Das Leben ist kurz und vergänglich und Ereignisse fliehen rasend an uns
vorüber. Es war! Dies ist im Stillen der immer wiederkehrende
Ausruf von tausenden von Menschen, die das Glück nicht in sich selbst
besitzen, die in den sich bietenden Vergnügen vergangener Tage die
Befriedigung erhofften, die ihr suchender Geist verlangte. Aber da sie
nicht erkennen wie und wo diese dauernde Befriedigung zu finden ist,
vielmehr da sie gar nicht wissen, dass es eine dauernde Befriedigung
gibt, so stützt sich ihre ganze Hoffnung auf irgend ein anderes,
vergängliches Ding in der Zukunft, das aber, wenn herangekommen, ebenso
rasch verschwindet wie das vorhergehende.
So schwankt der Mensch fortwährend hin und her, zwischen Suchen und
Finden, Ruhe und Unruhe, Langeweile und Kurzweile, Frieden und Sorgen,
Glück und Unglück, Freud und Leid. Nie kann er sich an etwas festhalten,
weil er sich immer und immer wieder an dem Wechselvollen, an Täuschungen
festhalten will, an Masken, woraus ja die ganze äusserliche, sichtbare
Welt besteht.
Er hört den Mahnruf nicht, der ihm von den Grossen, von den
Erleuchteten, die in der Welt gelebt haben, zugeht. Und wenn er nicht
gewaltsam durch Schicksalsschläge zum geistigen Erwachen gebracht wird,
so träumt er ruhig weiter bis zu seinem Lebensende.
Aber dann auf dem Totenbett, kommt er schliesslich wiederum auf reale
Gedanken, dann taucht vielleicht in verstärktem Masse wiederum die wenig
tröstliche Idee der Vergänglichkeit in ihm auf: Es war, und zwar
zum letzten Male in diesem Leben und es geht ihm, sei er von der
Unsterblichkeit überzeugt oder nicht, die durchgreifende Erkenntnis auf,
dass eigentlich nur das, was ist, was man dauernd besitzen kann,
wirklich wert hat.
In dieser Stunde kommt gewiss jeder Mensch zu einer höheren Besinnung
und sei es nur für einen Moment. Und sei es da nur ein matter Funke, der
in ihm aufblitzt. Und in diesem Moment ist dann der Mensch ein ganz
anderer, als er sein ganzes Leben lang war. Er begreift Dinge, für die
er während seines irdischen, maulwurfartigen Daseins blind und taub war,
er tritt ein klein wenig heraus aus dem Schleider der Maya, aus dem
Bannkreis seiner Beschränktheit.
Und dann gelangt ihm ferner zum Bewusstsein, so ganz im Geheimen, dass
er eigentlich während des Lebens nie das erlangt hatte, was er in
Wirklichkeit zu besitzen suchte, nämlich das wahre Wesen der Dinge, das
bleibende von allem, das Leben selbst, das durch den äusseren
wechselnden Schein, der den Suchenden irreführt, verhüllt ist.
Da dieses wahre Wesen der Dinge nur eines ist: Die Einheit in allem, so
ist es auch im Menschen. Es ist sein eigenes, unsterbliches göttliches
Selbst. Was der Mensch also zeitlebens immer auch sucht, ist sein
eigenes göttliches Selbst. Weil aber diese eine alldurchdringende
Essenz, die in und ausser allen Dingen ist, alles belebt und erhält, so
ist sie das unsterbliche Lebensprinzip im Weltall zu nennen, das nie
sterben kann, sondern nur seine Äusserung ändern.
Von weisen Indern wird dieses Leben Jiva genannt. Mit ihm sich im Willen
zu vereinigen, vielmehr zu identifizieren, bringe den Menschen zum
Bewusstsein seiner Unsterblichkeit, mache ihn zu einem wirklichen
Mystiker und gebe ihm das sogenannte Lebenselixier zur Hand, von dem die
folgenden Ausführungen handeln sollen.
Unsere Folgerungen bauen sich auf das Vorhandensein eines
alldurchdringenden Lebensprinzips im Weltall auf, das offenbar schon
Paulus kennt, wenn er sagt: In ihm leben, weben und sind wir. Nur
verhältnismässig wenige Gelehrte anerkennen heutzutage das Vorhandensein
einer Lebenskraft, eines Lebensprinzips im Raum, das unabhängig von
allen äusserlich wahrnehmbaren Dingen existiert, unberührbar und
unzerstörbar. Aber darauf kommt es ja nicht an, ob etwas allgemein
anerkannt wird oder nicht. Im Gegenteil, man weiss zur Genüge, dass die
Wahrheit nur von Wenigen erkannt wird, während die Menge darüber lacht,
anstatt nachzudenken. Paulus spricht auch hiervon, nämlich, dass es
immer nur einige sind, die reif für das Höhere sind, und an diese wendet
er sich und sagt: Davon wir aber reden, das ist dennoch Weisheit bei
den Vollkommenen, nicht eine Weisheit dieser Welt, auch nicht der
Obersten dieser Welt, die vergehen, sondern wir reden von der
heimlichen, verborgenen Weisheit Gottes, die Gott verordnet hat von der
Welt zu unserer Herrlichkeit.
Um über das Lebenselixier zu sprechen, ist es, wie gesagt, nötig,
dass man das Vorhandensein eines Lebensprinzips im Weltall als
eine selbstverständliche Sache anerkennt. Logische Beweise können ja
genügend angeführt werden, z.B., auf dem Gebiete des Wachstums, der
Fortpflanzung, der Wirkung der Arzneimittel auf Gesundheit und Krankheit
– die homöopathische Heilweise gründet sich auf das Vorhandensein eines
Lebensprinzips, noch deutlicher die magnetische Heilweise.
Weitere Belege kann man finden auf dem Gebiet der Suggestion und was
damit zusammenhängt. Denn das sich-empfindungslos-machen der Fakire oder
die Kunst, das Herz stille stehen zu lassen, die Levitation oder
Aufhebung der Schwerkraft.
