Vorbemerkung

 

   "Ein halbes Wissen ist ein sehr gefährlich Ding" 

 

 

H.P.Blavatsky sagt „Ihr habt kein Recht, der unwissenden Menge die Geheimnisse der okkulten Wissenschaft an den Kopf zu werfen; denn da sie deren Gesetze nicht kennt, so würde sie dadurch nur noch tiefer in den Aberglauben versinken.“ Auch hat sie selbst es bitter bereut, in diesen Dingen zu offenherzig gewesen zu sein, und hatte wohl Ursache, am Ende Ihres Lebens auszurufen: „Wir waren leider die Ersten von solchen Dingen zu sprechen und die Tatsache, dass es im Osten Adepten und Meister der okkulten Wissenschaft gibt, der Öffentlichkeit preiszugeben, und auf uns ist nun das K a r m a, die Folgen der dadurch entstandenen Entwürdigung heiliger Namen und Dinge gefallen.“ („Key to theosophy“ p. 302.)

 

Wenn ich trotz dieser Erfahrungen es wage, dem Drängen vieler meiner Freunde nachzugeben, und in diesen Fortsetzungen meiner „Denkwürdigen Erinnerungen“ von Dingen rede, die ich lieber für mich behalten hätte, so geschieht dies sicherlich nicht zu dem Zweck, um irgend einen Skeptiker an die Existenz der Adepten glauben zu machen, und am allerwenigsten suche ich damit irgend etwas zu „beweisen“, sondern es ist nur meine Absicht, nachdem über diese Dinge bereits soviel verkehrte Anschauungen in die Öffentlichkeit gedrungen sind, das bereits bekannt gewordene zu beleuchten, und diejenigen, denen es nicht nur um die Neugierde, sondern um die Erkenntnis der Wahrheit zu tun ist, auf die richtige Spur zu bringen.

 

Auch nehme ich auch aus demselben Grunde keinen Anstand mehr, die Porträts dieser vielgenannten Adepten den Lesern der „Lotusblüten“ zugänglich zu machen, um so weniger als diese Bilder bereits in Amerika und England käuflich zu haben sind. Die Originale derselben wurden von Hermann Schmiechen in London gemalt und werden von den meisten Mitgliedern der „Theosophischen Gesellschaft“ als Heiligtümer verehrt. Inwiefern der Maler sich bei ihrer Herstellung auf seine Intuition verliess, und ob er hierbei die Phantasie zu Hilfe nahm, kann ich nicht wissen; ich habe aber guten Grund zu versichern, das die Porträts den Originale sehr ähnlich sind.  

 

Ich habe für diese erhabenen, edlen und weisen Menschen die höchste Achtung und Verehrung, und bin Ihnen zu grösstem Danke verpflichtet; aber gerade deshalb fühle ich mich gedrängt, dazu beizutragen, dass dieselben nicht zum Gegenstande eines abergläubischen Götzendienstes gemacht, sondern ihre Lehren verstanden werden. Es ist den Meistern nicht darum zu tun, sich als Wundertäter anbeten zu lassen, sondern ihre Lehre ist vielmehr, dass jeder Mensch in seinem Innern ein Tempel des wahren Erlösers ist;

 

„Ein jeder such´in sich der Freiheit Gut.“

Edwin Arnold „Leuchte Asiens“ VIII.

 

Oder, um es in den Worten dieser Lehrer selbst auszudrücken: „Der besten Meister, den ein Mensch finden kann, ist sein eigenes sechtes Prinzip

(B u d d h i), festgewurzelt im siebten (Atma).“ H.P. Blavatsky fügt hinzu: „Wer andere dazu anleitet den Meister in sich selbst zu finden, der ist ein Erlöser.“  In diesem Sinne sind die Adepten Erlöser der Welt.  Diese Lehre von dem Suchen und Finden des Erlösers in uns selbst, ist natürlich nicht so aufzufassen, als ob die äusserlichen Meister überflüssig wären, und ein Mensch, der den wahren Erlöser noch nicht in seinem Herzen gefunden hat, sein eigener Meister wäre. Die Selbstbeherrschung ist eine schwer zu erringende Kunst, die nur der wahren Selbsterkenntnis entspringt, und diese Selbsterkenntnis besitzt niemand, der nicht seinem Selbstwahn entsagt und im Lichte der Weisheit das wahre Selbst, den Herrn und Meister, in seinem inneren erkennt. Wenn die folgenden Blätter dazu beitragen, dies klar zu machen, so haben sie ihren Zweck erfüllt.

