Vorbemerkung
"Ein halbes Wissen ist ein sehr gefährlich Ding"
Wenn ich trotz dieser Erfahrungen es wage, dem Drängen vieler meiner
Freunde nachzugeben, und in diesen Fortsetzungen meiner „Denkwürdigen
Erinnerungen“ von Dingen rede, die ich lieber für mich behalten hätte,
so geschieht dies sicherlich nicht zu dem Zweck, um irgend einen
Skeptiker an die Existenz der Adepten glauben zu machen, und am
allerwenigsten suche ich damit irgend etwas zu „beweisen“, sondern es
ist nur meine Absicht, nachdem über diese Dinge bereits soviel verkehrte
Anschauungen in die Öffentlichkeit gedrungen sind, das bereits bekannt
gewordene zu beleuchten, und diejenigen, denen es nicht nur um die
Neugierde, sondern um die Erkenntnis der Wahrheit zu tun ist, auf die
richtige Spur zu bringen.
Ich habe für diese erhabenen, edlen und weisen Menschen die höchste
Achtung und Verehrung, und bin Ihnen zu grösstem Danke verpflichtet;
aber gerade deshalb fühle ich mich gedrängt, dazu beizutragen, dass
dieselben nicht zum Gegenstande eines abergläubischen Götzendienstes
gemacht, sondern ihre Lehren verstanden werden. Es ist den Meistern
nicht darum zu tun, sich als Wundertäter anbeten zu lassen, sondern ihre
Lehre ist vielmehr, dass jeder Mensch in seinem Innern ein Tempel des
wahren Erlösers ist;
„Ein jeder such´in sich der Freiheit Gut.“
Edwin Arnold „Leuchte Asiens“ VIII.
Oder, um es in den Worten dieser Lehrer selbst auszudrücken: „Der besten
Meister, den ein Mensch finden kann, ist sein eigenes sechtes Prinzip
(B u d d h i), festgewurzelt im siebten (Atma).“ H.P. Blavatsky fügt
hinzu: „Wer andere dazu anleitet den Meister in sich selbst zu finden,
der ist ein Erlöser.“ In
diesem Sinne sind die Adepten Erlöser der Welt.
Diese Lehre von dem Suchen und Finden des Erlösers in uns selbst,
ist natürlich nicht so aufzufassen, als ob die äusserlichen Meister
überflüssig wären, und ein Mensch, der den wahren Erlöser noch nicht in
seinem Herzen gefunden hat, sein eigener Meister wäre. Die
Selbstbeherrschung ist eine schwer zu erringende Kunst, die nur der
wahren Selbsterkenntnis entspringt, und diese Selbsterkenntnis besitzt
niemand, der nicht seinem Selbstwahn entsagt und im Lichte der Weisheit
das wahre Selbst, den Herrn und Meister, in seinem inneren erkennt. Wenn
die folgenden Blätter dazu beitragen, dies klar zu machen, so haben sie
ihren Zweck erfüllt.
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Helene Petrowna Blavatsky und ihre Meister.
So habe ich gehört:
Alle die H.P. Blavatsky in ihrer Jugend gekannt haben, stimmen darin
überein, dass sie schon damals eine „sonderbare Heilige“ war. Sie war
ein Kind der Natur; sie lebte in der Natur und die Natur lebte in ihr.
Schon von frühester Jugend an, hatte sie die seltsame Begabung, mit
klarem Blicke in das innere der Natur zu sehen und die Geheimnisse zu
schauen, die für gewöhnliche Menschenaugen unsichtbar sind. Da
diejenigen Blätter nicht für diese geschrieben sind, welche von solchen
Dingen noch nichts wissen, und die Erzählungen von den „Geistern der
Natur“ für Lügen halten, weil sie sich einbilden, dass es in unserer
Welt keine anderen Geschöpfe als die alltäglich sichtbaren geben könne,
so brauchen wir auch nicht erst um Entschuldigung zu bitten, wenn wir
diese Dinge erwähnen, und nehmen es als bekannt an, dass es in unserer
materiellen Welt noch andere übersinnliche und geistige Zustände oder
„Ebenen“ gibt, deren Bewohner nur für diejenigen sichtbar sind, welche
die Fähigkeit haben, sie zu sehen.