Das Lebenselixier wurde schon jeher als eine geheimnisvolle
Essenz bezeichnet, die einem Menschen, wenn er sie erlangen kann,
neues Leben, ihm sogar Lebenskraft in unerschöpflicher Menge
gäbe, wodurch er nicht nur sein Leben bedeutend verlängern, sondern auch
seinen alt und morsch gewordenen Organismus wieder gänzlich regieren
könne. Besonders die Mystiker und Alchemisten des Mittelalters
redeten und schrieben sehr viel darüber, weshalb sie vielleicht jetzt so
vielfach verlacht werden. Aber stossen wir uns an diesem Umstand nicht
und forschen weiter nach, vielleicht finden wir heraus, ob die Lacher
auf der Seite der Klugen oder Dummen stehen.
H.P. Blavatsky hat gründlich nachgewiesen, dass die Schriften der wahren
Mystiker und Alchemisten des Mittelalters nicht äusserlich, sondern
symbolisch aufzufassen sind und ähnlich wie die Bibel und andere
mystische Schriften, wenn diese symbolisch aufgefasst werden, eine tief
philosophische Bedeutung bekommen.
So war unter der Bereitung von Gold auf dem alchemistischen Weg nicht
das materielle Gold gemeint, sondern das Gold der Weisheit, das aus den
niederen Begierden des Menschen, den Metallen, herauswachsen soll. Die
Retorte war hierbei der Mensch selbst.Das
Lebenselixier war nicht eine mysteriöse grünliche Flüssigkeit, sondern
eine geistige magische Kraft, die im Menschen erwacht, wenn er
das Rezept dazu anwendet. Erst die Nachfolger und Nachäffer, die
Karrikaturen der ursprünglichen Meister dieser Dinge, irregeleitet durch
die symbolische Sprache dieser Schriften, verbunden mit dem Egoismus
ihrerseits, brachte den grossen alchemistischen Unsinn und Schwindel
zutage.
Das wahres Lebenselixier ist also eine verborgene, aber mächtige
geistige Kraft, die in einem solchen Menschen erwacht,
der nach Vereinigung mit dem
Allselbst, dem All-Leben, mit dem Selbst aller Dinge und deshalb mit
seinem eigenen höheren Selbst, mit dem Christus in ihm, strebt. Schon in
der Bibel ist dies durch verschiedene Verse symbolisch angedeutet, z.B.
: Wer den Sohn hat, der hat das ewige Leben. Und an anderer Stelle: Wer
da lebt und glaubt an Mich, der wird nimmermehr sterben.
Natürlich ist unter diesem Glauben nicht ein äusserliches Anerkennen zu
verstehen, sondern eine tiefgreifende Erfahrung, eine Veränderung des
geistigen und sogar körperlichen Menschen, körperlich in physiologischem
Sinne. Sie wird in der mystischen Sprache oft als geistige Wiedergeburt
verstanden, jedoch durchaus nicht bloss in dem Sinn von Sinnesänderung.
Wie sehr real die Sache ist wird uns vielleicht klarer mit dem jetzt
folgenden Teil unserer Abhandlung.
Die Ursache des Todes des Menschen ist nach der okkulten Philosophie
nicht der Mangel an Lebenskraft, sondern das Übermass. Dieser Satz
scheint ein Unsinn zu sein. Da wir aber wissen, das uns die ganze Welt
verkehrt erscheint, weil sie nur nach dem äusseren Schein beurteilt, so
wollen wir uns doch herablassen und sehen, ob die obige Behauptung
logisch möglich sein kann.
Sobald wir ein selbständig für sich bestehendes Lebensprinzip, also eine
unsichtbare, aber dennoch äusserst zähe und zugleich bewegliche Materie
anerkennen, ist das Rätsel gelöst. Die Essenz ist eine Einheit im Raume,
erfährt aber in einem lebenden Organismus ein Spezialisierung oder eine
Modifikation. Dadurch wird derjenige Teil des Lebensprinzips, der in dem
betreffenden Organismus tätig ist, sozusagen vom grossen Ganzen
abgesondert. Der betreffende Mensch, bzw. das Tier, steht dann nicht
direkt mit dem All-Leben in Verbindung, sondern ist im Gegenteil von ihm
abgeschnitten. Durch seinen eigenen Sonderwillen, seine Charakteristik,
sein verschiedenes Empfinden vom grossen Ganzen, verhindert er selbst
das freie Ein- und ausströmen des Lebensprinzips oder Prana.
Dieses Abparieren des von aussen eindringenden Lebensstromes erfordert
nun 1. Eine enorme Willensanstrengung und einen Kraftverbrauch, von dem
aber der Mensch keine Ahnung hat. 2.
Verursacht es, dass der Mensch das mächtige und unerschöpfliche
Lebensprinzip nicht frei zur Verfügung hat, sondern auf beschwerlichen
Umwegen Lebenskraft an sich ziehen muss, um eben leben zu können. Und
dies geschieht dann in Form von Nahrung, Flüssigkeit, Luft, Licht,
Medizin und Magnetismus.
Aber auf die Dauer geht das nicht. So wie die Wände eines luftleer
gemachten Gefässes nicht auf die Dauer dem ungeheuren Druck von aussen
standhalten können, so wird auch der Mensch nicht dauernd die
Willensabsonderung vom Ganzen aufrecht erhalten können. Und da er nicht
nachgibt, so muss sein Organismus gewaltsam und viel früher morsch
werden, als dies sonst notwendig wäre. Der Mensch stirbt also durch die
Übermacht des Lebensprinzips, das von aussen auf ihn eindringt. Aber
nun, um unser Beispiel beizubehalten, wird eine Öffnung in das luftleere
Gefäss gemacht, so strömt die Luft ein, und die Spannung wird behoben.
