Wundervolle, warme Julimondnacht lag auf bewaldeten Hügelwellen. Der See glitzerte silbern und das Geflock leichter Wölkchen trieb den Himmel. So war die feierliche Stunde.

 

„Es ist eine Nacht, in der die ganze Natur sich wie eine Blüte auseinanderfaltet. Die Menschen des Alltags meinen, nachts schliefe die Welt.  Wir aber wissen, dass sie nie offener als zu den Stunden, wo die grosse Stille einherschreitet.“

 

„Ich empfinde es, ehrwürdiger Weggefährte. Offen und bereit bin ich, wie die nächtliche Welt. Vieles gibt es noch zu klären, und die Stunden eilen. Darf ich fragen.......?

 

„Siehst Du das verwirrende Spiel des Mondlichts auf dem Gekräusel der Flut?  Wie das magische Spiel der Kräfte in den feinstofflichen Welten. Frage, ……......“

 

„Seltsam fliessen die Kräfte des Mondes in mich ein.....“

 

„Nicht nur des Mondes. Die ganze Welt, sowohl die materielle als auch die feinstoffliche Spiegelwelten, darin sie sich anblickt, sind ein einziges Meer, ein einziger unermesslicher Strudel von brodelnden Kräften, sind ein einziger in sich geschlossener Ring kosmischer Gärung, darin sich die Geschicke aller Entelechien, aller Enitäten auswirken. Alles was ein Ziel in sich  trägt, alles was ein Sein besitzt, wird von den Kräften geformt und beeinflusst.“

 

„Also auch Ich, ehrwürdiger Weggefährte......?

 

Nein, nicht das Ich. Es besitzt kein Sein, es ist auflösbar, wie es sich als Komplex im Verform des Lebens gebildet hat, um das Dasein im Begehren, im irdisch ausgedrückten Greifen nach dem Undefinierbaren, dahin es eine bestimmte Sehnsucht drängt, für sich und das Bewusstsein zu bestätigen.“

 

„Oft und viel habe ich schon darüber nachgedacht, ehrwürdiger Weggefährte, was es sich mit dem Ich und dem Körper auf sich habe. Wir sind, meine ich, als Erdenmensch eine ganz komplizierte Erscheinung. Der profane Mensch hält sich als körperliche Form stets für das Wesentliche. Der vergeistigte Mensch weiss, dass der Köper nur von untergeordneter Bedeutung, das Primäre aber das ist, was hinter seiner Erscheinungsform steht. Das Unbekannte...., das Unnennbare......“

 

„Wie ja nie die Form einen Einfluss auf andere Formen, also auch den Menschen, haben, sondern bei allen Formen die Kräfte, die dahinter stehen und auf sie wirken. Was zieht den Mann zum Weibe.....? Was den Gläubigen zur Kirche, zum Gottesdienst....? Warum wirken Farbe, Formen und Zeichen, warum wirken Geräusche, Gebärden, Handlungen oft so erregend auf den Menschen, richtiger gesagt, auf das Bewusstsein ein? Weil etwas Unbewusstes, uns Unerkanntes,  eine Kraft dahinter steht, für die das Sichtbare nur sinnfälliger Ausdruck ist. Eine Kraft, bzw. Kräfte, die in ihrer ganz besonderen Eigentümlichkeit auf das Unbewusste des wahrnehmenden wirken. Über die körperliche Erscheinungsform hinweg begegnen sich im brodelnden Meer der Daseinskräfte bestimmte Kategorien. Sie ziehen sich an, stossen sich ab, vermählen sich um einer neuen Kraft willen oder um sich später wieder zu scheiden. Das Bewusstsein des Menschen ist der Platz, darauf sie sich tummeln, auswirken, lösen, schleierverhüllt für den profanen Menschen, klar und unterscheidbar für den Wissenden.“

 

„ Ich habe, ehrwürdiger Weggefährte, von diesen Kräften bereits durch meine Uebungen und durch meine erkennende Einstellung zum wirklichen Dasein einen kleinen Begriff bekommen. Möchtest Du mir nun auch noch sagen, wie die Art des Wirkens im Körper ist, überhaupt wie sich unser Erdenkörper von der geistigen Seite her dem Seher darbietet? Denn mit den Allgemein-begriffen „Körper und Geist“ oder, Mensch, Seele und Geist, kann doch der Suchende nichts anfangen.“