Blavatsky hatte die Fähigkeit in hohem Grade, und verkehrte als Kind mit
diesen, als „Gnomen“ und „Sylphen“, Undinen und Salamander“ bezeichneten
Wesen geradeso, als ob dieselben ihres Gleichen gewesen wäre; ja sie
wunderte sich darüber, dass nicht jedermann diese ihre Gespielen und
Kameraden sehen konnte. In dem Werke von Sinnet finden sich eine Menge
von Anekdoten darüber, und manches wurde mir von ihrer Schwester, Madame
Jellihofsky, erzählt, aber das „Astralsehen“ ist heutzutage kein
aussergewöhnliches Ding, und wer sich dafür interessiert, der findet
genug Erzählungen darüber in der spiritistischen und okkulten Literatur.
Dennoch wollen wir ein paar typische Fälle als Beispiele anführen. (Die
in diesem Kapitel enthaltenen Annekdoten aus Blavatskys Jugendzeit
wurden mir teils von Blavatsky selbst, teils von ihrer Schwester, Madame
Jellihofsky, mitgeteilt, teils sind sie dem Werke von A.P. Sinnet über
das Leben von H.P. Blavatsky entnommen. Vergl. „Lotusblüten“ Jahrgang
1893 „H.P. Blavatsky, die Sphinx des neunzehnten Jahrhunderts“.)
Madame Jellihofsky sagt:“ Die ganze Natur war für H.P. Blavatsky nichts
Totes oder Mechanisches, sondern ein lebendiges durchgeistetes Wesen.
Als Kind war sie das sonderbarste Geschöpf, in dem zwei Naturen deutlich
ausgeprägt waren, gleichsam als ob zwei Wesen in einen einzigen Köper
wohnten. Das eine war eigensinnig, boshaft und herrschsüchtig, das
andere mystisch und metaphysisch angelegt, so wie die Seherin von
Prevost. Ihre Phantasie,
d.h. das was wir damals für „Phantasie“ hielten, war ungemein stark
entwickelt. Stundenlang erzählte sie uns oft die wunderbarsten und
unglaublichsten Geschichten, mit einer Sicherheit und Überzeugung, als
ob sie dies alles wirklich erlebt hätte, und es war auch kein Zweifel
möglich, dass sie dasjenige, was sie zu sehen vorgab, auch wirklich sah.
Obgleich sie als Kind schon in allem furchtlos und mutig war, so
erschrak sie doch oft heftig über die Erscheinungen, die sie hatte. Sie
versicherte, dass sie von etwas verfolgt werde, was sie „jene
schrecklichen, leuchtenden Augen“ nannte. Bei solchen Gelegenheiten
hielt sie sich die Augen zu und schrie so, dass das ganze Haus
zusammenlief. Andere Male
wurde sie gleichsam von Lachkrämpfen befallen, und erklärte dies durch
die Spässe, welche ihre unsichtbaren Gefährten trieben. Sie sah diese in
jeder dunklen Ecke, in jedem Strauch des Parkes und in den öden Sälen
unseres Schlosses.
Obgleich alle Türen stehts verschlossen waren, fand man Helene doch
oftmals mitten in der Nacht in diesen dunklen Gemächern in einem halb
bewusstlosen Zustand, gleich dem einer Schlafwandlerin, und sie konnte
selbst nicht angeben, wie sie dorthin gekommen war. Mitunter fand man
sie auf dem Speicher im Taubenschlag, und andere Male in der
zoologischen Sammlung unserer Grossmutter, und alle die ausgestopften
Tiere, Krokodile, Seehunde und Eisbären u.s.w. waren für sie lebendig
und erzählten ihr ihre Erlebnisse. Für sie gab es keinen leblosen Raum.
Alles war für sie lebendig, ja sogar die Steine und der Sand am Meere.
Alles hatte für sie ein innerliches Leben, das für die äussere Welt ein
Geheimnis ist.
Manchmal machten wir Ausflüge auf einen Landstrich, der in alten Zeiten
einmal Seeboden gewesen war. Man fand da oft Muscheln und versteinerte
Überreste von Seetieren. Aus
solchen Überbleibseln las Helene deren Geschichten, und sie tat dies mit
einer solchen Begeisterung, dass man das, was sie erzählte, selbst
mitzuerleben glaubte. Wunderbar lautete ihre Beschreibung der
Seeungeheuer, deren Formen sie in den Sand zeichnete. Sie beschrieb
deren Kämpfe, die vielleicht von Jahrtausenden gerade dort stattgefunden
hatten, wo wir uns lagerten. Sie beschrieb das Meer mit seinen
dunkelblauen Wogen, den Meeresboden mit seiner grotesken Pflanzenwelt,
die Korallenriffe und Wassertiere, so dass sie alle ihre Zuhörer mit
sich fortriss.