Ebenso beim Menschen. Könnte er in seinem Sonderwillen ein Loch machen
und dadurch seinen Willen mit dem All-Willen total indentifizieren, so
dass der Mensch für sich selbst eigentlich nichts mehr ist, wenigstens
nicht in seinem Willen, könnte er alle seine persönlichen Begierden,
Leidenschaften, Sonderinteressen, ja sich selbst gänzlich vergessen, um
statt dessen für das Ganze zu denken, wollen, fühlen und handeln, ja
selbst atmen, für das Wohl der ganzen Menschheit zu arbeiten und jedes
Sonderinteresse ausschliessen, dann würde das universelle Leben in ihn
einströmen und er würde dann voller Leben. Vollkommen hätte er sozusagen
die Macht des Todes gebrochen, denn sein Leben wäre mit dem Leben ausser
ihm verschmolzen, er könnte deshalb das Lebensprinzip direkt nach Bedarf
in sich einsaugen, er könnte sozusagen direkt Leben einatmen, worüber
nachher noch näheres gesagt werden soll. Ein solcher Mensch wäre dann
selbstverständlich auch voller Liebe gegen jedes lebende Wesen, denn er
fühlt es als einen Teil von sich selbst. Er wäre ein Adept, ein
Gottmensch, wie solche tatsächlich hier und da, allerdings selten, aber
dennoch zu allen Zeiten gelebt haben.
Man denke nur an einen Jesus, Buddha, Laotse und forsche nach, ob diese
nicht dies alles gelehrt und zugleich durch sich selbst bewiesen haben?
Wenn diese jedoch frühzeitig gestorben sind, so lag dies nicht an ihrer
Unfähigkeit, ihren Organismus länger zu beleben, sondern an anderen
Ursachen. Diejenigen die hoch entwickelt sind, haben überhaupt keine
Lust, länger auf dieser Erde zu leben, als ihre Mission dauert.
Sehr hoch braucht indessen ein Mensch gar nicht entwickelt zu sein, um
jene Universalkraft, das sogenannte Lebenselixier wenigstens teilweise
in sich aufnehmen zu können.
An vielen Orten der Erde, besonders in Indien, sollen Menschen leben und
gelebt haben, die auf diese Art Ihre Lebensdauer weit über die
Durchschnittsgrenze des normalen verlängert haben. Blavatsky selbst
berichtet von ihren Lehrern, einigen indischen Weisen, ähnliches. Und
berichten nicht die religiösen Überlieferungen vieler Völker von
Menschen, die mehrere hundert Jahre alt wurden? Jedenfalls liegt hier
auch etwas Wahres darin.
Hier darf aber kein Missverständnis Platz greifen durch die Annahme, als
ob des Menschen höchstes Ziel dies sei, hier in dieser Welt recht lange
zu leben und dass man deshalb nach der Adeptschaft strebt um gewisse
Kräfte zu erwerben. Keineswegs. Die Kräfte, die sich bei dieser
Entwicklung einstellen, sind nur Begleiterscheinungen. Das, was der
Schüler im Auge hat, ist das Erwachen seiner Göttlichkeit. Ja die
meisten, die eine gewisse Stufe auf dem Pfad erlangt haben, verzichten
sogar freiwillig darauf ihr Leben zu verlängern, obwohl sie es könnten.
Da diese Abhandlung aber über das Lebenselixier und die Verlängerung des
Lebens speziell handelt so müssen wir diese Punkte natürlich in den
Vordergrund treten lassen. Fragen wir uns deshalb: Wie gelangt der
Mensch auf jene Stufe des höheren Lebens, wo selbst sich der Kanal
öffnet, durch den er direkt die Lebenskraft in sich aufnehmen kann?
Das Leben des Menschen ist kurz, sehr kurz, und wenn er im Alter
zurückblickt, so erscheinen ihm Jahrzehnte wie einzelne Jahre, Jahre wie
Monate. Man kann deshalb leicht begreifen, dass im allgemeinen der
Mensch nicht gern stirbt. Es ist ihm immer zu früh. Man könnte nun
vielleicht annehmen, der Wunsch zu leben sei selbstsüchtig. Darüber
liesse sich viel diskutieren. Wenn dies aber zutrifft, so kann es sich
nur auf solche beziehen, die das Leben nicht als das würdigen was es
ist. Wird das Leben als eine Pflicht aufgefasst oder als eine
Gelegenheit, der endlichen Bestimmung des Menschen entgegenzueilen, so
ist der Wunsch lange zu leben, durchaus berechtigt. Denn nur hier,
während des materiellen Daseins, ist Gelegenheit zum geistigen
Fortschritt geboten. Unsere Aufgabe ist ja, mitten drin in der
sinnlichen Welt das Sinnliche zu überwinden. Denn wenn der Mensch einmal
vom materiellen losgetrennt ist, ist die Gelegenheit vorbei. Es ist also
einerlei, ob wir an ein bewusstes Dasein nach dem Tode glauben oder
nicht.
Nur hier während des Lebens ist Gelegenheit zum wirklichen Fortschritt.
Es ist also für jeden Menschen von grossem Interesse, möglichst lange zu
leben. Vielfach werden von Ärzten Physiologen usw. Theorien aufgestellt,
wonach die Dauer des Lebens enorm verlängert, ja sogar der Tod auf
Jahrtausende verschoben werden könne. Aber mir ist nicht bekannt, dass
sich solche schon praktisch bewährt hätten. Sicher kann man ja durch ein
naturgemässes, regelmässiges Leben seine Lebenszeit um einiges
erweitern, aber möchte behaupten, dass rein mechanische, diätische
Hilfsmittel nicht genügen, dies in verstärktem Masse zu vollbringen.
Der Wille ist es, der ausschlaggebend ist, der das Leben reguliert und
schliesslich die Funktionen des Körpers vollständig unter seine Macht
bekommen kann. Der Wille ist es, der die vererbte Gewohnheit, mit
einem bestimmten Durchschnittsalter zu sterben überwinden kann.
Unter diesem Willen zu leben, verstehe ich nicht den Wunsch zu leben
sondern eben den Willen. Dies sind zweierlei grundverschiedende Dinge.
Der Wunsch entspricht dem Zweifel, aber der Wille ist der Anfang einer
okkulten Geisteskraft und er wird magisch, wenn er potenziert, erhöht
oder verstärkt wird. Man kann ihn magisch oder anders ausgedrückt,
hypnotisch auf den eigenen Körper einwirken lassen. Von Blavatsky –
entnommen aus Lotusblüten von Franz Hartmann glaubte man einst, dass sie
sterbe. Die Ärzte bekannten, dass es ihnen noch nie vorgekommen sei,
dass jemand mit einer so schweren Nierenerkrankung noch am Leben bleiben
könne und sie behaupteten, wie würde keine 24 Stunden mehr leben. Und
dennoch stand sie am anderen Morgen wie plötzlich gesund geworden auf
und schrieb noch zwei Jahre an Ihrer Geheimlehre, jenem eminenten Werke,
das die ganze Gelehrtenwelt in Erstaunen setzen würde, wenn sie es
beachten wollte.
