Christliche Mystik
 
Ausgewählte Verse aus Joh. Angelus Silesius, aus den Lotusblüten von Franz Hartmann 1897 I
(Joh. Scheffler, 1624-1677)
Der cherubinische Wandersmann
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Vorbemerkung. Der Schlüssel zur Theosophie (Gotteserkenntnis) ist die Gotteserkenntnis selbst. Es gibt keinen anderen. So lange wir uns Gott als etwas Entferntes, Unbekanntes und uns Fremdartiges vorstellen, haben die Schriften der Mystiker für uns keinen Sinn. Deshalb werden auch die folgenden Verse manchem, der von Gott nichts weiss, nur als leere Phrasen oder fromme Schwärmerei erscheinen; wer aber Gott in sich selber gefunden hat und seine Allgegenwart erkennt, der wird auch den tiefen Sinn der hier folgende mystischen Lehren begreifen; wenn auch deren Form manches zu wünschen überig lässt. Der Mystiker, welcher den Sinn dieser Knittelverse versteht, braucht nichts weiter zu wissen.
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Einleitung
Der Himmel senkt sich er kommt und wird zur Erden;
Wann steigt die Erd' empor und wird zum
Himmel werden?
Der Mensch, der seinen Geist nicht über sich selbst erhebt,
Der ist nicht wert, dass er im Menschenstande lebt.
Ein Tier, das siehet Gott, ein Mensch den
Erdklotz an,
Aus diesem was er ist, ein jeder kennen kann.
Du willst kein Heiliger sein, und doch in'
Himmel kommen?
O Narr! Es werden bloss die Heiligen angenommen.
Der Weise geht nie irr, er hängt auf jeder Bahn
Der ewigen Wahrheit (Gott) mit allen Kräften an.
Ich bin der Tempel Gott's, und meines Herzens Schrein
Ist's Allerheiligste, wenn er ist leer und rein.
Dann wird das Tier ein Mensch, der Mensch
ein englisch' Wesen,
Und dieses Gott, wenn wir vollkommlich sind genesen.
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Die Selbsterkenntnis
Man braucht kein Fernglas in den Himmel einzusehen,
Kehr' dich nur von der Welt und schau',
so wird's geschehen.
Der Weg zu Gott ist durch der Liebe Thür,
Der Weg der Wissenschaft bringt dich nur
langsam für. 
Viel Bücher, viel Beschwerd'! Wer eines recht gelesen,
(Ich meine Jesus Christ*) ist ewiglich genesen. 
* Das Licht der Erkenntnis.
In Schulen dieser Welt wird Gott uns nur beschrieben
 In heil'gen Geistes Schul' lernt man ihn schaun und lieben. 
Wenn du nicht Mensch mehr bist und dich verleugnet hast,
So ist Gott selber Mensch und träget deine Last.
Die Meinungen sind Sand, ein Narr, der baut darein;
Baust Du auf Meinungen, wie kannst Du weise sein? 
Die Schrift ist Schrift sonst nichts, Mein Trost ist Wesenheit
Und dass Gott in mir spricht das Wort der Ewigkeit. 
Der ist ein Weiser Mann, der Gott und sich wohl kennt;
Wem dieses Licht gebricht, ist unweis' und verblend't. 
Mensch, geh' nur in dich selbst, denn nach dem Stein der Weisen, braucht man nicht erst, in fremde Länder Reisen 
Gott wohnt in einem Licht, zu dem die Bahn gebricht;
Wer es nicht selber wird, der sieht ihn ewig nicht. 
Soll ich mein letztes End' und meinen Anfang finden,
So muss ich mich in Gott und Gott in mir ergründen. 
Muss werden was er ist, ich muss ein Schein im Schein,
Ein Wort im Wort, Gott in der Gottheit sein. 
Ich trage Gottes Bild; wenn er sich will besehen,
So kann es nur in mir und wer mir gleicht geschehen. 
Ich bin nicht ausser Gott und Gott nicht ausser mir;
Ich bin sein Glanz, sein Licht, und er ist meine Zier. 
Dass Gott so selig ist und lebet ohn' verlangen,
Hat er sowohl von mir, als ich von ihm empfangen.
Rein wie das feinste Gold, fest wie ein Felsenstein,
und lauter wie Kristall soll dein Gemüte sein.
Ein Senfkorn ist mein Geist; durchscheint ihn seine Sonne,
So wächst er auf gleich Gott mit freudenreicher Wonne.
Nimm hin der Sonne Licht. Mein Jesus* ist die Sonne
Die meine Seel erleucht' und macht sie voller Wonne.
*(Die Weisheit)
Wer in der Sonne ist, dem mangelt nicht das Licht,
Dass dem, der ausser ihr verirret geht, gebricht.
Was hilft's mir Gabriel, dass du Maria grüsst,
Wenn du nicht auch bei mir derselbe Bote bist.
Ist deine Seele Magd und wie Maria rein, so muss sie augenblicks vom Geiste schwanger sein.
Du darfst zu Gott nicht schrein der Brunnenquell ist in dir; stopfst du den Ausgang nicht so fliesst er für und für.
Wer Gott recht finden will, muss sich zuerst verlieren
und bis in Ewigkeit nicht wiederseh'n noch spüren.
Die Gottheit ist mein Saft; was aus mir grünt und blüht,
Das ist sein heil'ger Geist durch den der Trieb geschieht.
 