Es braucht kaum versichert zu werden, dass sie niemals von der
Wiederverkörperung gehört hatte. In unserer höchst christlich –
orthodoxen Familie hätte so etwas nie die Rede sein dürfen. Dennoch
wusste sie von dergleichen Dingen genug zu erzählen. Da war z.B. in
unserem Museum ein langbeiniger ausgestopfter Flamingo. Derselbe war, so
behauptete sie, vor vielen Jahren ein Mensch gewesen, er hatte aber
viele grosse Verbrechen und einen Mord begangen, weshalb seine Seele
wieder zum tierischen Dasein hinuntersank, und in diesem Flamingo ihren
Aufenthalt nahm.“
Im Jahre 1858 wurde nicht weit vom Wohnorte von Madame Blavatskys
Schwester ein Mann in einer Branntweinschenke ermordet gefunden. Der
Täter war unbekannt und der Polizeikommissär des Distriktes kam nach dem
Dorfe, um Erkundigungen einzuziehen. Bei dieser Gelegenheit machte er
einen Besuch bei Blavatskys Vater, und dieser schlug ihm vor, den
Versuch zu machen, durch Helenes okkulte Kräfte dem Mörder auf die Spur
zu kommen. Der Kommissär war ein Skeptiker, und machte Witze über diesen
Vorschlag. Dadurch wurde die Kleine gereizt, ihn zu beschämen, und sie
teilte ihm folgendes mit:
„Während sie hier Unsinn reden, ist der Täter, der Samoylo Ivanof heisst,
bereits schon vor Tagesanbruch über die Grenze ihres Distrikts
entwischt, und befindet sich jetzt im Hause eines Bauern Namens Andrew
Vlassoff, in dem Dorfe Oreschkion, wo er sich auf dem Heuboden versteckt
hat. Wenn sie gleich hingehen, werden sie ihn erwischen. Samoylo Ivanof
ist ein alter beurlaubter Soldat. Er war betrunken und hatte einen
Streit mit seinem Opfer. Der Totschlag war nicht vorüberlegt; es ist ein
Unglück und kein Verbrechen.“
Kaum hörte der Kommissär diese Worte, so stürmte er fort, und am
nächsten Morgen kam ein Bote mit der Nachricht, dass in dem über
dreissig Meilen entfernten Dorfe Oreschkino der beurlaubte Soldat
Samoylo Ivanov in dem Hause des Bauern Andrew Vlassoff, gerade so wie es
Helene beschrieben hatte, auf dem Heuboden versteckt gefunden worden
wäre, und die Tat eingestanden hätte. Diese Probe von Hellsehen hatte
übrigens für ihren Vater einige Unannehmlichkeiten zur Folge, denn die
Polizei in St. Petersburg wollte durchaus wissen, wie es käme dass die
junge Dame dies alles so genau gewusst hätte, und da die Polizei nicht
an Hellsehen glaubte, und mit den gegebenen Erklärungen nicht zufrieden
war, so blieb dem Vater nichts anderes übrig, als sie auf jene Weise zu
beruhigen, die unter den russischen Beamten stehts wirksam war.
H.P. Blavatsky hatte eine äusserst sensitive Natur, und war bis zu ihrem
fünfundzwanzigsten Jahre ein bewunderungswürdiges „Medium“. In ihrer
Gegenwart trugen sich alle die erstaunlichen Phänomene zu, welche
diejenigen, die sich mit Spiritismus beschäftigen, hinlänglich bekannt
sind, und die wir nicht weiter zu erwähnen brauchen, da über dergleichen
Dinge bereits eine höchst umfangreiche Literatur existiert. Aber während
die spiritistischen Medien sich bei solchen Gelegenheiten ganz passiv
verhalten, und diese Phänomene nicht selbst verursachen, sondern sie,
vermittelst ihres Organismus, durch Kräfte oder Wesen, die ihnen selbst
in der Regel unbekannt sind, hervorbringen lassen, kannte Blavatsky die
dabei wirkenden Kräfte und konnte dergleichen Phänomene willkürlich und
nach Belieben hervorbringen. In ihrer früheren Jugend war sie ein
Werkzeug dieser „Geister“, später erlangte sie die Macht über dieselben,
und diese „Geister“, wenn wir sie so nennen wollen, wurden ihre
Werkzeuge. Dies war nur dadurch möglich, dass sie die Fähigkeit hatte,
dieselben zu sehen.