Um also zu leben und das Leben zu betonen und seine Dauer zu verlängern,
haben wir zuerst einen festen, geistigen Willen zu entwickeln, eben den
Willen zum Leben. Dann muss dieser Wille magisch gemacht werden, wodurch
der Mensch den Körper in hohem Grade unter seine Macht bekommt. Das ist
das schwierigste. Es geschieht dadurch, dass man den Willen nach und
nach von allen niederen Regungen, zornigen Anwandlungen, tierischen
Instinkten und antipathischen Empfindungen abzieht, ablenkt und auf ein
höheres Niveau, das Niveau des Geistes überträgt. Dann wir der tierische
Wille ein geistiger Wille und beherrscht den ganzen tierischen
Organismus.
Um dies nun mit Erfolge zuwege zu bringen, gehört schon ein gewisser
geistiger Tiefblick dazu und dieser Tiefblick muss sehr gründlich sein,
gebildet aus gewichtigen Erfahrungen und Einsichten, ja sogar gewonnenen
Erkenntnis muss bereits in Fleisch und Blut übergegangen sein, um das
Erkannte auch ins Praktische umwandeln zu können.
Begreifen kann man diese Theorie vielleicht leicht, aber nicht so leicht
erfassen. Dies war auch der Grund, warum früher derlei Dinge den
Profanen vorenthalten wurde, denn sie hätten sie nur entheiligt. Nur
diejenigen wurden mit den okkulten Gesetzen vertraut, die dazu reif
waren. Wer also die nötige Überzeugung und Reife in sich fühlt, der wird
auch das Obige auszuführen gewillt sein. Man kann es systematisch
durchführen und es mag jetzt angebracht sein, verschiedene Andeutungen
anzuführen, deren Beachtung die Sache erleichtern kann.
Vor allen Dingen hat man sich ein für allemal anzugewöhnen, seine Kräfte
nicht willkürlich und unbesonnen zu verschwenden, sondern sie überall
zweckmässig und sparsam zu verwenden, so wie die Natur dies auch tut.
Dann wird man lernen, nach und nach eine unnötige Gewohnheit nach
der anderen abzulegen. Es ist dies eine Art äusserlicher
Läuterungsprozess, der je nachdem kürzer oder länger dauert, bis man
schliesslich ein einfach, natürlicher Mensch geworden ist. Dies ist die
Vorarbeit und zwar eine unvermeidliche. Es handelt sich nämlich vorerst
darum, allen überflüssigen Ballast wegzutun und sein ganzes Interesse
auf das Ziel zu lenken.
Hat der Schüler diese Stufe erreicht, dann beginnt die Hauptarbeit,
nämlich die Kontrolle der Gedanken. Um den Willen vom Niederen
abzulenken und mit dem All-Leben zu verschmelzen, muss man zuerst seine
Gedanken völlig beherrschen und in der Gewalt haben. Denn es wird keinem
Menschen gelingen, seine niedere Natur zu überwinden, solange sie nicht
aus seinem Gedankenleben völlig entschwunden ist.
Denn wenn einmal der Gedanke an etwas Wünschenswertes da ist, dann ist
die Tat nur noch eine Frage der Zeit. Dies sehen wir schon daraus dass,
wenn wir eine neue Denkrichtung beginnen, wir noch eine Zeitlang mit den
Folgen unserer alten Gedanken zu kämpfen haben. Gedanken sind
selbstgeschaffene Kräfte. Der Gedanke vom Willen beseelt, ist
schliesslich selbst eine Tat. Er ist eine Tat, sobald er zum Wunsch, zur
Absicht wird. Wie viele unnütze Gedanken-Taten der Menschen auf diese
Art während seines Lebens begeht, ist wohl kaum zu beschreiben. Und
hier, auf diesem Felde verbraucht der Mensch den grössten Teil seiner
Kräfte, was zur Verkürzung seines Lebens beiträgt.
Halten wir uns hier ein klein wenig auf: Beim gewöhnlichen Menschen ist
das Gehirn der Apparat, an welchen sein Bewusstsein während des Lebens
gebunden ist. Da er sich ohne dasselbe nicht bewusst sein kann, so muss
er es auf der Höhe der Tätigkeit erhalten. Eine Haupttätigkeit des
Gehirns beim Menschen ist aber die Denkfunktion, vielmehr das Umschalten
von Gedanken in Empfindungen, und so ist der Mensch gezwungen,
fortwährend zu denken, wenn er leben und wachsen will, denn in die
nächst höhere Sphäre der Gedankenruhe kann er sich noch nicht
erheben. So erfordert die Denkfunktion des Gehirns viele Kräfte und
Anstrengung. Aber dies wäre immerhin nicht von so grossem Belang, wenn
nicht noch etwas anderes dazukäme.
Das Gehirn steht mit dem ganzen Nervensystem des Menschen in Verbindung
und manche Gedanken haben die Eigenschaft, sofort in das Gefühlsleben
des Menschen überzugehen, dadurch das Nervensystem in grossen Anspruch
zu nehmen und das Blut in Wallung zu bringen, was wiederum auf
verschiedene Organe oder gar auf alle Organe zehrend, störend und
schädigend wirkt. Und
hierdurch werden wiederum enorme Kräfte verbraucht, denn der Organismus
ist fortwährend in Anspruch genommen durch die Notwendigkeit nach
Ausgleich zu streben, die Ruhe wiederum herzustellen. Was für Gedanken
dies sind, die solcherlei Empfindungen hervorrufen, dürfte allgemein
bekannt sein: Hass, Zorn, Neid, Begierde, Leidenschaft, Eifersucht,
Fanatismus usw. – nicht Liebe, denn dies wirkt ernährend, wenn sie im
Geiste wurzelt.
