Alchimie - Kundalini
AUSZUG
aus dem
Rosenbruder von Frater Tiberianus
Fragt man einen Durchschnittsmenschen, was er unter Alchimie versteht,
dann bekommt man häufig Antworten wie: Die Alchimie ist der Vorläufer
unserer heutigen Chemie, oder : Alchimie ist die Wissenschaft der
Goldmacherkunst, Herstellung des Stein der Weisen oder des grossen
Lebenselexiers, welches ewige Jugend verspricht.
Natürlich kann man solche Antworten nicht als völlig falsch bezeichnen,
aber sie treffen nur immer einen Aspekt der Alchimie, niemals ihren
wahren Kern. Ich will mich hier nicht damit aufhalten, genaue
wissenschaftliche Definitionen des Wortes Alchimie abzuhandeln, und
glaube auch, dass die meisten Leser daran nicht interessiert sind, denn
diese Definition können sich auch aus jedem guten Lexikon selber
ersehen. Nur soviel sei gesagt: Die Alchimie untergliedert sich in eine
äussere Form, welche sich in erster Linie mit den obengenannten
Phänomenen, wie Herstellung von Edelmetallen aus unedlen Metallen, Stein
der Weisen, etc. befasst, und eine Innere Form der wahren
Geist-Alchemie.
Bei der letzten handelt es sich um eine Form der geistigen Wiedergeburt,
welche mit zu den schwierigsten und kompliziertesten Formen allen
Wiedergeburtslehren zählt. Ergänzend möchte ich hierzu aber noch sagen,
dass eine wirklich erfolgreiche äussere Alchimie nur dann praktiziert
werden kann, wenn der Adept zuvor den stufenweisen Entwicklungsvorgang
der wahren inneren Geist-Alchimie durchlaufen hat. Sonst bleibt das
Praktizieren der äusseren Alchimie nur Stückwerk.
Die Geschichte der Alchimie
ist voll von solchen Praktikern, welche man gewöhnlich als Scharlatane
bezeichnet. Ich sagte in meiner Einleitung schon, dass Frater Tiberianus
ein Alchimie- und Kundalinimeister von echtem Schrot und Korn war.
Einem solchen Meister, durch den Geist geführt, in die Hände zu
fahren ist das höchste Glück, welches einem Schüler widerfahren kann, es
ist aber zugleich auch mit einem solch enormen Leidensweg verbunden,
welcher durch die Reinigung von Körper und Seele entsteht, wie sich das
ein Mensch auf Erden in seinen kühnsten Traum-Phantasien nicht
vorstellen kann.
Es ist ein solcher ungeheurer Leidensweg, Worte darüber immer nur
nichtssagende Andeutungen sein können. Doch zurück zur Alchimie. Wenn
auch die innere und äußere Alchimie als getrennte Prozesse ausführbar
sind, so gehören doch beide im eigentlichen Sinne einer geistigen
Entwicklung zusammen. Das innere und äußere Werk unterscheidet zwei
Hauptphasen: für das innere Werk heißen diese a) der mystische Tod und
b) die himmlische Wiedergeburt. Für das äussere Werk heissen diese a)
Auflösung oder Tötung und b) Beständigkeit oder Wiederlebendigmachung.
Beide Werke müssen jedoch zusammen ablaufen. Das gesamte Werk umfasst,
grob gesehen sieben Stufen: 1. Solution (Auflösung), 2. Putrefaktion
(Fäulnis), 3. Destillation (Abscheidung, Ausziehung), 4. Sublimation
(Verfeinerung), 5. Koagulation (Gerinnung, 6. Fixation (Festmachung), 7.
Lapidifikation (Steinbereitung).
Wie verfährt nun ein Alchimie und Kundalinimeister, wenn er in seinen
Schüler das große Werk vollenden will? Zunächst möchte ich feststellen,
dass beide, Meister wie Schüler, dieses Werk gemeinsam vollringen
müssen. Nur wenn beide durch einen langen, gemeinsamen Entwicklungsweg
dieses große Werk gut vorbereitet haben, besteht berechtigte Aussichten
auf ein gutes Gelingen desselben. Es wird jeder vernünftig denkender
Mensch begreifen, dass diese Vorentwicklung meist nicht in einem Leben
zu schaffen ist. Oft Sie mehrere
gemeinsame Inkarnationen nötig, damit diese Entwicklungsstufe zumindest
bei dem Schüler erreicht worden ist.