 

„Freilich nicht lieber Weggefährte. Der Erdenkörper ist ja kein kompaktes Gebilde wie etwa ein Fels (und auch der ist nicht einmal für uns kompakt!), vom Wasser der Kräfte umspült. Eher könnte man von ihm als einer mystischen Schatulle, einem mystischen Etui sprechen, das allerhand Wunderdinge in sich enthält. Aber der treffendste Ausdruck für ihn, von einem Mystiker bewusst gebraucht, ist wohl, „Infusorenriff“. Wie ein Riff im Meer des Lebens haben ihn die Zellen-Infusorien aufgebaut, allzu sehr gleicht sein milliardenstarker Einzelzellenstaat den Infusoriengebilden des Meeres. Sein lockeres, lebendes Zellgefüge kann in Bruchteilen von Sekunden von den heranbrandenden Kräften jeder Art und Färbung  so restlos durchtränkt werden, dass sogar das göttliche Bewusstsein diese, sagen wir einmal Synchronisierung nicht merkt und sich völlig mit den Kräften identifiziert. „

 

„... wie etwa Luft, oder noch sinnfälliger, Wasser einen Schwamm oder Wattebausch durchtränkt. Ich verstehe Dich völlig, ehrwürdiger Weggefährte!“

 

„Und nun, will ich Dir, wie gewünscht, eine kurze Skizze des Erdenkörpers zeichnen, wie er sich von der anderen metaphysischen Seite aus darstellt.

 

Jede geistige Richtung hat da Ihre geistige Einteilung. Im Grunde aber ist alles eines. Ob ich das Ganze in eine kosmische Dreiheit, in sieben Prinzipien oder gar in neun Teile aufteile, er wird dadurch nicht anders.

 

Da ist also zunächst dies Infusorienriff Erdenköper mit seinem für uns Mystiker so wichtigen Ätherkörper. Denn aus dem Ätherkörper wollen wir durch Mischung seinen Äthers mit bestimmten Kräften und Umwandlung der Äther-Imponderabilien in eine andere Lichtmaterie den Auferstehungs-, Verklärungs-, Diamant- oder Kristall-Körper, oder wie er von den Wissenden immer genannt werden mag, aufbauen. Beide Körper sind umgeben und völlig durchdrungen von ihren feinstofflichen Gegenkörpern, dem Astral- und Mentalkörper. Eine völlig leere Hülle wäre nun dies vierfache Gebilde, wenn nicht ständig und ohne Unterbrechung Kräfte in ihm manifestieren und auswirken würden.

 

In diesem vierfachen kosmischen Etui (unbewusst drängt sich mir immer die Vorstellung eines riesigen Brillenfutterals auf) steckt nun das darangebundene Bewusstsein, welches unter anderem auch die Wahrnehmungsfähigkeit ausübt. Es ist mit dem Erdenkörper, als seinen gegenwärtigen Träger, auf das engste verbunden. Nebenbei wandelt es, dem Profanen unbewusst, dem übenden Mystiker aber mehr oder weniger (meist mehr!)  bewusst, den Ätherköper zum Verklärungsleib um, um auch nach dem irdischen Tode des Menschen einen Träger in der angestrebten Lichtwelt zu haben.

 

Weiter steckt in diesem seltsamen Etui das Ich. Es hat kein Sonderbewusstsein, sondern  wird vom Unwissenden immer mit dem göttlichen Bewusstsein identifiziert.  Es ist einfach eine zur Einheit gewordene riesige Anhäufung und Zusammenballung kleiner irdischen Komplexe, die sich aus dem beständigen Wünschen und Verlangen, aus Begierden, Besitzenwollen, Egoismus, Leidenschaften usw. bildeten, und deren Gesamtkomplex „Ich“ schon einen gewissen Persönlichkeitscharakter angenommen hat. Erst mit Beginn des Lebens begann sein Werden, bis es mit den Jahren wuchs und wuchs, sich formte, ballte, um schliesslich das Bewusstsein so zu verdrängen und zu überschatten, dass es sich in Permanenz mit ihm identifizierte.