Je mehr du dich aus dich kannst austun und entgieesen,
Je mehr muss Gott in dich mit seiner Gottheit fliessen. 
Gott ist das was er ist; ich was durch ihn ich bin;
Kennst du den Einen wohl, so kennst du mich und ihn. 
Gott ist mein Fleisch und Blut, und mein Geist und mein Gebein)*
Wie sollt' ich den durch ihn nicht ganz vergöttert sein. 
* Es gibt Leute, welche glauben mit Verachtung auf den physischen Körper herabsehen zu können. Wenn aber alles dem Wesen nach Gott ist, so ist auch das Wesen des Körpers und der Materie
 Gott. In der Tat ist gerade der physische Köper des Menschen insofern von höchster Bedeutung, als in ihm alle geistigen Kräfte aufgespeichert und sozusagen kristallisiert sind. Der Geist ist die Intelligenz, die Materie die Energie. Ohne den physischen Körper gäbe es keine geistige Entwicklung , ebensowenig als kein Baum wachsen könnte wo kein Samen vorhanden wäre.
 
Ist meine Seel im Leib, und gleich durch alle Glieder,
So sag ich recht und wohl: der Leib ist in ihr wieder.
Ich bin so gross als Gott, er ist wie ich so klein,
Er kann nicht über mir, ich unter ihm nicht sein.
Gott ist in mir das Feu'r,  und und ich in ihm der Schein;
Sind wir einander nicht inniglich gemein?
Ich selbst bin Ewigkeit, wenn ich die Zeit verlasse,
Und mich in Gott und Gott in mich zusammenfasse.
Ich selbst muss Sonne sein, ich muss mit meinen Strahlen
Das farbenlose Meer der ganzen Gottheit malen.
Du grübelst in der Schrift, und meinst mit Klügelei
Zu finden Gottes Sohn. Auf! mach die doch frei von dieser Sucht
und komm zum Stall ihn selbst zu küssen;*)
so wirst du bald die Kraft des Gotteskinds genieesen.
*Der "Stall" ist die niedere Seelenregion des Menschen wo die tierischen Instinkte und Leidenschaften hausen; der Ochse des Eigendünkels und der Esel des Aberglaubens etc.
Viel Wissen blähet auf; dem geb ich Lob und Preis, der den
Gekreuzigten in seiner Seele weiss.
Ich muss Gott-schwanger sein, sein Geist muss mir obenschweben
Und Gott in meiner Seel' wahrhaftig machen Leben.
Berührt dich Gottes Geist mit seiner Wesenheit,
so wird in dir gebor'n das Kind der Ewigkeit.
Die Seel ist ein Kristall, die Gottheit ist ihr Schein;
Der in dem du lebst, ist ihrer beider Schrein.
Die zarte Gottheit ist ein Nichts und über und über Nichts;
Wer nichts in allem sieht, Mensch! glaube mir der sieht's.
Die Liebe welche sich in dir zu Gott beweist,
Ist Gottes ewige Kraft sein Feu'r und heil'ger Geist.
Mensch schickst du dich dazu, so zeugt Gott seinen Sohn
All Augenblick in Dir gleichwie in seinem Thron.
Einheit
Der Weise sucht nur Eins; und zwar das höchste Gut;
Ein Narr nach vielerlei und Kleinem streben tut.
Viel Wissen ist zwar fein, doch gibt's nicht solche Lust,
Als sich vom Kindlein an nichts Böses Sein bewusst.
Die Weisheit ist ein Quell, je mehr man aus Ihr trinkt,
Je mehr und mächtiger sie wieder treibt und springt.
All's kommen aus einem her und muss in Einem sein,
Wo es nicht will gewzeit und in der Vielheit sein.
Die Zahlen alle sind aus einem Eins geflossen, und die
Geschöpfe all aus Gott, dem Eins entsprossen.
Gleich wie die Einheit ist in einer jeden Zahl, so ist auch Gott das Eins in Dingen überall.
Wie all' und jede Zahl ohn' Eins kann nicht bestehen,
so müssen die Geschöpf' ohn' Gott, das Eins, vergehen.
Das Nichts, die Kreatur, wenn's Gott vorangesetzt,
Gilt nichts; steht's hinter ihm, dann wird es erst geschätzt.
Im Eins ist Alles Eins; kehrt zwei zurück hinein,
So ist es wesentliche mit ihm ein einz'ges Ein.
Die Hei'gen alle sind ein Heiliger allein;
Weil sie ein Herz, ein Geist, ein Sinn, ein Leben sein.
Zehn ist die Kronenzahl; sie wird aus Eins und Nichts,
Wenn Gott und Kreatur eins werden, so geschieht's.
Christus
Der wahre Gottes Sohn ist Christus nur allein;
Doch muss ein jeder Christ derselbe Christus sein.
Ich muss Maria sein und Gott in mir gebären,
Soll er mich ewiglich der Seligkeit gewähren.
Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren
Und nicht in dir, so bleibst du ewiglich verloren.
Das Kreuz von Golgatha kann dich nicht vom dem Bösen,
Wo es nicht auch in dir wird aufgericht', erlösen.
Werd' Gott, willst du zu Gott. Gott macht sich nicht gemein.
Mit dem, was nicht in ihm, will Gott was Er ist, sein.
Ich sag's, es hilft dir nichts, dass Christus auferstanden,
So du noch liegen bleibst im Tod und Sündesbanden.
Mensch! deine Seligkeit kannst du dir selber nehmen,
So du dich nur dazu willst schicken und bequemen.
Gott zeuget seinen Sohn, und weil es ausser Zeit,
So währet die Geburt auch alle Ewigkeit.