Ein Mensch also, der von all diesen schädigenden Empfindungen frei wäre,
der würde allein schon eine grosse Summe Kraft sparen und könnte gewiss
dadurch seine Lebenszeit bedeutend verlängern, auch ohne dass er das
eigentliche Lebenselixier gefunden hätte. Also nicht nur durch
körperliche Arbeit verbraucht der Mensch die meisten seiner Kräfte,
sondern durch sein niederes Empfindungsleben. Nicht körperliche
Anstrengung verkürzt das Leben so sehr, ja dies nur wenig.
Es sind hauptsächlich die verbrennenden und versengenden
Empfindungswallungen. Eine jede solche Wallung – und aus solchen ist ja
ist das Bewusstsein und Existenzgefühl eines Alltagmenschen lediglich
zusammengesetzt – ist ein gewisser Verbrennungsprozess, der denjenigen
der Muskelanstrengung bei weitem übertrifft, da er nicht nur verzehrt,
sondern auch verschliesst.
Dass hitzige oder dämonische Erregungen auf die Lebensdauer einwirken,
sehen wir ja auch bei manchen Tieren ausgedrückt. So viel mir bekannt
ist, werden Tiere, bei denen das leidenschaftliche Element besonders
hervortritt, nicht sehr alt, während man bei andern, die ein mehr
ruhiges Temperament besitzen, oft ein sehr hohes Alter konstatiert, wie
z.B. die Schildkröte, dem Schwan, dem Elefant, dem Karpfen, dem Raben,
Dem Krokodil, die alle über 100 Jahre, teilweise bis zu 300 Jahre alt
werden sollen. Ich führe dies nur an, wir wollen weiter kein Beispiel an
den Tieren nehmen, da uns das Leben des Menschen genug Analogien bietet.
Das Tier ist unausweichbar seiner ihm angeborenen Natur bzw. der in ihm
auftauchenden Erregungen unterworfen, während der Mensch sich selbst
verwalten lernen kann und zwar vermöge der Beherrschung der Gedanken.
Beim Menschen sind, ich möchte sagen, alle bewussten Erregungen und
Empfindungen mit Vorstellungen oder Gedanken verbunden, und wenn er
imstande wäre, diese entsprechenden Gedanken nicht aufkommen zu lassen,
so würde auch die Erregung ausbleiben, dazu ist ein Tier nicht fähig.
Wenn z.B. der Mensch zornig wird, so kommt zuerst der Gedanke und dann
der Zorn. Beim Hund kommt gleich die Leidenschaft. Vielleicht ist es
möglich, dass auch beim Hunde eine mehr oder weniger deutliche
Vorstellung damit verknüpft ist, aber dies ist sicher, wenn ein
bewusstes Wesen je seine Gedanken und Empfindungen beherrschen lernen
kann, so ist es nur der Mensch. Denn dies gelingt nur vermöge der
Erkenntnis, dass es noch etwas höheres gibt als leidenschaftliche
Gefühle. Kein Tier hat
diese Erkenntnis, ja verhältnismässig nur wenige Menschen. Der Mensch
benützt sogar oft seine Denkfähigkeit um leidenschaftliche Gefühle nach
belieben hervorzurufen und dadurch kommt er noch tiefer zu stehen als
selbst das Tier. Es gibt Menschen die sind ihre ganzes Leben lang voller
Zorn und Gehässigkeit, die sie in sich selbst, ohne äussere Ursache
ausbrüten, was bei einem Tier nicht der Fall ist. Dies alles, und noch
vieles andere, zehrt mächtig an ihrem physischen Organismus und verkürzt
ihr Leben.
Wer dagegen Gedankenbeherrschung übt, der erübrigt sich sehr viele
Kräfte für die Erhaltung seines Organismus. Allerdings erfordert es auch
grosse Anstrengung, bis man darin einige Festigkeit erlangt hat und man
kann faktisch inzwischen sterben. Aber sobald eine gewisse Stufe
erreicht ist, geht es von selbst, und der Strebende wird merken, dass
ihm nach und nach ein gewisser Kraftzuschuss zuströmt, der ihm frei zur
Verfügung steht.
Und jetzt beginnt ein grosser Übergangspunkt in der Entwicklung,
vorausgesetzt, dass der Schüler durch diese Vergünstigung der erneuten
Kraft nicht verführt wird, lässig zu werden, stehen zu bleiben oder gar
zurück zu taumeln und den Vorteil zu missbrauchen.
Der Schüler kann nun versuchen, die direkte Verbindung herzustellen
zwischen seinem Lebensodem und dem allgemeinen Lebensprinzip im Raume.
Dies kann aber nie auf äusserlichem, mechanischem Wege erlangt werden,
sondern nur auf geistigem, da die Ströme der Lebenskraft nur der
geistigen Willenskraft gehorchen. Und nur durch eine ausdauernde,
selbstbewusste Willensübung des Menschen können sie aus ihrer alten Bahn
in neue Bahnen gelenkt werden.
Es handelt sich also darum die goldene Pforte zu öffnen, die des
Menschen Lebensreservoir von dem grossen Lebensmeere trennt und dies
geschieht dadurch, dass man all sein Wollen, Denken und Fühlen mit dem
Allwillen, mit dem Gesetz oder Gott, was alles ein und dasselbe
bedeutet, zu vereinigen sucht, all seine Begierde und sein ganzes
Bewusstsein auf diese Vereinigung richtet.
Diese Übung nennt man Meditation oder Gedankenkonzentration. Es ist im
gewissen Sinne auch Gebet zu nennen. Hierdurch erlangt man dann die
Fähigkeit, sein Gedankenleben völlig zu beherrschen, ja sogar sich auf
kurze Zeiten gänzlich über jegliche Gedankentätigkeit zu erheben – ein
Rätsel für Materialisten – und dadurch diesem fortwährendem
Kräfteverbrauch des Denkens hier und da gänzlich Einhalt zu gebieten.
Dies gelingt aber erst dann in bemerkbarer Weise, wenn der Strebende das
direkte Einatmen der Lebenskraft gelernt hat worüber näheres gesagt
werden soll.
