Der Spiritismus hat den Zweck, den blinden Materialisten, der alles ableugnet was er nicht mit den Hände greifen kann, darauf hinzuweisen, dass sein Grössenwahn eine Täuschung ist, und dass er noch lange nicht alles weiss. Er dient dazu, seinen Eigendünkel zu dämpfen und ihm begreiflich zu machen, dass Shakespeare Recht hat, wenn er sagt,  dass es im Himmel und au Erden Dinge gibt, von denen sich unsere Schulweisheit nichts träumen lässt.

Damit hat aber das Phänomenale seinen Zweck erreicht, und es hat weiter keinen Zweck mehr, den Phänomenen nachzulaufen und gläubig alles anzunehmen, was von den angeblichen "Geistern" gepredigt wird, oder bei der Beurteilung dieser Phänomene von falschen Voraussetzungen und Wahnvorstellungen auszugehen, sondern es handelt sich vielmehr darum, die Ursache dieser Tatsachen zu erforschen, und das kann nicht durch eine Beobachtung und Vergleichung der Phänomene allein, sondern nur dadurch geschehen, dass man selbst im Besitze von Geist ist und durch diesen die geistigen Gesetze erkennt.

Die Erkenntnis der eigenen geistigen Natur bietet uns den Schlüssel zum Verständnisse der Geisterwelt. Was aber diejenigen betrifft, die alle spiritistischen Phänomene auf "Betrug von Medien" und "Taschenspielerei" zurückführen wollen, so sind deren Einwendungen keiner Betrachtung wert. Es gibt allerdings Betrüger die für Medien gelten wollen und es nicht sind, wie es ja in allen Ständen Betrüger gibt; aber der Verfasser hat noch keine "Entlarvung eines wirklichen Mediums" gesehen, durch die etwas anders entlarvt wurde, als die Unwissenheit des Entlarvers.

Man sollte das nicht verwerfen was man nicht kennt; wohl aber sollte man sich bestreben, auf dem Wege des Fortschrittes nicht sitzen zu bleiben, in keinem Systeme sich einzukapseln, sondern darüber hinauszuwachsen und zur Selbsterkenntnis im Inneren zu gelangen. Das ist mit allen religiösen und wissenschaftlichen Systemen und auch mit dem Spiritismus der Fall. Der Mensch kann die Vollkommenheit erst dann wirklich kennen, wenn er selbst in der Erkenntnis vollkommen geworden ist.

Aber der Spiritismus ist, solange er nicht verstanden wird, ein gefährliches Ding. Wer sich fremden Einflüssen, die er nicht kennt, hingibt, und von ihnen besessen wird, der verliert dadurch nicht nur leicht seinen moralischen Halt und seine Lebenskraft, die die Elementarwesen aus ihm ziehen und zur Hervorbringung der Phänomene benützen; sondern er wird selbst willenlos und verliert am Ende seine geistige Individualität, das Höchste, nach dem der Mensch streben kann, und die in ihm wachsen und in Harmonie mit dem ganzen kommen soll, bis dass endlich der Wille und das Denken der Menschen zur Übereinstimmung mit der göttlichen Weisheit gelangt.

(Dass die berühmtesten "Medien" der damaligen Zeit alle in den Wahnsinn oder durch Selbstmord endigten, ist bekannt. Auch ist das von "chronischen Besessenen" nicht anders zu erwarten, da sie sich selbst, d.h. ihre Vernunft und ihren freien Willen verloren haben. Sich selbst in der "Wahrheit" zu finden und seine geistige Individualität ,d.h. den Charakter zu befestigen und in Einklang mit der Harmonie des einheitlichen Ganzen zu bringen, ist der höchste Zweck des menschichen Daseins
. Dadurch wird Mensch und GOTT Eins. Erst wenn man sich selber gefunden hat, kann man dieses Selbst der Gottheit zum Opfer bringen.)






Spiritismus
Auszug aus den "Denkwürdigen Erinnerungen" von Franz Hartmann