Auch ist es wichtig zu wissen, welche Aufgabe der Schüler noch
Vollendung des großen Werkes zu übernehmen hat d.h. für welche Aufgabe
er von der göttlichen Vorsehung bestimmt wurde. Immer wird diese
Schulung so aufgebaut, dass die Bestimmung des Schülers vorrangig Ihre
Berücksichtigung findet. Je nach Aufgabe wird der Schüler entweder zum
Alchimisten, Geistheiler oder Mystiker ausgebildet werden. Doch immer
ist es erforderlich, dass in allen drei Richtungen die Entwicklung
vorangetrieben wird, nur mit dem Hauptaugenmerk auf die spezielle
Bestimmung des Schülers.
Möglichkeiten, dieses große, alchimistische Werk zu vollbringen, gibt es
zur Genüge. Abgesehen von den vielen großen Mystikern christlicher als
auch buddhistische Natur, seien hier einige Schule genannt: die
Geheimübungen der türkischen Freimaurer, die Schule Kerning-Kolb, Dr.
med. Friedrich Schwab, Prof. Ernst Bergmann, Karel Weinfurter,
Bo-Yin-Ra, Gustav Meyrink und viele andere.
Welchen Weg der Schüler, sicher durch seinen Meister geprägt, auch
beschreiten mag, immer werden die großen Stationen zum Licht die
gleichen sein, denn Wege gibt es viele, dass Ziel ist jedoch bei allen
dasselbe. Und alle Erlebnisse auf diesem Höhenweg gleichen sich. Bisher
haben wir von der alchimistischen Entwicklung gesprochen, doch dazu
gehört auch noch ein wesentlich anderer Aspekt, nämlich die
geheimnisvolle Schlangenkraft, auch Kundalini genannt.
Jeder Mystiker wird über kurz oder lang mit dieser Kraft konfrontiert,
ob er sich ihrer nun
bewusst ist oder nicht. In der christlichen Mystik wird diese Kraft nur
selten oder gar nicht erwähnt, was jedoch nicht heißen soll, dass sie
nicht zur Wirkung kommt. Ich will in Kürze etwas über diese
geheimnisvolle Kraft sagen:
Kundalini ist eine kosmische Kraft im Körper, sie ist nicht materieller
sondern spiritueller Natur. Sie gleicht einer aufgerollten Schlange und
liegt im Shushumna Nadi (am Ende der Wirbelsäule). Kundalini hat nicht
ihren Sitz im physischen, sondern im Astralkörper eines Menschen.
Bei den meisten Menschen kommt diese Kraft im ganzen Leben nicht zum
Erwachen und wird somit auch nicht wahrgenommen. Erweckt kann sie einmal
unbewusst, z.B. durch grosse seelische Ereignisse wie Unfallschock etc.
oder bewusst durch Meditation und durch den geistig-magischen Einfluss
eines dafür kompetenten Meisters. Wird sie erweckt, steigt sie entlang
der Wirbelsäule kopfwärts. Sie passiert und erweckt dabei einige
Nervenknoten, auch Chakras genannt.
Es gibt ungefähr 72´000 Nadis oder astrale Nervenkanäle. Der wichtigste
davon ist Sushumna, er bildet das astrale Gegenstück zur Wirbelsäule.
Links und rechts laufen zwei Nadis, Ida und Pingala genannt, sie
entsprechen den rechten und linken sympathischen Strängen im physischen
Körper. Es gibt sieben wichtige Chakras, welche Kundalini auf ihrem Weg
zum höchsten Punkt, dem Scheitel-Chakra, durchlaufen muss. Es sind dies
folgende Chakras: 1. Das Muladhara-Chakra am Kreuzbeingeflecht,2. das
Swadhistana-Chakra im Bereich der Geschlechtsorgane, 3. Das
Manipura-Chakra, es liegt in der Nabelgegend nahe dem Sonnengeflecht, 4.
das Anahata-Chakra, es liegt am Herzen, 5. das Vishudda-Chakra, es liegt
im Bereich des Kehlkopfes, 5. das Anja-Chakra, es liegt zwischen den
Augenbrauen am Augenbrennpunkt, 7. das Sahasrara-Chakra, es liegt am
Scheitelpunkt des Kopfes.
Hat die Kundalini all diese Chakras durchlaufen, erfolgt beim Schüler
Erleuchtung. Wichtig ist es, dass die Kundalini über den linken Kanal
nach oben geführt wird, er entspricht der Mondkraft und hat eine kühle
Eigenschaft wie das Wasser. Würde die Kundalini den rechten Nadi oder
Kanal benutzen, der der Sonne entspricht, würde der Schüler an diesem
Kundalini-Feuer selbst verbrennen. Krishna Gopi schreibt in seinem Buch
„Kundalini“ ausführlich darüber. Hat die Kundalini all die angeführten
Chakras durchlaufen, kehrt sie meist zu ihrem ursprünglichen Sitz am
Ende der Sushumna zurück. Nur grosse Yogis können die Kundalini für
längere Zeit in den höheren Charkras halten oder beliebig wieder nach
oben führen.