 

Allmählich, wie es sich bildete, kann dieses Ich durch Selbsterkenntnis und Versiegen des Eigenwahns wieder aufgelöst werden. Der den mystischen Pfad Schreitende muss es sogar auflösen, will er überhaupt vorankommen, und das Bewusstsein, als ein Höheres Wachsein, wieder in seine herrschende Stellung einsetzen.

 

Diese Zusammensetzung nun: Erden- und Äther-, Astral- und Mentalkörper mit dem göttlichen Bewusstsein und dem Ich, wird  ständig durchdrungen, durchflutet und bewegt von den „Kräften“ Sie sind tausendfacher Art, Färbung, Gestaltung und Schwingung. Ständig steht diese Form „Mensch“ wie ein Riff in ihren Wirbeln, welche den von sich aus leeren Komplex bewegen, zur Tätigkeit veranlassen. Das Bewusstsein identifiziert sich mit dem Ich und diesen Kräften und daraus resultieren dann die falschen Einstellungen und Irrtümer des Lebens.

 

Hinter all diesem steht nun als wirkendes Agens das, was unser wahres Sein ausmacht, was wir in Wirklichkeit sind, ohne es überhaupt zu kennen oder auch nur zu ahnen (denn Götter sind wir!): Den eigentlichen Gottesfunke, die Monade, der reine göttliche Geist, wie die verschiedenen Terminologien es nennen. Der heilige Schutzengel, wie Meister Therion sagt. Oder, wie wir es nennen wollen: Das höhere Selbst. Es wirkt bei dem durch seine Einstellung, durch seine Uebungen wissend gewordenen Mystiker mit dem Bewusstsein auf höchster Ebene. Dem profanen Menschen ist es in seinem Sein und Wirken noch nicht fassbar, auch nicht erfahrbar.

 

Das, lieber Weggefährte, ist der Mensch von höchster Warte aus betrachtet.“

 

Eine Wolke zog über den Mond. Sogleich hob sich ein leises Lüftchen, wisperte durch die Erlen des Seerandes, raschelte durch den Schilfkranz des Ufers. 

 

Sind es dieselben Kräfte, ehrwürdiger Freund, die auch bisweilen in meiner Brust toben......?

 

„Es sind die gleichen, lieber Weggefährte. Die Kräfte, von denen ich sprach, sind auch in Dir und wissen um all Deine Gedanken.  Diejenigen, welche dazu Ursache haben, fürchten Dein Vordringen in die wache Welt des Geistes. Sie schliessen sich zusammen, geraten in Aufruhr, versuchen Dich zu bedrohen und einzuschüchtern. Furcht, Ängste, Beklemmung resultieren daraus. Du fühlst das innere Toben, ohne zu wissen, was es zu bedeuten hat und was dahinter steckt.

 

Du musst, bei solch innerem Toben die rechte Bewusstseinseinstellung haben. Sage Dir bei solchen Zuständen: Es tobt in mir, aber ich bin es nicht, ich nehme es nicht wahr!  Du musst in diesem Falle den gleichen Unterschied zwischen Betrachter und Betrachtetem machen, den du als Selbstverständlich in der Aussenwelt auch machst!  Der empfindende ist nicht das Empfundene, so wenig wie Du der weiche Samt oder der rauhe Stein bist, den deine streichelnde Hand empfindet und betastet. Hundert-mal und tausendmal wirst Du vielleicht noch aus der Rolle fallen, aber immer näher rückt der Tag, wo es nicht mehr der Fall sein wird, wo Du zur Erkenntnis gelangt bist und frei sein wirst.

  

Du musst Dir, da du künftig wach durchs Leben schreiten willst, immer und zu jeder Zeit dies Beispiel vergegenwärtigen:

 

Das raschelnde Blatt am Baum, der wirbelnde Staub, die tanzenden Flocken, alles täuscht nur leben vor, indessen es in Wirklichkeit der unsichtbare Wind ist, der mit Ihnen spielt und sich durch sie kund gibt.

