«Wer es besitzt, das mennigrote Buch, die Unsterblichkeitspflanze, das
Erwecken des geistigen Atems und das Geheimnis, wie man die rechte Hand
lebendig macht, der löst sich mit dem Leichnam. Ich
haben dir Beispiele von Menschen vorgelesen, die sich gelöst haben, damit
dein Glaube gestärkt wird durch das Hören, dass es andere vor dir gab, die
es vollbrachten.
Zum selben Zweck steht im Buch der Schriften das Ergebnis von der
Auferstehung des Jesus von Nazareth. Nun aber will ich dir berichten vom Geheimnis der Hand, vom Geheimnis
des Atems und vom Lesen des mennigroten Buches.
Es heisst das mennigrote Buch, weil nach altem Glauben in China das Rot die
Farbe der Gewänder der höchsten Vollkommenheit ist, die zum Heile der
Menschheit auf der Erde zurückbleiben.
So wie ein Mensch den Sinn eines Buches nicht erfassen kann, wenn er es nur
in der Hand hält, oder die Seiten umblättert, ohne sie zu lesen, so bringt
ihm auch der Ablauf seines Schicksals keinerlei Gewinn, so er den Sinn nicht
erfasst, die Geschehnisse folgen einander wie Blätter eines Buches, die der
Tod umwendet; er weiss nur: sie erscheinen und verschwinden, und mit dem
letzten ist das Buch zu Ende.
Er weiss nicht einmal, dass es von neuem aufgeschlagen wird immer wieder,
bis er endlich lesen lernt. Und solange er das nicht kann, ist das Leben für
ihn nur ein wertloses Spiel, gemischt aus Freude und Leid.
Wenn er aber endlich die lebendige Sprache darin zu begreifen beginnt, dann
schlägt sein Geist die Augen auf und fängt an zu atmen und liest mit. Dieses
ist die erste Stufe auf dem Weg zur Lösung des Leichnams, denn der Leib ist
nichts anderes als erstarrter Geist; er löst sich, wenn der Geist zu
erwachen beginnt, wie Eis in Wasser zergeht, wenn dieses zu sieden beginnt.
Sinnvoll in der Wurzel ist jedes Menschen Schicksalsbuch, aber die
Buchstaben darin tanzen wirr durcheinander für jene die sich nicht die Mühe
nehmen, sie ruhevoll zu lesen, einen nach dem andern und so, wie sie gesetzt
sind.Das
sind die Hastigen, die Raffgierigen, die Ehrgeizigen, die
Pflichtvorschützer, die vergifteten vom Wahn: ihr Schicksal anders gestalten
zu können, als es der Tod in das Buch geschrieben hat.
Doch wer dem Umblättern, dem müssigen Kommen und Gehen der Seite keine
Beachtung mehr schenkt, sich nicht mehr darüber freut und nicht mehr darüber
weint und wie ein aufmerksamer Leser gespannten Sinnes Wort um Wort zu
verstehen strebt, dem wird alsbald ein höheres Schicksalsbuch aufgeschlagen,
bis als letztes und höchstes für ihn als Erwählten das mennigrote Buch vor
ihm liegt, das alle Geheimnisse birgt.
Das ist der einzige Weg, dem Kerker des Fatums zu entrinnen; jegliches
andere Tun ist ein qualvolles, vergebliches Zappeln in der Schlinge des
Todes. Die Ärmsten im Leben sind die, die vergessen haben, dass es eine
Freiheit jenseits des Kerkers gibt, - die, im Käfig geborenen Vögeln gleich,
zufrieden beim vollen Futternapf, das Fliegen verlernt haben. – Für sie gibt
es nimmermehr eine Erlösung. Unsere Hoffnung ist, dass es dem grossen,
weissen Wanderer, der auf dem Wege ist herab in die Unendlichkeit, gelingen
möge die Fesseln zu brechen.Das
mennigrote Buch aber werden sie nimmermehr schauen. Wem es aufgeschlagen
wird, der lässt auch in höherem Sinne keinen Leichnam mehr zurück; er reisst
ein Stück Erde hinein ins Geistige und löst es darin auf.So
arbeitet er mit am grossen Werk göttlicher Alchimie; er wandelt
Unendlichkeit in Ewigkeit. - - -