Europäern gelingt das nur selten oder gar nicht. Hat man sie jedoch
einmal durch alle Chakras hindurchgeführt und Erleuchtung erlangt, so
ist dies ausreichend, um aus einem gewöhnlichen sterblichen Menschen
eine Eingeweihten zu machen. Hat die grosse Vereinigung am Scheitel-Chakra
stattgefunden, wie der Alchimist sagen würde, hat die chymische Hochzeit
stattgefunden, dann hat der Schüler mit Hilfe seines Meisters das grosse
Werk vollbracht. Er hat Erleuchtung gefunden und kann als ein geistig
Wiedergeborener, welcher durch die sieben Tore der Einweihung gegangen
ist, nunmehr in die grosse, unsichtbare Bruderschaft aufgenommen werden.
Doch möchte ich nun meine persönlichen Erlebnisse erzählen, welche ich
mit Frater Tiberianus erleben durfte. Wie ich schon in einem früheren
Kapitel sagte, lernte ich Frater Tiberianus im Jahre 1965 kennen. Die
Jahre von 1965 bis 1975, also die ersten zehn Jahres, dienten meiner
äusseren, wie auch meiner inneren Entwicklung.
Da mir vorgeschrieben war, den
Weg des Heilers zu gehen, hatte ich in dieser Zeit durch ein Studium als
Heilpraktiker und den späteren Aufbau einer Heilpraxis zunächst
vordergründig den äußern Aufbau zu bewältigen. Das heißt aber nicht,
dass der wichtige und eigentliche maßgebende innere Aufbau nicht
entwickelt wurde. Nur bezog sich diese Entwicklung in der Hauptsache auf
Selbstdisziplinierung, Konzentration, Meditation, Kontemplation, weitere
Ausbildung in gewissen okkulten Disziplinen etc.
Zehn Jahre brauchte ich also zunächst, um erst den Einstieg zum Kamin zu
finden. Dabei darf ich nicht unerwähnt lassen, dass durch den bereits
beschriebenen Unfallschock und mein körperliches Austritterlebnis bei
mir die Kundalini bereits auf eine unbewusste Art und Weise geweckt war.
Nur durch die Hinführung zu einem Meister konnte dann diese bereits
geweckt die Kraft, welche aber sicher für mich negativ geendet hätte, in
positive Bahnen gelenkt werden.
Nach Ablauf der zehn langen Wartejahre konnte ich dann mit Gustav
Meyrink sagen: „Wie der Ast von Früchten, welche lange im Verborgenen
Blüte, nun von einem Tag auf den andern in mein Dasein ragte.“ Nach
einer Auslandsreise im Januar/Februar 1975 wurde mir von Frater
Tiberianus mitgeteilt, dass der Zeitpunkt gekommen wäre, den inneren
Geistesweg von Seiten der älteren Brüder auf eine Stufe der großen
Verklärung zu bringen.
Wie Sie aus meinen Ausführungen im Kapitel“ Umstellen der Lichter“
entnehmen konnten, begann jetzt eine Zeit der inneren Reinigung, wie sie
nur durch den Aufstieg der Kundalini möglich ist. Ich hatte in vielen
Gesprächen mit Frater Tiberianus und durch Lesen der einschlägigen
Literatur vieles gelernt über diesen Reinigungsvorgang, aber als diese
dunkle Nacht, wie Johannes vom Kreuz die große Katharsis nennt, über
mich hereinbrach, hat sie alle Erwartungen weit übertroffen. Nie hätte
ich geglaubt, dass ein menschliches Wesen solchen Inneren, seelischen
Leiden ausgesetzt werden kann.
Johannes vom Kreuz sagt in seiner dunklen Nacht:“ Da leiden Sinne und
Geist, als ob sie von einer ungeheuren, dunklen Last zu Boden gedrückt
würden, und sie geraten in solche Todesängste, dass Sie gern den Tod als
eine Erleichterung und Begünstigung wünschen.“ Nach der symbolischen
Umstellung der Lichter, welche nur die Einleitung zu diesen furchtbaren
Seelenqualen war, wurde ich von einem Abgrund in den andern gestürzt. Es
ist wie eine schwere Krankheit, doch können Ärzte nichts finden und auch
nicht helfen. Nur ständiges Gebet und flehen zu Gott, er möge in seiner
großen Güte Barmherzigkeit diesen Zustand erträglich machen, ist der
einzige Trost, welcher da und dort diese dunkle Nacht der Seele mit
einem Lichtpunkt erhellt.