So „wehen“ auch die ununterbrochen als „Gedanken“ einströmenden, vollkommen autonomen  und realen Kräfte (man sagt zu unrecht meine Gedanken!) den Körper dahin und dorthin, vollführen dieses oder jenes,  und Instrument und Künstler stimmen so fabelhaft überein, dass es nicht anders scheint, als seien sie ein und dasselbe. Die Synchronisierung ist restlos und vollendet, wie bei einem Film. Nirgends ist eine Lücke.“

 

„So sind die einherstürmenden Gedanken also auch Kräfte aus jenem brodelnden Mealstrom des Lebens?“

 

„Richtig mein Freund. Sie gehören einer besonders proteusartigen Kategorie an. Zähe und hartnäckig sind sie. Jede Konzentrationsübung versagt durch sie. Nur durch Eintritt in das höhere Wachsein kann man sie endgültig beherrschen. Man empfindet das „Organ“ des Denkens, wenn ich so sagen darf, und isoliert es mit dem göttlichen Bewusstsein.

 

Hauptsache aber bleibt, das Du die Gedanken, welche Du irrtümlich für die Deinen hältst, ganz klar und deutlich als einen Dauereinfluss jenseitiger Kräfte und Bilder erkennen und fühlen lernst. Du musst Sie nach ihren Qualitäten gut zu unterscheiden wissen und dich mit der Zeit mit diesem sogenannten „Gedanken“ in einen Wechselverkehr setzen können.  Das ist für Dich als Mystiker sehr wichtig.  Auf welchen Wegen du diese Auslese der Qualität erreichst, ist gleichgültig. Der Inder…, der Chinese…, der Derwisch…, jeder wird den Anruf seiner persönlichen Gottheit bevorzugen. Der Christ, der dies erkannt hat, bittet am besten Gott um den „Heiligen Geist“, der Übende bemerkt, dass es in der Welt der inneren psychischen Realitäten auch eine Menge unheiliger Kräfte und Wesenheiten gibt, die sich alle zu ihm drängen, durch ihn sich bestätigen wissen und nach aussen leben möchten. Als ein erkennender nimmt er sie alle deutlich wahr, hält sie nicht für sein eigen, identifiziert sich nicht ihnen und daher lässt er sich auch nicht von ihnen überreden oder zu Handlungen beeinflussen. In stillen und bewegten Stunden bitte er Gott um nur reine und heilige Gesellschafter.“

 

„Wenn ich dich recht verstanden habe, ehrwürdiger Weggefährte, werden alle diese Kräfte besonders durch mystische Übungen aufgescheucht, angezogen, geradezu durcheinandergewirbelt…..?

 

Ja, das liegt an der Natur der Sache. Aber man hat es in der Hand, die Kräfte langsam an sich herankommen zu lassen oder ihren tollen Wirbel zu entfachen. Wenn die mystischen Übungen ruhig und überlegen, vor allen Dingen aber mit der erforderlichen sakralen Einstellung durchgeführt, werden, steigern sich die Kräfte in ihren Auswirkungen nur in dem Masse, dass man ihrer immer völlig Herr bleibt.

 

Eines muss wieder und immer wieder gesagt werden, weil der Übende es ständig wieder übersieht und missachtet: Bei forcierten, speziellen Übungen, die die Entwicklung dringend vorantreiben sollen, wo nur allzugern ein bestimmter Zustand halb mit Gewalt herbeigezwungen werden möchte, fehlen meist die nötigen Vorbedingungen, wie z.B. die sakrale Einstellung. Es kommt dann oft zu unliebsamen Zwischenfällen, wie bei Dir zum Toben in der Brust in den Ohren, Kochend des Blutes, dauernde völlige Erschöpfung oder gar den Verlust des Gleichgewichts.

 

Viele Ängste, Schrecken, Schmerzen, Todesgefühle und körperliche Disharmonien kann sich der Übende ersparen, wenn er ganz ruhig vorgeht, nichts erzwingen will und alles in die Hand Gottes legt.

 

Dann nimmt der Ichwahn im gleichen Verhältnis ab, wie die erkannten guten Kräfte zunehmen und einströmen, um Dauergast zu bleiben. Was man auf der einen Seite aufgibt und zu verlieren scheint, komme einem von der anderen Seite in genau dem gleichen Verhältnis wieder. Das innere Leben nimmt im gleichen Mass zu wie das äussere abnimmt, bis Dein Herz in der Mitte, wohin es von jeher gehört hat, stille steht und  nur durch Pendeln den dauerende harmonischen Ausgleich schafft. 