So konnte sie z.B. das bekannte „Geisterklopfen“ nach Belieben und ohne
irgendwelche äusserliche Mittel, durch ihre eigene Willenskraft
hervorbringen, und auf diese Weise ihre „Geister“ Mitteilungen nach dem
Alphabet „ausklopfen“ lassen. Die Klopftöne ertönten dort, wo sie es
wollte. Für eine Dame, welche sehr skeptisch war und hämische
Bemerkungen machte, brachte sie diese Klopftöne an der Goldfüllung von
den Zähnen in dem Munde von dieser Dame zuwege, was sicher für diese
überzeugend genug war.
Hunderte von solchen Anekdoten könnten aufgeführt werden.
Sie brachte diese Klopftöne, nach ihrer eigenen Angabe, auf zweierlei
Arten hervor: Die erste bestand darin, dass sie sich völlig passiv
verhielt und die sogenannten „Geister“ d.h. die geist- und hirnlosen
Elementarwesen nach belieben durch ihren Organismus wirken liess.
Dieselben spiegelten dann mehr oder weniger getreu die Gedanken der
Anwesenden wieder, oder folgten instinktiv den Empfindungen und
Gedanken, die sie in Blavatskys Innerem fanden.
Die andere Art bestand darin, dass sie sich innerlich sammelte und mit
geschlossenen Augen im Astrallichte diejenige Gedankenströmung
aufsuchte, welche den echten Eindruck irgend einer bestimmten und
bekannten verstorbenen Persönlichkeit enthielt. Sie identifizierte sich
mit dieser Strömung (oder wie man zu sagen pflegt, sie ging in den Geist
des Verstorbenen ein) und liess dann die Worte, die sie sich selbst aus
diesen Gedanken gebildet hatte, durch die Klopftöne ausbuchstabieren.
Wenn z.B. der „Klopfgeist“ sich als Shakespeare ankündigte, so war dies
nicht in Wirklichkeit dessen verstorbene Person, noch auch sein
zurückgebliebener Schatten, sondern nur das Echo seiner unsterblichen
Gedanken, welche im Astrallichte gleichsam krystallisiert waren. Ihr
eigenes Gehirn fotografierte sozusagen das, was sie mit ihrem geistigen
Auge sah, bildete es in Worte, und durch ihren Willen wurde es in
Klopftönen ausbuchstabiert.
Der vernünftige Leser wird nun vielleicht fragen, weshalb sie diese
Klopferei nötig hatte, dass sie doch auf eine viel einfachere Weise
diese Gedanken hätte aussprechen oder niederschreiben können; aber er
vergisst dabei, dass nicht Blavatsky sondern die Zuschauer diese
Klopftöne haben wollten. Ein orthodoxer Geistergläubiger kümmert sich
nicht um das, was ihm ein lebendiger Mensch sagt. Wird er angeblich
durch den Geist eines Verstorbenen „ausgeklopft“, so ist er zufrieden.
Alle Versicherungen und Beweise Helenes, dass sie dies selbst tue, half
nichts; man wollte durchaus, dass es die Geister Verstorbener sein
sollten. Die Welt will nicht
betrogen sein, aber sie liebt es, sich selbst zu betrügen.
Dass Blavatsky nicht schon mit einer vollkommenen Kenntnis der
Naturgesetze geboren wurde, ist begreiflich, und es ist auch nicht zu
verwundern, dass sie in ihrer Jugend, während ihrer mediumistischen
Entwicklung Schöpfungen ihrer eigenen, unbewusst arbeitenden geistigen
Wahrnehmung und Einbildungskraft für Erscheinungen verstorbener Menschen
hielt, wie folgender Vorfall beweist.
Helene von Hahn (Blavatsky) hatte eine entfernte Verwandte aus
Deutschland gehabt, aber dieselbe niemals gekannt, da diese schon als
Helene noch in der Wiege lag, aus Russland verschwunden war. Niemand
wusste wohin; es hiess nur, dass sie irgendwo im Auslande gestorben sei.
