Über den Ackerbau, Auszug

Aus J.B. Krebs (Ps. Kerning) "Weisheit vom Orient"
 
  I.  
  Des Menschen Leben ist wie ein Acker. Auf jedem Acker wächst etwas, selbst wenn nicht darauf gesät wird. Was aber ohne Pflege wächst,  ist höchstens Gras, wo nicht Unkraut, das nicht einmal für das Vieh tauglich ist. Der Acker muss von seinem Besitzer sorgfältiig gepflügt und bearbeitet werden; dann erzeugt er auf ihm was er bedarf. Auch muss das gesäte sorfgältig von Unkraut rein gehalten werden, sonst erstick das Gute und alle Arbeit ist umsonst. Wer pflanzt der wird ernten; wer reinigt, der wird eine volle Ernte haben.
Der Mensch ist ein lebendiger Acker, auf dem dasjenige wächst, was man pflanzt und pflegt.  Siehe dich vor,  was du säest, damit du nicht um die Ernte kommst. Die Zeit des wachsens ist kurz, die Ewigkeit lang. Willst du Unkraut, so lebe dahin, wie dich der Augenblick, der Zufall, die Launen, Begierden und Leidenschaften führen; willst du aber etwas gutes ernten, so sorge für deine Zukunft; sie liegt in deinen Händen. Kannst du mehr verlangen von der ewigen Liebe des Vaters?

II.


Der Mensch ist ein Acker. Licht und Finsternis, Leben und Tod streiten sich um seinen Besitz.  Die Finsternis ist ein Dieb, der den Acker schon längst unrechtmässigerweise besessen hat, und er bietet nun alles auf, um seinen Besitz zu behaupten. Richter zwischen beiden ist unser Wille, oder vielmehr wir selbst.  Wir sind in der Gewalt der Finsternis und müssen zum Licht; wir sind in der Sünde und müssen zur Tugend. Finsternis ist Nacht, Licht ist Tag. Wer seine Bestimmung nicht kennt, ist in der Finsternis; wer sie erkennt ist im Licht.

In Licht und Finsternis teilt sich die Schöpfung. Im Lichte ist Wahrheit in der Finsternis Irrtum, begleitet von allen Übeln und Greueln. Das volle Licht ist über alle Gärung erhaben und deshalb in völliger Ruhe und Gewissheit. Die Finsternis ist in beständiger Flucht vor dem Licht, daher in Unruhe und Ungewissheit. Das reine Licht verzehrt alle Finsternis. In gänzlicher Nacht leuchtet, auch in dem irdischen Reich, kein Licht mehr. Soweit noch zerstreutes Licht  dringt, ist noch Helle; tief unter der Erde wird der Abglanz des Sonnenscheins nicht mehr gesehen. Die Weisheit ist ein Himmelslicht, über alle sinnlichen Eindrücke erhaben. Leuchtet dieses Licht in uns, oder sind wir im Dunkel des materiellen versunken? Der Blinde sieht weder seinen Weg, noch die Hindernisse, die sich darauf befinden. Der Eigensinnige will sich ungeachtet, seines hilflosen Zustandes, nicht führen lassen. Woran erkennen wir, ob wir noch geistig blind sind oder im tiefen Irrtum stecken?  Wer seine Pflichten nicht erfüllt, der ist noch in der tiefe gefangen. Wer nicht im Geiste lebt, der lebt in der Erde, und "Erde" ist Finsternis. Wer nur für seinen eigenen Vorteil lebt, und die Liebe zum Nächsten nicht achtet, der ist noch tief in der Nacht.  Wer sich selbst nicht erkennt, ist am meisten von allen mit Blindheit behaftet. Wer erst Reize nötig hat, um zu wissen, dass er lebt, dessen Lebensfeuer hat sich noch nicht entzündet. Wer kein Licht um sich verbreitet, wandelt selber im Dunkeln. Wer nicht für die seinigen sorgt,  ist ein Fürst im Reich der Finsternis. Wer nicht lieben, glauben und hoffen kann, ist der ärmste von allen Blinden.
Licht und Finsternis streiten sich in uns um die Herrschaft. Wir müssen den Streit entscheiden. Treten wir auf die Seite der Finsternis, so entflieht das Licht; übergeben wir uns aber dem Lichte, so muss die Nacht entweichen. Dem Lichte sei Sieg und Ehre! Für das Licht wollen wir leben, und unter seiner Führung die Palme des Lebens erringen.
III.