Wir haben nun vorerst eine kleine Abschweifung zu machen, nämlich in
Bezug auf Diät oder Ernährung. Es lässt sich denken, dass wenn ein
Mensch seine Gedanken dermassen beherrscht, dass er dadurch alle
dämonischen Erregungen und Wallungen des Blutes vermeiden kann, er nach
und nach auch kein Bedürfnis mehr fühlt, solche Nahrungsmittel und
Getränke zu sich zu nehmen, die die Nerventätigkeit und Blutzirkulation
erregen und anormal beschleunigen, wie z.B. Fleisch und Alkohol. Diese
Nahrung verträgt sich nicht mehr recht mit seinem Charakter und er wird
sie nach und nach als überflüssigen Ballast ablegen. Dadurch fällt dann
wiederum ein unnötiger Kraftverbrauch weg, nämlich derjenige, der durch
das Manöver gerade solcher Genussmittel im Körper erfordert wurde.
Es ist augenscheinlich, dass der Lebensprozess sich in die Länge
ausdehnt, wenn er langsam und gleichmässig sich abspielt, dass er aber
kürzer wird, wenn er sozusagen mit Peitschenhieben ausgetrieben wird.
Ein altbekanntes Gesetz lautet: Bei schnellerer Verbrennung grössere
Hitze aber kürzere Dauer des Prozesses, bei langsamer Verbrennung
weniger Hitze aber längere Dauer. Ich möchte nicht durchweg behaupten,
dass jeder Vegetarier ein höheres Alter erreicht als andere Leute. Es
kommt hauptsächlich auf den Charakter des betreffenden an.
Der Geist gibt immer den Ausschlag.
Hier und da liegt aber auch eine gewisse physische Vererbung vor.
Es gibt z.B. sehr vergeistigte Menschen, die könnten gar nicht leben
ohne Fleischnahrung. Sie würden krank und nicht sehr alt werden, wenn
man ihnen dieselbe plötzlich entziehen wollte. Es muss dies nach und
nach geschehen. Und dann darf man den Vegetarismus in diesem Falle nicht
als blosse Magenfrage behandeln. Gleiches zieht gleiches an und bedingt
Gleiches. Ein Wilder bzw. auch ein europäischer Wilder, würde seelisch
und körperlich verhungern, wenn man ihm plötzlich seine gewohnten
Reizmittel entzöge.
Es gibt überhaupt verhältnismässig wenige Menschen, die sich zu einem
blossen Magen-Vegetarismus geeignet fühlen, es müsste da schon eine
demgemässe Erziehung stattgefunden haben. Ja, es gibt wie gesagt sehr
viele edle und geistige hochgesinnte Menschen, die ohne Fleischgenuss
nicht bei Kräften bleiben können, denn das Verdauungssystem der jetzt
lebenden Menschen leidet im allgemeinen auch unter dem Druck der
physischen Vererbung. Die körperliche Konstitution der meisten Menschen
der 5. Rasse ist für den Fleischgenuss geartet. Aber etwas anderes ist
es, wenn der Mensch anfängt, geistig zu streben, theosophisch zu streben
und wenn er die Schwankungen seines Gedankenlebens zu beherrschen sucht.
Dann zerbricht er die aufgedrungenen Fesseln der Vererbung, dann wird
für ihn sicher eine Zeit kommen, wo er von innen heraus gezwungen wird
eine andere und entsprechende Lebensweise und Ernährung einzuhalten. Er
kann gewisse erregende Genussmittel dann gar nicht mehr ertragen, aber
nicht, weil sein Organismus krank oder nervös wäre, sondern weil er
sensitiver, feiner geworden und weil sein ruhiger gewordenes Temperament
mit ihnen in Widerspruch steht.
Ich möchte nun sicherlich nicht für die vegetarische Lebensweise im
allgemeinen Propaganda machen. Denn derartige Reformen speziell zu
fördern, gehört nicht in das Programm der vorliegenden Arbeit, sonst
könnte man schliesslich glauben, um Theosoph zu werden, müsse man zuerst
Vegetarier werden. Auch soll die Sache nicht so aufgefasst werden, dass
wenn jemand Vegetarier ist, dass er auch dann hoch entwickelt sein
müsse. Über äussere Reformen, Lebensformen, Ernährungsweise usw. ziemt
es sich deshalb hier nur insoweit zu sprechen, als diese Dinge mit
Vergeistigung des Menschen, mit der Pflege des höheren Lebens in
Beziehung zu stehen. Ich möchte deshalb folgende Behauptung aufstellen:
Die alkohol- und fleischlose Diät allein kann keinen Menschen zu etwas
besserem machen, aber sie kann sein geistiges, okkultes streben enorm
unterstützen. Und meine Ansicht ist die, dass derjenige, der dieses
Streben hat, gut daran tut, soweit ihm möglich ist, den Genuss dieser
Reizmittel einzuschränken. Zu sagen, dass ein Mensch, der theosophisch
zu denken pflegt, schon allein aus Mitleid den Tieren gegenüber kein
Fleisch essen dürfe, wäre zuviel verlangt, denn er muss auch die
Fähigkeiten besitzen, dies auszuführen, das äussere Wollen allein genügt
nicht. Allerdings bildet sich auch mancher nur des Wohlgeschmacks wegen
ein, diese Fähigkeit nicht zu besitzen.
Für unser heutiges Thema hat nur die Tatsache Interesse, dass der Genuss
von hauptsächlich Fleischnahrung und Alkohol die Beherrschung der
Gedanken hindert und erschwert. Da dieser Genuss selbst Wallungen und
Erhitzungen des Blutes hervorruft, so ist der betreffende Mensch sehr
leicht zu entsprechenden Gedanken geneigt und fällt gewohnheitsmässig in
dieselben. Man kann also sagen:
Akohol und Fleisch dient zur Verstärkung von allen möglichen
Verfinsterungen und Erregungen des menschlichen Gemüts. Es ist nun klar,
dass in diesem Fall eine Beherrschung viel schwieriger auszuführen ist,
als wenn der Organismus frei von all diesen Reizmitteln gehalten wird.
Später allerdings, wenn man einmal eine gewisse Stufe der
Gedankenbeherrschung erlangt hat, können alle körperlichen Einflüsse und
Hindernisse nicht mehr schaden. Denn man wird in seinem Geistesleben
nicht mehr von ihnen berührt. Dies ist aber schon eine sehr hohe Stufe,
jedoch wer diese erlangt hat, der braucht auch keine Reizmittel mehr.