Eines Tages aber erschien ihr der Geist dieser Verwandten, und
teilte ihr mit, wo und wann und unter welchen Umständen sie gestorben
sei. Der Geist gab den Namen des Pfarrers an, der die Leichenrede
gehalten hatte und den Text der Predigt. Tag für Tag kam diese Verwandte
und beschrieb ihre Freuden im Himmel und ihre Seligkeit. Viele Bogen
wurden mit diesen Mitteilungen ausgefüllt; manche wurden mit „direkter
Geistesschrift“ geschrieben. Unter diesen befand sich auch eine Kopie
einer Bittschrift, welche vor vielen Jahren einmal nach St. Petersburg
gesandt worden war. Ein Vetter der dorthin reiste, erhielt die
Erlaubnis, in den Archiven nachzusehen und fand das betreffende
Original. Es stimmte genau mit der Kopie überein; die Handschrift war
dieselbe, und sogar ein Tintenklex auf dem Original war auf der Kopie
getreulich nachgebildet. Die Beweise der Identität des Geistes waren so
überzeugend, dass kein Spiritist sich hätte besseres wünschen können.
Selbst der eingefleischeste Zweifler hätte nichts zu erwidern
gehabt. Zum Überfluss kam
auch noch der Geist des Sohnes dieser Verwanden, klagte sich an,
Selbstmord begangen zu haben, schilderte in ergreifenden Worten seinen
Zustand im Fegefeuer und bat um Gebet.
Aber zum Unglück für die Richtigkeit dieser Geistertheorie kam damals
ein Vetter Helenes, ein junger Kavallerieoffizier nach Ekarterinoslav,
und sein Regiment schlug in der Nähe des Ortes, wo Helene wohnte, ihr
Lager auf. Diese besuchte ihren Vetter in seinem Zelte, und indem sie
nach Kinderart in seinen Effekten herumstöberte, fiel ihr ein Porträt in
die Hände. Beim Anblick desselben stiess sie einen Schrei aus. „Was gibt
es denn“ fragte der Leutnant. „Was es gibt!“ antwortete Helene. „Hier
ist das Porträt von ……….., deren Geist mich seit Monaten täglich
besucht.“ Da fing der Vetter an zu lachen, und sprach: „Du bist ja
närrisch! Dies ist ja das Porträt meiner Tante, die gar nicht ans
sterben denkt. Sie freut sich ihres Lebens in Dresden, und strickt dort
an ihrem Strumpf.“
Und so war es auch. Die Tante lebte, und ihr Sohn lebte auch, und was an
der Selbstmordgeschichte wahr war, das ist, dass er einmal den Versuch
gemacht hatte, sich zu erschiessen, aber sich nur unbedeutend verletzt
hatte, und nachdem er längst wieder hergestellt worden war, eine
einträgliche Stelle in einem Kaufhause in London inne hatte. In späteren
Jahren, nachdem Blavatsky die „Geister“ kennen gelernt hatte, konnten
solche Irrtümer, wie sie sich heute täglich in spiritistischen Kreisen
ereignen, bei ihr nicht mehr vorkommen.
Alles das Obige ist dazu bestimmt, um anzudeuten, dass es im Menschen
verborgene Kräfte gibt, die noch nicht jedermann kennt; das Geisterreich
oder die Seele der Welt mit dem Geiste des Menschen und seiner
psychischen Natur im innigsten Zusammenhange stehen, und ferner, dass
Helene Petrowna Blavatsky eine seltsame Person und in der Astralwelt,
oder dem sogenannten „Geisterreich“, ebenso zu Hause war, wie in der
sichtbaren physischen Welt. In ihr waren die erwähnten geheimen Kräfte
(Wille, Imagination, geistige Wahrnehmungen u.s.w.) auf eine ganz
ausserordentliche Weise entwickelt.
