Mystik und Mysticismus.  
Karl von Eckhartshausen
  (geschrieben im Jahre 1790, LB. 1897.I.)  
                       

 
     

                                 
                 Mystik und Mysticismus

Zu einer Zeit, wo überall ein krankhafter Mysticismus auftaucht, und geheime Gesellschaften gebildet werden, in denen unter den verschiedenartigsten Namen mit heiligen Dingen Missbrauch getrieben wird, düfte es von Nutzen sein, folgende Worte von Karl von Eckahrtshausen (geschrieben im Jahre 1790) in Erinnerung zu bringen:

Nur der ein gutes Herz hat, verdient mit geheimen Wissenschaften bekannt zu werden; denn er wird seine Kenntnisse zum Wohle der Menschheit brauchen.

Die Weisheit ist der Sonne ähnlich; sie erwärmt jeden Sterblichen und leuchtet über dem Scheitel aller Menschen; doch um die Wonne ihrer Wärme zu fühlen, wird eine Organisation des Körper erfordert, die dem Grade ihrer Wärme angemessen ist.

Der böse Mensch ist nicht würdig, die Wege zu kennen, durch welche die Kunst zum Glücke führt, denn was Segen der Menscheheit in der Natur ist, würde bei ihm Fluch der Welt werden. Die wohlriechenden Blumen duften vergebens für den, der keinen Geruch hat, und die Brosamen, die von der Tafel der Gottheit fallen, sind nicht für die Schweine, die im Kote wühlen.

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Wer einige Geheimisse besitzt, kann den anderen nur den Weg zu denselben zeigen. Gehen muss der Lehrling selbst.

Der Natur grösste Geheinisse sind am nächsten bei uns, und Einfalt findet sie eher als Stolz.

Wer den Geheimnissen der Natur nachspüren will, der studiere ihr grosses Buch. Dieses Buch ist die Natur. Glücklich der, welcher die Buchstaben kennt, mit welchen es geschrieben ist; noch glücklicher, wer buchstabieren kann, und am glücklichsten, wer darin zu lesen weiss. Lies darin mit dem Auge der Seele; dieses Auge ist die Beobachtung.

Selbst denken ist eine der wichtigsten Grundsätze. Wer selbst denkt, ist weit erhaben über den, der nur anderen nachdenkt. Lesen ist gut, aber selbst denken ist besser.

Der Stolz ist die Ursache, dass die Gelehrten immer in den Wolken herumschweben, und die Schätze nicht kennen, die unter ihren Füssen liegen. Der Stolz verachtet alles, lacht über alles, was er nicht begreift. Er lässt sich nie herab und findet deshalb viele Geheimnisse nicht, die oft die Natur dem einfältigsten Menschen mitgeteilt hat. Gelehrte werfen oft den Kern fort und schreiben Folianten über die Schale. Der Stolz der Gelehrten, ihre Zänkereien in den Schulen entfernen uns von den Wegen der Wahrheit; denn diese ist nicht für die Stolzen, sondern für den, der mit aufrichtigem Herzen Kenntnisse sucht, um der Menschheit zu nützen.

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Die mittelbar wirkende Kraft der Gottheit in dieser Körperwelt ist die Natur. Wer die Gottheit von der Natur entfernen will, entfernt die Seele vom Körper. Wo Gott mittelbar wirkt, da ist die Kraft dieser mittelbaren Wirkung Natur.


Ohne Gott ist die Natur ein totes Wesen.  Natur ist der Herold des Ewigen, das Organ, das den Schöpfer verkündigt und die Gottheit mit der Körperwelt verbindet. In der Natur liegt die wirkende Kraft der Gottheit zum Besten der Körperwelt.

Die wirkende Kraft der Gottheit zum Besten der Geisterwelt ist mehr als Natur, sie ist Kraft der Ähnlichwerdung. Hierin liegt der Grund zur Fortdauer, zur Unsterblichkeit.

Die Weisheit der meisten Gelehrten beschränkt sich auf das, was andere gedacht und gesagt haben. Sie vergessen, das die Theorie der Praxis ihr Dasein zu danken hat und dass die Natur war, ehe es Regeln gab.
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Ein Geist, der unfähig ist das Wahre und Schöne zu schätzen, wird am ehesten durch das Wunderbare und Seltsame gereizt. Je unwissender ein Mensch ist, umso eher kann seine Einbildung in Bewegung gebracht werden. Die angenehmste Nahrung eines trägen Geistes sind sonderbare Erscheinungen und ausserordentliche Ereignisse. Alles ungewöhnliche hat für den Unerfahrenen einen doppelten Reiz.

Jeder möchte geniessen; aber nur das, was ihm ohne viele Mühe den Besitz geträumter Glückseligkeiten verspricht, ist ihm willkommen. Deshalb ist der Scharlatan in der Welt mehr angesehen als der Weise.