Darüber haben wir nicht zu sprechen. Wer also geistig leicht emporkommen
will, sollte die verschiedenen Genussmittel, wie sie gebraucht werden,
in ihrer Schädlichkeit kennen lernen, wie sie nachteilig auf Körper und
Seele einwirken und er sollte sie dann zu vermeiden suchen.
Ein treffliches Werk, das in dieser Beziehung Aufklärung gibt,
ist: Dr. Haig Diät und Nahrungsmittel.
Kehren wir nach diesen Zwischenbemerkungen wieder zum geistigen Atmen
zurück.
Wenn der Mensch gelernt hat, so ganz und gar in die innerliche
Gedankenruhe einzugehen, wo jede Gedankenabschweifung aufhört und jede
Empfindung schweigt, wodurch jede Willensverschiedenheit zwischen ihm
und dem grossen Ganzen, dem All-Willen, aufgehoben ist, dann ist der
Widerstand beseitigt, der sich dem direkten freien Einströmen des
grossen Lebensstromes entgegen stellte.
Die Schale des persönlichen Sonderwillens ist sozusagen so dünn und
durchlässig geworden, dass sie das Innere mit dem Äusseren in Kontakt
kommen lässt. Und dann beginnen zuerst ganz unmerklich, die ersten
geistigen Atemzüge. Der Schüler hat dann die Fähigkeit, die ätherische
Essenz, das Jiva, das überall im Raum verbreitet ist und dem Hellseher
als milchweisses Licht erscheint, in sich aufzusaugen. Es geschieht dies
nicht durch die Lunge, obwohl es dem Gefühle der Lungenatmung analog
ist, sondern mehr strahlenförmig, die ganze physische Hülle
durchdringend von allen Seiten. Es wird dies der geistige Atem der Yogis
genannt. Wenn bei einem Menschen dieses Atmen ausgebildet ist, so gibt
es für ihn keine Leidenschaften mehr, denn diese können in dieser Luft
nicht existieren. Das physische Lungenatmen dagegen hängt mit Kama, mit
Begierde zusammen.
Darauf ist nun allerdings die unvorsichtige Ausdrucksweise einiger
Schriftsteller über Yoga gegründet, nämlich, dass man den Atem
beherrschen lernen müsse. Damit ist lediglich das bewegliche Element
Kama gemeint, das mit dem physischen Atem in Rapport steht. Wer damit
beginnen will, dass er den physischen Atem anhält, der geht gewaltig
irre.
Immerhin ist das geistige Atmen ein überphysischer Vorgang. Er steht
aber mit dem physischen Körper in Rapport. Die Milz, die ja von den
Ärzten selbst für ein geheimnisvolles Organ gehalten wird hat eine
grosse Rolle bei diesem Prozess zu spielen.
Dass der Mensch noch Organe hat, die in der Zukunft eine hochwichtige
Rolle spielen können, ist keine Unmöglichkeit, sehen wir dies doch auch
im Tierreich. Wir finden dort bei einer Gattung oft Anfänge von Organen,
die bei einer nächsthöheren Gattung vollständig ausgebildet sind und
dort erst in Funktion treten so z.B. die Anfänge von Flügelbildungen,
die Anfänge von Fuss – und Lungenbildungen bei Wassertieren usw.
(Darwin). Viele Arten leben auch in ihrer Jugend in einem ganz anderen
Element als in der zweiten Periode ihres Lebens z.B. viele Insekten. Der
Frosch lebt zuerst im Wasser und atmet durch die Kiemen, dann bekommt er
Lungen, steigt ans Land und atmet Luft.
Könnte es nun nicht beim Menschen im Verlauf langer Zeiträume
eine ähnliche Umwandlung stattfinden? Es wird sicher eine Zeit kommen,
wo sich die Menschheit in einem Übergangsstadium befinden und lernen
wird, nach und nach ein anderes Element einzuatmen. Vielleicht ist es
beim Menschen dann analog dem Verhältnis von verschiedenen
Amphibienarten, in Bezug auf Wasser und auf Luft, nämlich, dass er in
der Jugend nur atmosphärische Luft benötigt und als Erwachsener Äther
atmen lernt.
Wenn so etwas im Entwicklungsprogramm der Menschheit läge, könnten es
bis jetzt nur Einzelne sein, die der Menge vorangeeilt in der
Entwicklung. Und dies ist m.E. tatsächlich der Fall. Wer Äther zu atmen
versteht, kann zweitweise auch ohne Luft leben. Natürlich steht dann für
diese Momente die Lungentätigkeit still und ist die Herztätigkeit
nahezu, wenn nicht ganz aufgehoben. Dass dies nicht nur Theorie ist,
sondern auch praktisch erwiesen ist, ist bekannt. Die vielen Beispiele
von indischen Fakiren, Derwischen und teilweise auch von Europäern
können nicht geleugnet werden. Erst kürzlich kam ein Bericht in den
Zeitungen, wonach ein indischer Okkultist durch sein Experiment das Herz
still stehen zu lassen, die Londoner Ärzte in Erstaunen setzte. Dies
alles kann nur durch das geistige Atmen erklärt werden, wodurch der
Mensch seinen ganzen physischen Körper unter seine Gewalt bekommt.
Vor einem möchte aber jedermann dringend gewarnt werden. Viele verstehen
diese Sache falsch und glauben dadurch das Ziel zu erlangen, dass sie
den Atem der Lunge anhalten oder sonst welche asketischen Manipulationen
machen. Dies ist verkehrt, und es haben sich schon viele körperlich und
geistig zugrunde gerichtet, sie endeten meist im Irrenhaus. Solche
Versuche sind also direkt zu unterlassen.
Eine allgemeine Regel lautet: Man solle nie etwas ablegen wenn man nicht
zugleich einen Ersatz dafür hat. Streben wir nach diesem Ersatz, dann
fällt das anderen von selbst weg. So auch hier. Wir können den
physischen Atem nicht unterdrücken, ohne gesundheitlichen Schaden zu
nehmen, ja wir dürfen nicht einmal den geringsten Versuch dazu machen.