Gedanken waren für sie Dinge, die sie wie in einem offenen Buche, in der
Aura ( oder Geistessphäre) desjenigen, der sie dachte, lesen konnte. Die
„übersinnlichen“ Bewohner der „übersinnlichen“ Welt waren für sie
sichtbar und leibhaftig. Sie verkehrte mit ihnen schon in frühester
Jugend, und geriet als Kind oft in Ärger, wenn ihre Gouvernante das
Dasein eines buckligen Zwerges, der ihr Spielgenosse war, nicht
anerkennen wollte, weil sie nicht die Fähigkeit hatte, ihn mit
leiblichen Augen zu sehen. In späteren Jahren beherrschte sie durch die
Kraft Ihres Geistes diese geistlosen Wesen, welche in Ermangelung eines
passenden Ausdruckes noch immer als „Geister“ bezeichnet werden.
Aber auch schon in ihrer Jugend bestand ihr Verkehr nicht alleine in dem
Umgang mit Astralbildern, Spukerscheinungen, Kobolden, Elementarwesen u.
dergl., sondern es machte sich schon frühzeitig der Einfluss höherer
Wesen, die wirklich Geist und Intelligenz besassen, bemerkbar. Man sagt,
dass jedes Kind einen Schutzengel besitze. Dieser ist in der Regel
unsichtbar; aber Helene schien ganz ungewöhnliche Schutzengel zu haben,
die sie nicht nur unsichtbar bewachten und beschützten, und aus mancher
grossen Gefahr retteten, sondern mit ihr verkehrten und sogar auch für
andere Menschen sichtbar und greifbar wurden, und was das merkwürdigste
dabei ist, diese „Schutzengel“ waren gar keine luftigen Geister, sondern
lebendige Menschen, die, wenn sich auch in weiter Ferne von ihr lebten,
dennoch die Macht hatten, nicht nur „im Geiste,“ sondern auch leiblich
bei ihr zu sein.
Dies wird nun für manche Leser höchst unwahrscheinlich und unglaublich
klingen, besonders aber für diejenigen, welche glauben, dass das ganze
Wesen des Menschen in seinem grobmateriellen Organismus bestehe, und
nicht einsehen können, dass der physische Körper des Menschen nur
gleichsam das Haus ist, welches der eigentliche Mensch während seines
Daseins auf dieser physischen Erscheinungswelt bewohnt; dass er ausser
diesem Organismus noch einen feineren ätherischen Leib besitzt, und dass
er, wenn er einmal zur richtigen Erkenntnis seines eigenen geistigen
Daseins gelangt ist, aus dem physischen Körper ebensogut herausgehen
kann, wie die Schnecke aus dem Schneckenhaus.
Für diejenigen, welche nicht nur die physische, sondern auch die
metaphysische Beschaffenheit des menschlichen Organismus kennen, hat
diese Behauptung durchaus nichts Unglaubliches. Auch ist bereits über
diese Dinge soviel von Du Prel und anderen geschrieben worden, dass eine
Kenntnis derselben, dass zur allgemeinen Bildung gehörend, vorausgesetzt
werden darf. Dass der „Astralköper“ oder „Doppelgänger“ aus dem
physischen Körper unter gewissen Umständen austreten und sich von diesem
entfernen kann, ist eine so bekannte Tatsache, dass es sich nicht der
Mühe lohnt, mit denen, die nichts davon wissen, zu streiten. Der
Astralkörper ist dann gewöhnlich ohne Intelligenz und handelt wie ein
Schlafwandler oder Träumender; aber es gibt auch Menschen, die es in
ihrer Macht haben, mit Selbstbewusstsein und Intelligenz ausserhalb
ihres physischen Körpers, in ihrem Astralkörper zu erscheinen. Dies ist
die eine Art, durch welche solche Erscheinungen erklärlich gemacht
werden können.
Aber es gibt noch eine andere Art, um in die Ferne zu wirken. Ausser dem
Astralkörper kennt die okkulte Philosophie noch einen geistigen Leib,
oder „Gedankenkörper“, im Indischen „Mayavirupa“ genannt, der noch
weniger materiell als der „ätherische“ oder „Astralkörper“ ist.