Das Jenseitige, wenn ich einmal diesen Ausdruck gebrauchen darf, ist wie eine sensible Frau, lieber Freund. Liebe und Aufrichtigkeit, Hingabe und zugleich sich bescheiden zu können machen sie zu jedem Opfer bereit. List, Zwang, Gewalt und Aufdringlichkeit verhärten Ihr Herz, dass Sie zur Furie werden und tödlich treffen kann.

 

Daher kommt es an und für sich gar nicht so sehr auf die Art der „Übungen“ an sondern vor allem auf den Geist, in welchem sie gemacht werden.“

 

„Du näherst dich damit, lieber Freund, der schon einmal geäusserten Ansicht, dass die rechte Einstellung alles ausmacht und das in letzter Hinsicht alle Übungen nur Krücken und Hilfsmittel sind, die man, wenn es darauf ankommt, einfach beiseite lassen kann.“

 

„ Du hast den Sinn meiner Worte richtig erfasst, Freund. Mit fortschreitender Erkenntnis und Erleuchtung wird es Dir immer klarer werden, dass du selbst der Weg bist, dass alles Gesuchte bereits der Verwirklichung harrend in Dir ruht. Das also in gewissem Sinne jede Übung überflüssig ist. Du brauchst nur mit dem einmal erwachten göttlichen Bewusstsein diese Erkenntnis und Erleuchtung anzustreben.

 

ZEN drückt dies am besten aus. Ich sprach mit Dir schon darüber, lieber Freund. Behalte es gut und überdenke es! Vielleicht kommst Du sehr plötzlich hinter das grosse Geheimnis. Es ist oftmals wie ein Blitzstrahl der im Bewusstsein aufleuchtet und weite Bezirke in Helle taucht.“

 

„Stehst du nun, lieber Freund, auf dem Standpunkt, dass ich meine mystischen Übungen einstellen soll oder nicht?“

 

„Du musst es selbst wissen, Schwester, Bruder, ob Du schon allein ohne Krücken gehen kannst oder ihrer noch bedarfst. Wer sicher gehen kann, der weiss es.“

 

„Und du meinst, dass der Weg meiner persönlich gewählten Übung wirklich der richtige und für mich fördernste ist?“

 

Ja, schon weil er aus deinem Innern kam und die nötige Hingabe beinhaltet. Alles, was aus dem eigenen Innern kommt, ist gut und richtig und dem Weg gemäss. Es gibt, wie du weisst, vielerlei Wege, aber man kann nicht gleichzeitig auf verschiedenen gehen. Man muss sich für einen, den eigenen, der aus dem Innern steigt entscheiden, weil gerade er die volle Gewähr für den letzten Erfolg zu bieten scheint.“

 

Vergiss nicht, das Vordringen in das Reich jenseits unseres gewohnten Tagesbe-wussteins ist ein schwieriges, und, wie du an meinen Ausführungen über die „Kräfte“ gemerkt haben wirst nicht ungefährliches Unterfangen. Es wäre völlig verfehlt, die Sache irgendwie zu unterschätzen.“

 

„Du machtes mich, lieber Freund, einst auf manche miteinandergehende  und förndende Wege aufmerksam.  Jetzt dagegen sprichst du, dass man nicht gleichzeitig auf verschiedenen Wegen gehen kann. Wie soll ich dich in beiden Fällen verstehen?“

 

Denke ein wenig nach, lieber Freund. Wenn ich dir mystische Übungen nannte und noch den Weg unterstützende und die Entwicklung forcierende Übungen hinzufügte, so sind das nicht zwei Wege. Nimm dir als Beispiel das Licht der Sonne. Weiss ist es, und doch beinhaltet diese eine Farbe sieben ganz verschiedene Spektralfarben! Des weissen Licht Einheit aber bleibt trotzdem! Auch Vielfalt kann eines sein.