Aber wir können nach einem Ersatz trachten, der den äusseren Atem
überflüssig macht und neutralisiert, und dies ist das geistige Atmen
resp. Ätheratmen. Wie dies erlangt wird, ist ja vorhin angedeutet
worden, nämlich durch die Beherrschung der Begierde. Ich wiederhole
nochmals: Das geistige Atmen ist untrennbar verbunden mit und bedingt
durch vollständige Gedankenbeherrschung. Also beides bedingt sich
gegenseitig. Einen teilweisen Beweis für den Zusammenhang der Gedanken
mit dem Atmen möchte ich beiläufig noch erwähnen. Man könnte einen
solchen darin ersehen, dass der physische Atem und Herzschlag allein
dadurch schon bedeutend ruhiger wird, wenn man konzentriert rein denkt
und in sich gekehrt ist.
Also jetzt nochmals unsere Frage: Was hat der Schüler des höheren Lebens
zu machen? Antwort: Er soll sich in Geistesverfassung bringen, die so
voller Ruhe und Verinnerlichung ist, dass kein unwillkommener Gedanke
diese Ruhe stören kann. Also er soll nicht nur seine Gedanken
konzentrieren, sondern er soll mit dem Gemüt, der Seele, seinem ganze
Herzen Lebens-Odem trinken, sich mit dem grossen Lebensstrome im All
vermählen. Dies allein wird das erwünschte Resultat zuwege bringen und
den Kanal öffnen, durch den das Leben in ihn einströmt.
Wer geistig zu atmen versteht, der kann dann auch die Gedankentätigkeit
nach belieben aufheben. Sein Bewusstsein ist nicht mehr an die physische
Gehirntätigkeit gebunden und dadurch wäre das Vorhandensein eines
überphysischen oder übersinnlichen transzendentalen Bewusstsein
bewiesen. Wer sich mit wachem Bewusstsein über die Gedankentätigkeit des
Gehirns erheben kann, der hat den Beweis, dass die Seele nicht nur eine
Funktion der Gehirntätigkeit ist, sondern ungemein mehr.
Ein solcher Mensch, der geistig zu atmen versteht, spart dann bedeutend
viele Kräfte, denn der organische Lebensprozess spielt sich bei ihm viel
langsamer ab, jede Tätigkeit ist reduziert. Der Lebensprozess spielt
sich auch in anderen Bahnen ab, sodass jene Punkte, die den Todeskeim
beherbergen weniger in Vibration geraten, beziehungsweise anders
vibrieren. Die Gedankentätigkeit schaltet er aus, wenn er sie nicht
braucht. Er denkt nicht wie der gewöhnliche Mensch in einemfort das
viele unnötige Zeug den ganzen Tag hindurch, sondern er denkt nur, was
er braucht, was notwendig ist, aber dann viel schärfer und tiefer. Im
übrigen lebt er im Abstrakten, in dem ruhenden Punkt. Er lebt im Leben
selbst, dessen Eigenschaft Quelle ist. Durch diese Ersparnis an Kräften,
die wir alle schon erwähnt haben, nimmt nun auch das Bedürfnis nach
Nahrung bedeutend ab. Er braucht viel weniger als früher, begnügt sich
mit einer einfachen reizlosen Kost die nach und nach auf kleiner Quanten
reduziert wird.
Wie es ein Mensch darin bringen kann, hat vorerst keinen Wert zu
erwähnen. Bemerkt soll zwar werden, dass das Fasten in den
Religionsgebräuchen einst mit der Sache in engster Beziehung stand, aber
jetzt natürlich zu einem missverstandenen und schlecht angewendeten
Gebrauch geworden ist. Man soll aber nicht fasten, wenn man der Nahrung
bedarf, höchstens bei Krankheit oder anderen Gründen.
Wir sind nun nahe am Schluss dieser Betrachtung. Um Missverständnisse
vorzubeugen, sei nochmals wiederholt: Das Ziel, wonach das ganze in
dieser Abhandlung behandelte Streben führt, ist ein geistiges, es ist
das Einswerden mit Gott, dem Ursprung der Menschen, wodurch der Mensch
das wahre, unabhängige Leben erlangt.
Die Verlängerung des irdischen Lebens ist nur eine – eigentlich nicht
absolute notwendige – Begleiterscheinung dabei. Es sei aber zugleich
bemerkt, dass eine solche Lebensverlängerung in erweitertem Masse nur
von einigen wenigen, die diesen okkulten Pfad eingeschlagen haben,
erreicht wird, denn die meisten fassen erst dann den festen, energischen
Entschluss, in dieser Richtung zu streben, nachdem sie viele Dummheiten
in der Welt gemacht und die meisten ihrer Kräfte nutzlos in einem
Schlaraffenleben vergeudet haben. Der Mensch kommt eben erst durch
Irrtümer zur Einsicht. Aber man kann doch wenigstens diese Verluste
wieder einholen oder aufwiegen, wenn man es einigermassen ernst nimmt.
Verschiedene dieser okkulten Schüler werden auch deshalb nicht
bemerklich älter als andere Menschen, weil sie durch ihr Karma zu einer
solchen Mission auf Erden verpflichtet sind, die die fortwährende und
beschleunigte Abnützung ihres Organismus erfordert, wie dies z.B. bei
Blavatsky der Fall war.
Wenn aber ein Mensch den hier angegebenen Pfad, ohne derartige Momente,
weiter verfolgen würde, der könnte es schliesslich so weit bringen, dass
bei ihm der Tod, also das Ablegen der materiellen Hülle, sich in eine
Art Ätherisationsprozess verwandelte, wie wir solche Fälle in den
religiösen Überlieferungen aufgezeichnet finden. Elias und Henoch wurden
lebendig in den Himmel erhoben. Laotse verschwand über die Grenze, usw.
Zum Schluss ist noch zu erwähnen, dass jeder Mensch den beschriebenen
Pfad antreten kann, und es – wenn er energisch strebt – in einem
Erdenleben zu einer hohen Stufe bringen kann. Allerdings aber eine
Bedingung ist gestellt, nämlich: Dass er den Glauben und die feste
Überzeugung von der Möglichkeit dieser Sache hat. Der Skeptiker hat
keine Chancen, wenigstens nicht, solange er Skeptiker ist, er wird an
der Materie und am Sinnlichen kleben bleiben und mit ihm vergehen. Ein
altes Sprichwort lautet: Der Zweifler verdirbt.
Dr. Friedrich Schwab