Jeder Mensch der darauf bezüglich
Versuche gemacht hat, weiss, dass er seine Gedanken in einem Augenblicke
in die weite Ferne senden, und durch sie auf andere Menschen einwirken
kann, vorausgesetzt, dass dieselben hierfür empfänglich sind. Der
Gedanke, den ein Mensch aussendet, ist ein Teil seiner selbst, er wird
nicht vom Menschen getrennt und geht nicht verloren, ebensowenig als ein
von der Sonne ausgehender Lichtstrahl von ihr getrennt wird oder
verloren geht. Dort, wo ein Mensch sich hindenkt, da ist er in seinen
Gedanken. Es handelt sich nur darum, dass er zugleich mit seinen
Gedanken auch sein Bewusstsein dorthin versetzen kann; dann ist er in
Wirklichkeit dort. Der Grund, weshalb dies möglich ist, besteht darin,
dass es im Geistigen überhaupt keinen Raum oder Entfernung nach unseren
Begriffen gibt. Der Geist Gottes im Weltall ist nur ein einziger und
allgegenwärtig. Um nun sein
Bewusstsein dahin und dorthin, in die Ferne zu versetzen, dazu muss der
Mensch in diesem Geiste Gotttes zum Selbstbewusstsein gekommen sein.
Ein solcher Mensch ist ein „Initierter“ (Eingeweihter), „Erleuchteter“
oder „Adept“. Solche Menschen waren Lehrer oder Meister von H.P.
Blavatsky, und schon als Kinde ihre „Schutzengel“.
Mit diesen Meistern stand H.P. Blavatsky ihr Leben lang in Verbindung
und erhielt durch sie ihren Unterricht. Tatsächlich können viele ihrer
Werke als von den Meistern inspiriert oder geschrieben betrachtet
werden. Nicht so, wie ein spiritistisches Medium von einem „Geiste“, den
es vielleicht gar nicht einmal kennt, als Gedankenloses Werkzeug benützt
wird, sondern so, wie ein Lehrer seine Schüler bei seinen Arbeiten
unterstützt. Auch darf man sich
diesen geistigen Verkehr zwischen dem Meister und dem Jünger nicht als
einen nur äusserlichen oder objektiven vorstellen. Je mehr die beiden in
Seelenübereinstimmung sind, umso mehr sind sie tatsächlich „ein Herz und
ein Gedanke“. Der Jünger vom Geiste des Meisters erfüllt, empfindet sich
selbst als den Meister; er ist eins mit ihm, und es ist kein Unterschied
mehr zwischen den beiden während dieser liebevollen Vereinigung. Wer
soll dann noch unterscheiden, was der Meister und was der Jünger
gedacht, oder geschrieben hat?
Die Nichtkenntnis dieses Gesetzes hat viel Anlass zu törichtem
Kaffeeklatsch, Missverständnissen und Beschuldigungen von H.P. Blavatsky
und anderen gegeben, und schliesslich zu einer Trennung der
tieferblickenden unter den Mitgliedern der theosophischen Gesellschaft
von den kurzsichtigeren geführt.
Man empfindet die Gegenwart des Meisters so, wie man die Gegenwart
Gottes im seinen Inneren empfindet, aber wer kann dies wissenschaftlich
einem anderen beweisen, und wer kann zwischen dem, was ihm selbst
göttlicher und menschlicher Natur ist, unterscheiden, als derjenige,
welcher das Göttliche erkannt hat, und durch die Kraft der
Selbsterkenntnis zu dieser Fähigkeit der Unterscheidung gekommen ist?
Helene wuchs auf, von einem Heer von wechselnden Erscheinungen aus der
sogenannten „Geisterwelt“ umgeben; aber unter diesen machte sich eine
Erscheinung bemerkbar, die sich sehr oft zeigte. Es war dies ein Inder
mit von imponierendem Äusseren und durchdringendem Blick; kein „Geist“
eines Verstorbenen, sondern die „Astralform“ ihres in Tibet lebenden
Lehrers, Meisters und Beschützers, den sie später in Person kennen
lernte. Das erste Mal, dass sie ihn in seinem physischen Körper sah, war
während eines Besuches in Paris, wohin derselbe als Mitglied einer
tibetanischen Gesandtschaft gekommen war.
Sie erkannte ihn sogleich und wollte sich ihm nähern; aber er
winket ihr ab. Erst viele
Jahre später trat sie mit ihm persönlich in Tibet zusammen. Er war es,
der sie von ihrer „Mediumschaft“ befreite und sie lehrte, anstatt diesen
niederen „Geistern“ zu gehorchen, durch die Kraft ihres magischen
Willens, selber Herr über dieselben zu sein.