 

Aber verschiedene Wege die nicht ineinanderspielen, sich nicht gegenseitig beinhalten, sind z.b. die kosmischer und christlicher Mystik. Der Weg christlicher Mystik strebe die Unio mystica mit dem „Du“, einer vorgestellten persönlichen Gottheit an, während es beim kosmischen Weg um die Unio mystica mit dem „ES“, dem alldurchdringenden, unpersönlichen und daher unfassbaren Wesen handelt. Und wenn auch beide Wege als letzten Erfolg die Unio mystica als Transzendental-erlebnis vermitteln: Für eine von beiden kann man sich in diesem Beispiel nur entscheiden.“

 

„Immer mehr beginne ich, lieber Freund, das Geheimnis zu verstehen, welches sich ganz allein schon um den Weg der Mystik schleiert!“

 

„Über diesen in uns selbst ruhenden Weg werde ich dir zu gelegenen Weg Stunde noch manches sagen. Am heutigen Abend wollte ich dich nur auf das riesige Kräftespiel eines ewigen Ringes der Gärung, des Ausgleiches aufmerksam machen. Du hast nun erkannt, dass wir nicht nur aussen, als Mensch, von teils körperlosen Kräften völlig autonomer Natur und mit Persönlichkeitscharakter umgeben sind, sondern in noch viel grösserem und beeinflussbarem Masse als primär innerer Mensch, infolge Unkenntnis und Beschränkung der der metaphysischen Sinne die Gefahr meistens nicht sofort erkennen.

 

Übersehen wir aber diese inneren Einflüsse, dann halten wir alles was diese in uns einsprechen, für unseren „eigenen“ Willen. Sobald diese Kräfte das merken – und sie merken es sofort! – haben sie uns natürlich völlig in ihrer Gewalt und können mit uns tun und lassen, was ihnen beliebt. Unser Bewusstsein hat sich völlig mit ihnen identifiziert. Es tritt das gleiche ein, was wir in der Aussenwelt, in der wir leben, als Hypnose bezeichnet wird.“

 

Schwere Wolken zogen heran, der Himmel hatte sich bedeckt und ein Gewitter schien zu nahen.

 

„Lass uns die Schritte heimwärts lenken, mein Freund. Spürst du die Welt der Kräfte, wir sie wirbeln, wie sie brodeln, wie wir trocken und unbehelligt durch ihr Meer hindurchschreiten…….?“

 

„Nie spürte ich sie so deutlich als jetzt, an Deiner Seite. Sehr plötzlich wurde in mir die Realität bewusst,  da zu dieser späten, geheimnisvollen Stunde das ganze Dasein zum inneren Menschen spricht.“

 

„Dies wahrnehmen zu können, ist allein schon eine Gnade! Man muss die Kraft und den Mut haben, in sich zu blicken und sich nicht zu scheuen, das Schöne und das Furchtbare, das man dort entdeckt heranzuziehen von allen Seiten gründlich zu betrachten und dabei zu wissen, dass das, was man betrachtet, nicht der Betrachter selbst ist, obwohl es ihm innewohnt. So lösen wir die hypnotische Kupplung, welche diesen Kräften nahezu Allmacht über uns verleiht. Unser Nichtwissen und Nichtahnen ist ihre Macht! Erkannt vermögen sie nichts mehr über uns, sowenig wir ein Mensch der Aussenwelt, von dem wir wissen, welch Geistes Kind er ist. Wohl lassen wir ihn seine Sache vortragen, schütteln aber dazu gegebenfalls den Kopf und lehnen freundlich und entschieden ab. Wenn wir dies genauso auf die Innenwelt übertragen, lernen wir zunächst die vielen anwensenden Gäste empfinden. Später erblichen wir sie dann auch in aller Schönheit oder Hässlichkeit im Bilde!

 

Und damit ist der Eingang, die Pforte gewonnen, und wir sind zu Bürger zweiter Welten geworden, wie Gott das bestimmt hat, damit wir den Tod nicht schmecken, lieber Freund.“

 

Totenstill wurde plötzlich die ganze Natur. Ein Blitzstrahl zuckte grell über den See hin und die ersten Tropfen fielen…….

                                         


 

Waltharius (Walter R. Studinski)

 

"Aus Mystik, Zen und der farbige Schatten" 

Das mystische Gespräch einer Nacht