicht, ist Nebensache), was wäre dann mit ihm im Handumdrehen geschehen? Was bis dahin als Tod erschien, hätte sich als Scheintod erwiesen; Bewusstseinsringglieder, die bis dahin scheinbar - durch Vergessen - getrennt gewesen , schlössen siech zu einer Kette, zu einem Stück Kette, wieder zusammen; Formen, lediglich Formen kämen wieder zum Vorschein; der jüngste Tage wäre angebrochen, an dem die Schläfer auferstehen aus ihren Gräbern. Ist nun eine solche Rückerinnerung möglich? Ich kann nur wiederum sagen: es ist meine feste Überzeugung; sie ist nicht nur möglich, sie lässt sich sogar für kein Wesen verhindern. Für das eine Wesen wird sie früher kommen, für das andere später, das ist der einzige Unterschied. Reif sein ist alles, was dazu notwendig ist. Solche Reife aber lässt sich beschleunigen; auf welche Weise, davon später. - Beweise, dass Rückerinnerung dieser Art vorkommen, kann niemand liefern, wenigstens nicht solche Beweise, die die Menschheit und die korrekte Wissenschaft verlangen. Stünde selbst ein Ahasver auf - einer, der von sich sagen dürfte: ich habe nicht nur meine Erinnerung bewahrt, sondern auch meine Form, meinen Körper - jahrtausendelang vor der Verwesung behütet, wer würde im glauben? Nicht einmal wenn er einen babylonischen Keilschriftziegel als Impfschein vorweise, wäre das ein - Beweis. Mahayana-Buddhisten wie Vedantins sagen übereinstimmend, dass es eine praktische Methode gibt, die mit Ausdauer und Kenntnis geübt und und betrieben, nicht nur eine ungeheure Rückerinnerung verbürgt, sondern auch eine nimmer endende Dauer des Bewusstseins. Die Methode heisst: Yoga. -Vor Tausenden und aber Tausenden wird berichtet (man nennt solche Berichte heutzutage Legenden), sie hätten dieses Ziel erreicht. Für die grosse Menschheit ist die Zeit noch nicht gekommen, dass die Mehrzahl Yoga betreibt; würde es der Fall sein, der Tod wäre längst als Vogelscheuche entlarvt. Über diesen Yoga wird heute viel geschwätzt, dumm nicht nur, sondern ausserdem noch gelehrt; gelehrt insbesondere von solchen, die ihn nie geübt haben - grundsätzlich nicht üben, weil sie - Wichtigeres zu tun haben! Der Weg des Yoga der Weg zum immerwährenden Bewusstsein (das allerdings ein wenig anders ausschaut, als das Normalbewusstsein des gewöhnlichen Menschen) - ist ein Weg von Geheimnis zu Geheimnis, so heisst es. Ein Wort, das den, der "pfäffische" Geheimnistuerei wittert, verleitet, die Nase zu rümpfen. Doch es ist nicht so, als ob hier etwas verschwiegen würde, es handelt sich bloss um Geheimnisse für den - Theoretiker. Wer praktisch übt, der erlebt, Er tüftel nicht. Er löst die Geheimnisse auf. Und dann "erinnert" er sich dessen, was er längst "gewusst" und "vergessen" hatte. Wissen und Erinnerung sind dasselbe. Hier ein paar Bemerkungen, die nicht in Yogabüchern stehen, aber ein Streiflicht auf den Sinn des Yoga werfen können: der Mensch ist nicht ein Einzelwesen, er ist ein Doppelwesen, das, um ein Beispiel zu gebrauchen, in einem Wagen sitzt: der eine, der Lenker, mit dem Blick nach vorwärts-in die Zukunft gerichtet-, der andere, der "Erdenmensch", mit dem Gesicht nach rückwärts- in die Vergangenheit- und aus diesem Grund nicht imstande, die Zukunft zu wissen. Der Lenker treibt den Wagen wohin es ihn gutdünkt; der andere ist nur der Passagier. Er wähnt, im Glauben, der Wagen gehöre ihm allein, fahren zu können, wohin es ihm beliebe. Sein Unglück ist, dass er meint, er selbst sein der Kutscher. Den wahren Lenker kennt er nicht, denn er sitzt ja mit dem Rücken gegen ihn gewendet. Würde er ihn plötzlich erblicken, er würde glauben - Gott gefunden zu haben, und wäre dann von der rechten Erkenntnis weiter entfernt, als jemals zuvor. Ob's möglich ist (Coué z.B. hat es geglaubt), dass es ihm gelingen könnte, den Lenker zu beschwatzen? Das wäre dann so etwas wie Magie. Der Zweck des wahren Yoga jedenfalls ist es, dass aus Lenker und Passagier ein Einziger werde, aus einem in zwei Teile zerbrochenen Schwert: das einzige Schwert Siegfrieds mit der Tarnkappe. Gelingt das, dann erkennt der Mensch, dass der Tod niemals existiert hat. - Neben diesem Weg des Yoga läuft noch ein anderer, höchst seltsamer - der Weg der Alchemie genannt: es ist die Kunst, aus "Blei" etwas besseres zu machen, nämlich "Gold". Eine Missgeburt dieses Strebens war die alte Goldmacherkunst, die ihrerseits die heutige Wissenschaft der Chemie ins Leben rief. Die wahre Alchemie hat dergleichen nie beabsichtigt; ihr Ziel war, dem Menschen eine eigentümliche Art Unsterblichkeit zu geben. Natürlich - und wie könnte es anders sein - hat man ihre Rezepte ins Reich der Fabel verwiesen, denn was der Mensch nicht glauben kann, das wissen zu lernen, lehnt es ab. Gibt man sich jedoch die Mühe, solchen "Rezepten" nachzusinnen, dann wird man gar bald erkennen, dass es sich um die Schlüssel zum Yoga einer bestimmten und sogar höchst vollkommenen Art handelt. Um es in kurzen Worten zu sagen: Um das Geheimnis, eine Form zu gewinnen, die nicht kerkerartig beschaffen ist, wie der gewöhnliche Menschenleib, und nicht den Elementen untertan, sondern ähnlich dem, was das Testament unter "Auferstehungsleib" versteht. - Legenden und Märchen berichten von ihm im Munde vieler, wenn nicht aller Völker. Besonders die Chinesen haben da überaus merkwürdige Überlieferungen. In Indien gibt es sogar ein, wenn auch fast erforschtes System, Quecksilbersystem genannt, oder : Paradâ das ist: " Einer der ans andere Ufer geschwommen ist." (Deussen erwähnt es in seiner Geschichte der Philosophie als sogenanntes ausservedisches System.) Liest man, was darüber bekannt ist, man glaubt, ein mittelalterliches Buch über die Herstellung der Universalmedizin in der Hand zu haben. Die Zeit wird lehren, wieviel Wahrheit verborgen liegt in diesen Geheimnissen. Wir alle werden es erleben, denn wie könnte es sein, dass wir stürben!! |