Dass dieser Meister ein Adept und Yogi war und Kräfte besass, die man
nicht anders als wie „magische“ oder „göttliche“ bezeichnen kann, geht
aus den Erzählungen seiner Handlungen hervor, deren Zeugen nicht nur
H.P. Blavatsky, sondern auch viele andere Menschen waren, worunter ich
selbst. Einzelne von dergleichen Tatsachen sind in Blavatskys Buch „In
den Höhlen und Dschungel Hindostans“ in der Form eines Romans
beschrieben, in welchem der Meister unter dem Namen Gulab – Lal – Sing
eingeführt ist; unter den Theosophisten wird er „Mahatma Morya“ genannt;
sein wirklicher Name ist aber nur den Eingeweihten bekannt. Er ist in
dem betreffenden Werke richtig beschrieben als ein Mann von
ungewöhnlicher Grösse, reich und unabhängig, in den Geheimnissen der
Magie und Alchemie eingeweiht und ein Mensch, den niemand als Betrüger
zu verdächtigen wagte, „umso weniger, als er trotz seines umfassenden
Wissens öffentlich nie ein Wort über diese Dinge sprach, und seine
Kenntnisse, ausser vor wenigen guten Freunden, sorgfältig verborgen
hielt.“ Obgleich er als ein Mann von vielleicht vierzig Jahren
erscheint, wird von den Eingeweihten behauptet, dass er schon seit mehr
als dreihundert Jahren in seiner jetzigen Inkarnation zugebracht habe;
aber hierüber kann ich kein Urteil abgeben, und ziehe es überhaupt vor,
über verschiedene ähnliche Dinge zu schweigen, die zwar denjenigen, die
mit der indischen Yoga – Philosophie vertraut sind, natürlich genug
erscheinen, für die man aber in Europa noch wenig Verständnis besitzt.
Diejenigen aber, die solche Dinge unglaublich unmöglich und lächerlich
finden, möchte ich darauf aufmerksam machen, dass die Erleuchteten aller
Nationen darüber einig sind, dass, wenn der Mensch in Wahrheit sich
selbst und die in ihm schlummernden Kräfte kennen würde, er auch
wirklich wissen würde, dass er der Herr der Schöpfung ist, zwar in einem
viel tieferen Sinne, als dies gewöhnlich aufgefasst wird; nicht ein
Wesen, dass sich durch äusserliche physische Gewalt, und infolge seines
Intellekts äusserlich zum Herrn über andere Geschöpfe macht, sondern ein
himmlisches Wesen, dass durch die ihm innewohnende Geisteskraft alle
niedriger stehenden Wesen und die ganze Natur beherrscht, insofern als
dies das Gesetz des Karma
(Das Gesetz der Gerechtigkeit) gestattet.
Der weise Patanschali, der ungefähr 500 Jahre vor der christlichen
Zeitrechnung lebte, hat in
seinen „Yoga Aphorismen“ die Kräfte eines solchen „wiedergeborenen“
Menschen beschrieben. Es gehören dazu die Fähigkeit, in den Zustand von
Samadhi (Allbewusstsein) einzugehen, die Vergangenheit und Zukunft zu
kennen, die Menschen geistig zu durchschauen und ihre Gedanken zu lesen
wie ein offenes Buch, in die weiteste Ferne zu schauen und sein
Bewusstsein an einen beliebigen Ort innerhalb unseres Planetensystems zu
versetzen, sich geistig in einen anderen Menschen zu versenken und von
dessen Organismus Besitz zu ergreifen, seinen Körper nach Belieben
leicht, schwer oder auch unsichtbar zu machen, die Elemente zu
beherrschen, und noch vieles Andere.
Ich finde es aber durchaus nicht wünschenswert, dass über diese Dinge
viel gesprochen oder geschrieben wird, da dies niemand etwas nützen
kann, der diese Kräfte nicht hat, und auch niemand den ersten Schritt zu
ihrer Erlangung tun will, der die innerliche Heiligung ist, ohne welche
jeder weitere Schritt vergeblich oder höchst nachteilig ist. Denn für
den Unreinen ist die Eröffnung der heiligen Mysterien und die daraus
entspringende Entwürdigung derselben der sicherste Weg zur Hölle. Auch
würde eine solche Veröffentlichung aber unter den Unverständigen dem
Aberglauben und der Narrheit Tor und Türe öffnen, weshalb denn auch
diese und die folgenden Blätter nur für die Verständigen geschrieben
sind.
"Helena Petrowna Blavatsky und Ihre Meister"
"Erster Teil"