Ist durch den Aufstieg der göttlichen Kundalini endlich das Herz-Chakra
erreicht, so ist auch die Kraft bis zum Todes-Chakra oder Jenseits-Chakra,
wie es von manchen Autoren bezeichnet wird, vorgedrungen. Dieses
untergeordnete Chakra liegt genau dem Herzchakra gegenüber, ungefähr auf
der Höhe zwischen den Schulterblättern im Rücken. Dann erst kann der
mystische Tod eintreten. Waltharius, ein Eingeweihter, schreibt dazu in
seinem Buch „Mystik, das letzte Geheimnis der Welt“ folgendes:“ Das ich,
welches sich als Gegensatz zum höheren Selbst im Körper schon seit den
frühesten Lebenstagen ausgebildet hat, ständig wuchs,
Persönlichkeitscharakter annahm und nun bereits den Körper beherrscht,
dass selbst unterjocht und das ganze Leben mit seinen nie enden
wollenden Wünschen und Leidenschaften überschattet, dieses Ich muss
erkannt werden, es muss aufgelöst werden vom Selbst, welches wieder zu
sich fand und sich seine Grösse bewusst wurde.“ Und dieser
Ersterbungsprozess des Ichs,
diese allmähliche Ich Auflösung, bringt so unerhört, entsetzliche
Ängste mit sich, dass man sie kaum schildern kann.
Es ist die Angst vor dem Tode, dem das Ich Angesicht in Angesicht
gegenübersteht und den es infolge der Kraft, die man entfesselt hat, nun
auch tatsächlich in letzter Konsequenz als eine Realität erleiden muss.
Hinzufügen möchte ich noch, dass der normale, irdische, also physischen
Tod in keinem Vergleich dazu steht, denn hier stirbt nur der Körper, und
der Mensch behält all die charakterlichen Eigenschaften seines Ichs bei.
In mystischen Tod, besser gesagt, bis dieser Eintritt, stirbt das Ich,
welches in der Seele empfunden wird, und zwar voll bewusst.
Vier Jahre dauerte in meinem Fall die dunkle Nacht der Seele; erst am
Karfreitag, den 13. April 1979, trat ich in den mystischen Tod ein,
welcher drei Tage dauerte. Alle Empfindungen, die ich hierbei erlebte,
sind zu persönlich, als dass ich sie hier mitteilen könnte. Doch möchte
ich hier nochmals Waltharius zitieren, er schreibt in seinem Buch
„Mystik, Zen und farbige Schatten“ . „Gott wohnt in einem Licht, in das
keine Kreatur gelangen kann; hat die Seele das erkannt, fängt sie an,
sich selber zu empfinden, geht ihren eigenen Weg und sucht nicht mehr
nach Gott – und hier erst stirbt sie Ihren höchsten Tod.“ So findet sie,
dass Sie das selber ist, was sie suchte, ohne es zu erreichen. Nun
endlich findet Sie in dem höchsten Urbild, darin Gott lebt und webt, mit
aller seiner Gottheit – wo er sein eigenes Reich ist – sich selbst.
Hier erkennt die Seele Ihre eigene Schönheit. Nach dem mystischen Tod,
welcher auch die Physis sehr angreift, brauchte ich lange, um ein
körperliches und seelisches Gleichgewicht wiederzufinden. Wieder gingen
zweieinhalb Jahre ins Land, und in der Nacht vom 9. zum 10. August 1981
durfte ich die große Licht- verklärung erleben. Wie eine gewaltige
Lichtexplosion erlebte ich diese Wiedergeburt im Licht. Kein Mensch,
welcher nicht am eigenen Leibe erfahren hat, wie dieses große Versinken
im dieses helle, weise Urlicht die Seele in einem Bruchteil von Sekunden
verwandeln kann, kann nachempfinden, was dieser gewaltige Vorgang in
einem Menschen auslösen kann. In Worten lässt sich das nicht schildern,
und alle, welche das vor mir versucht haben, mussten diesen kläglichen
Versuch, etwas in Worte zu fassen, wofür es kein Vokabular gibt,
aufgeben. Ich möchte deshalb nur auf Psalm 100, Vers 1 – 3, hinweisen,
wo es heißt: „ Jauchzet dem Herrn, alle Welt diene dem Herrn mit
Freuden, kommt vor sein Angesicht mit frohlocken, erkennt, dass der Herr
Gott ist. Er hat uns gemacht, und nicht wir selbst, zu seinem Volk und
zu seinen Schafen seiner Weide.“
Frater Gragorianus