Je mehr der Kopf eines Menschen von wahren Begriffen leer ist, umso leichter beherrschen ihn erdichtete und falsche. Je mehr ein Gelehrter aus Büchern und Autoren spricht, umso weniger hat er eigene Denkkraft.

Vorwitz, Stolz, Eigendünkel, blinder Hang an Autorität, Gelehrtheitssucht sind die Irrlichter auf den Wegen, die zu den Geheimnissen der Natur führen. Wir glauben oft diesen Geheimnissen auf der Spur nahe zu sein, da wir am weitesten von ihnen entfernt sind. Unsere physikalischen Kenntnisse sind Tändeleien gegen die, welche noch in der Natur verborgen sine.

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Einswerden ist das grosse Geheimnis der Natur, Einswerdung ist die Bestimmung aller Dinge. Je mehr sich ein Wesen der Einswerdung nähert, desto vollkommener wird dieses Wesen. Aber nicht alle Menschen verstehen dies. Das grosse Gesetz dieser Bestimmung ist die Liebe; sie ist die wirkende Kraft, Mittel zur Assimilation, Kette der Einswerdung. Ihr dankt der weise die Macht des Geistes auf den Geist, die verborgenen Kräfte der Seele, die magnetische Kraft.

Liegt unser Geist gleich im Kerker sinnlicher Organe verschlossen, gefesselt in Fleisch und Knochen, so hört doch nie auf, ein Kind der Gottheit zu sein.  Stets bleibt ihm das Gepräge des Göttlichen, der Selbstschwung, sich seiner Fesseln zu entledigen, und sich zu der Grösse zu erheben, zu der er erschaffen ist. Der bestorganisierte Köper bleibt immer ein Kerker des Geistes, worin ihn die Sinnlichkeit fesselt. Je mehr sich der Geist von diesen Fesseln befreit, umso wirkender wird seine Kraft. Die Entledigung von den sinnlichen Hindernissen ist die Annäherung zur Gottheit; die Erkenntnis, die ihn dahin führt, die Gnade; ihre Folge immer weitere Fortschreitung zur Vollkommenheit. Wer niemals grosse seelenerhebende Wahrheiten überdacht hat, wird diese Sprache nicht verstehen.

Je mehr ein Geist in der Kraft seines Geistes zunimmt, umso mehr nimmt er an Sinnlichkeit ab.

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Von einer Sache die ausserhalb des Kreises unserer Empfindung liegt, haben wir keine Begriffe.

Die Falschheit, die Lüge, der Betrug, die Täuschung sind Werke der Sinne und dieser Körperwelt. Erkenntnis und Wahrheit ist der Anteil der Geisteswelt. Raum, Zeit, Zukunft, Vergangenes sind Attribute der Körperwelt. Die Geisteswelt hat weder Raum noch Vergangenheit, noch Zukunft, sondern ihr Zustand ist fortdauernder Gegenwart.  Für die Seele, die unabhängig vom Köper ist, ist das Zukünftige in dieser Körperwelt schon Gegenwart, so wie das Vergangene; denn ihre Begriffe in der Geisteswelt geschehen nicht mittels der Sinne, sondern unmittelbar durch das wahre Verständnis der Sache. Alles besteht aus Dingen und Wirkungen, Handlungen und Folgen, und die Geisterwelt übersieht alles. Wir aber urteilen selten nach der Sache selbst, sondern nach den Begriffen, die wir von der Sache haben, und darin liegt unsere Beschränktheit und unser Irrtum. Die vom Köper unabhängige Seele übersieht die Sache selbst und kennt folglich mit der Sache die Wirkungen und Folgen. Ihre Übersicht ist nicht successiv, sondern simultan, weil Sache, Wirkung und Folgen ein Ganzes sind.

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Nicht das Äussere führt zum Licht, sonder das Innere; nämlich die Erkenntnis Gottes und die Liebe. Viele suchen Weisheit von den Menschen, und erwarten die Entdeckung grosser Geheimnisse in mystischen Gesellschaften, und denken nicht daran, das die Wahre Weisheit nur von Gott kommt, und dass, wo es viele Menschen gibt, es doch nur wenige Weise geben kann, weil Weisheit bisher noch der Anteil der Wenigen ist.

Sie sehen täglich die Uneinigkeit ihrer Brüder, die Eitelkeit, die Zanksucht, den Neid, sie werden täglich durch ihre Leidenschaften überzeugt, wie höchst sinnlich sie sind, und doch sehen sie nicht ein, dass alle diese Menschen weit vollkommener sein müssten, wenn wahre Weisheit unter ihnen wäre.

Sie sehen einige ihrer mystischen Oberen und ihrer Brüder von höheren Graden täglich vor sich, und können sich überzeugen, dass der grösste Teil, ungeachtet der höheren Grade nicht in besseren Menschen besteht, und doch fällt es ihnen nicht ein, dass der Tempel des Lichts nicht dort sein kann wo es im Herzen nicht helle wird. Wer sich dem Lichte nähert, muss notwendig mehr erleuchtet werden.