Der Mensch ist wie ein Acker. Der Geist des Lichtes und der Geist der Finsternis wollen beide darauf säen und pflanzen. Wir haben zu entscheiden. Der Geist des Lichtes kommt und säet, aber nun müssen wir das Gesäete pflegen. Nur einmal im Jahr wird gesäet; und nach dem Säen kommt die Pflege des Ackers. Jeder hat schon einen Samen empfangen; aber ob und wie er ihn pflegt, dies ist eine andere Frage. Mancher wacht einige Tage über seinen Acker, und hingerissen von anderen Dingen, verlässt er die Aufsicht; kann kommt der Geist der Finsternis, nimmt den guten Samen heraus uns säet Unkraut hinein. Der Mensch ahnt den Betrug nicht, bis die Frucht zeigt, die ihn mit Scham und Abscheu erfüllt, seinen Geist verdunkelt und sein Herz vergiftet. Hat er nun den Mut, die giftigen Pflanzen auszurotten uns sich dem Lichte zu übergeben, so ist noch Hoffnung für ihn da; lässt er sie stehen so wird bald der ganze Acker davon überwuchert und verdorben sein.
Selten gehorcht der Mensch dieser Warnung. Er hält sein Herz jedem Eindruck offen und sieht sich in kurzer Zeit umstrickt.  Dann sucht er seine Fehler zu verdecken und zu beschönigen, und macht sich selbst und andere glauben er habe etwas Gutes erreicht.
Darum sind Menschen so darauf erpicht, viel zu lernen und viel zu wissen. Die Frucht (der Erkenntnis), die nicht am Stamme gewachsen, sondern nur geborgt ist, verfault, und muss durch eine andere ersetzt werden. Daher das unaufhörliche Haschen nach neuem Wissen und neuen Erfahrungen; daher der Kampf um die Unruhe, welche keine Ruhe aufkommen lässt. Wer aber guten Samen bewahrt und die echte Frucht errungen hat, braucht nicht länger zu suchen; er hat in sich selbst den Baum der Erkenntnis, der ihn über seine Bestimmung belehrt und ihm in allen Verhältnissen des Lebens eine sichere Stützte bietet.

IV

Der Mensch ist ein Acker, in dessen lebendigen Kräften guter und schlechter Samen gedeiht. Das was du hast , ist Same, aber noch keine Frucht. Meinst du dein Treiben und Jagen, dein Hetzen und Rennen, deine Klugheit und Zweifel, deine Selbstsucht, dein Ehrgeiz, deine Launen und Grillen, dein eitles Wissen, vollgestopftes Gedächtnis, deine Kunstfertigkeit und Anlagen, Schriften und Hypothesen, Grimassen und Possen, Würden und Titel, Pläne und Projekte seine für die Ewigkeit ? Der Gelehrte wird albern, der Geschichtsforscher verliert das Gedächtnis, der Künstler kommt au der Mode, das Genie verzehrt sich selbst, Titel und Reichtum verschwinden; alles vergeht, und wenn nichts Neues entstünde, so wäre für den Menschen keine Hoffnung zur Fortdauer oder für eine bessere Zukunft.
Alle Eigenschaften des Menschen, die angeborenen und die erworbenen, sind nichts als der Grund und Boden , in welchem der Same des Glaubens, der Wahrheit und der Liebe gesät werden muss. Aus diesem entsteht dann die Frucht
die, der Vergänglichkeit trotzt und unser Ich
hinübernimmt in die Regionen des ewigen Lebens. Dieser Köpre mit all seinen glänzenden Eigenschaften, ist nicht der Mensch selbst; er ist nur das Gefäss, in welchem das himmlische Geschöpf, der Mensch aus Gott, geboren werden soll.
Ernst ist die Bestimmung des Lebens. Der Mensch muss Ewiges in sich aufnehmen und es zur Reife bringen. Da ist es denn nicht gleichgültig, wie wir unsere Zeit anwenden, in welchen Verhältnisse wir uns begeben, in welcher Gesellschaft wir leben; ob wir den neuen Menschen in uns bewahren oder zu Grunde gehen lassen.
Unsere Empfindungen , Analgen und Kräfte sind der Acker. Der Geist des ewigen Lichtes  ist der Sämann. Wir sind die Verwalter des Ackers.
 
 
     
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