Suche Weisheit und Aufklärung allein dort, wo Gott ist. Er sei dein Leiter und dein Führer. Er wird dein Inneres eröffnen und dich mit Schätzen der Weisheit überschütten.

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Es gibt wenige Menschen, die würdig sind, in die Gesellschaft der Weisen aufgenommen zu werden; denn weinige weihen sich der wahren Weisheit, Daher so viel Irrtum in der Welt. Weisheit erfordert Wahrheit und Güte, und diese ist bei den Gelehrten selten. Daher ihr Stolz und ihre Torheit. Verlasse die Wahrheit und Güte nie; die Schätze sind unermesslich, welche die Weisheit ihren Verehren mitteilt.

Vor allem lerne die Nichtigkeit deines Selbst kennen, du kannst nicht durch dich; sei daher nicht auf deine Kenntnisse stolz. Alles kommt von Gott, der die Weisheit selbst ist.

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Die wahre Weisheit ist nur im Lande der Weisheit zu finden; es ist dem grössten Teile der Menschen verborgen. In ihm steht der Tempel der Gottheit. Dieser Tempel ist das Herz des Menschen, das erst durch Güte gebildet werden muss, ehe die göttliche Weisheit in denselben herabsteigt.

Die Liebe verbindet die Gesellschaft der Weisen. Sie haben daher weder Konvente noch Logen; sie lernen sich in entfernten Welteilen kennen und Wahrheit und Güte ist ihr Organ. Ihre Arbeit ist tätige Gottes- und Menschenliebe; der Schöpfer schliesst keine Menschen aus. Daher nimmt keiner den anderen auf, sondern jeder muss sich selbst aufnehmen; nach dem Grade der Erkenntnis und Liebe, in dem er steht, und von oben herab wird jedem gegeben, was er ertragen kann.

Die Gesellschaft der Weisen ist eine ewige Gesellschaft erleuchtet von der ewigen Sonne, wo kein Betrug, keine Finsternis sein kann. Ihr Werk ist die Anbetung der Gottheit im Geiste und in der Wahrheit.

Im Lande der Weisen steht der Tempel der Natur. Der Flug des Geistes trägt den Weisen dorthin; allein ein jeder sieht nur je nach der Beschaffenheit des Auges seiner Seele, und so weit als Gott ihm seine Sehkraft eröffnet hat. Ei jeder teilt dem anderen so viel mit, als er mitteilen kann und der andere zu empfangen fähig ist.

Wie ein Krystall, wenn er von der Sonne erwärmt ist, sich wieder erkältet, wenn er von der Sonne entfernt wird, so verliert sich die Weisheit wieder im Herzen des Menschen, wenn er sich von Wahrheit und Güte entfernt.

Die Arbeit der Weisen, welche in der Welt zerstreut leben, ist, so viel Gutes in der Menschheit zu verbreiten, als in ihren Kräften steht, und von der Urquelle der Weisheit, von Gott selbst, Licht zu schöpfen. Ihre Anzahl ist klein. Einige leben in Europa, einige an den Küsten von Afrika; allein die gleiche Stimmung der Seele verbindet sie alle unter einander und sie machen nur eines aus. Sie sind beisammen, obgleich tausend Meilen sie trennen; sie verstehen sich, obgleich sie in verschiedenen Sprachen reden, denn die Sprache der Weisen ist Anschaulichkeit. Sie arbeiten den Finsternissen entgegen und teilen ihre Wissenschaften mit der Behutsamkeit und Sorgfalt mit, welche die Vernunft und Weisheit erfordern.

Kein Böser kann sich unter ihnen aufhalten, denn er wird sogleich erkennbar, indem er der göttlichen Erleuchtung nicht fähig ist; gleich einem Spiegel, der, wenn er mit Staub bedeckt ist, die Strahlen der Sonne nicht empfängt. Je mehr aber der gute Mensch seine Seele vervollkommnet, umso mehr nähert er sich der Gottheit. Er wird gross; seine Einsicht vermehrt sich in irdischen Dingen mit seinem Lichte, und seine Wunderkraft der Liebe.

So kann sich der Mensch empor heben bis zur Heiligung. Er hat Umgang mit vollkommenen Geschöpfen der Geisterwelt (Mahatmas), er wird von ihnen unterrichtet und geführt. Sein Dasein ist das eines Kindes der Gottheit; die ganze Natur ist ihm unterworfen, denn er wird zu einem Organ des Schöpfers. Er dringt in die Zukunft; ihm sind die Gedanken und Schicksale der Menschen bekannt, und die Geheimnisse der Ewigkeit liegen vor ihm enthüllt.