 

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Helene Petrowna Blavatsky und ihre Meister.

 

So habe ich gehört:

Alle die H.P. Blavatsky in ihrer Jugend gekannt haben, stimmen darin überein, dass sie schon damals eine „sonderbare Heilige“ war. Sie war ein Kind der Natur; sie lebte in der Natur und die Natur lebte in ihr. Schon von frühester Jugend an, hatte sie die seltsame Begabung, mit klarem Blicke in das innere der Natur zu sehen und die Geheimnisse zu schauen, die für gewöhnliche Menschenaugen unsichtbar sind. Da diejenigen Blätter nicht für diese geschrieben sind, welche von solchen Dingen noch nichts wissen, und die Erzählungen von den „Geistern der Natur“ für Lügen halten, weil sie sich einbilden, dass es in unserer Welt keine anderen Geschöpfe als die alltäglich sichtbaren geben könne, so brauchen wir auch nicht erst um Entschuldigung zu bitten, wenn wir diese Dinge erwähnen, und nehmen es als bekannt an, dass es in unserer materiellen Welt noch andere übersinnliche und geistige Zustände oder „Ebenen“ gibt, deren Bewohner nur für diejenigen sichtbar sind, welche die Fähigkeit haben, sie zu sehen.

 

Blavatsky hatte die Fähigkeit in hohem Grade, und verkehrte als Kind mit diesen, als „Gnomen“ und „Sylphen“, Undinen und Salamander“ bezeichneten Wesen geradeso, als ob dieselben ihres Gleichen gewesen wäre; ja sie wunderte sich darüber, dass nicht jedermann diese ihre Gespielen und Kameraden sehen konnte. In dem Werke von Sinnet finden sich eine Menge von Anekdoten darüber, und manches wurde mir von ihrer Schwester, Madame Jellihofsky, erzählt, aber das „Astralsehen“ ist heutzutage kein aussergewöhnliches Ding, und wer sich dafür interessiert, der findet genug Erzählungen darüber in der spiritistischen und okkulten Literatur. Dennoch wollen wir ein paar typische Fälle als Beispiele anführen. (Die in diesem Kapitel enthaltenen Annekdoten aus Blavatskys Jugendzeit wurden mir teils von Blavatsky selbst, teils von ihrer Schwester, Madame Jellihofsky, mitgeteilt, teils sind sie dem Werke von A.P. Sinnet über das Leben von H.P. Blavatsky entnommen. Vergl. „Lotusblüten“ Jahrgang 1893 „H.P. Blavatsky, die Sphinx des neunzehnten Jahrhunderts“.)

 

Madame Jellihofsky sagt:“ Die ganze Natur war für H.P. Blavatsky nichts Totes oder Mechanisches, sondern ein lebendiges durchgeistetes Wesen. Als Kind war sie das sonderbarste Geschöpf, in dem zwei Naturen deutlich ausgeprägt waren, gleichsam als ob zwei Wesen in einen einzigen Köper wohnten. Das eine war eigensinnig, boshaft und herrschsüchtig, das andere mystisch und metaphysisch angelegt, so wie die Seherin von Prevost.  Ihre Phantasie, d.h. das was wir damals für „Phantasie“ hielten, war ungemein stark entwickelt. Stundenlang erzählte sie uns oft die wunderbarsten und unglaublichsten Geschichten, mit einer Sicherheit und Überzeugung, als ob sie dies alles wirklich erlebt hätte, und es war auch kein Zweifel möglich, dass sie dasjenige, was sie zu sehen vorgab, auch wirklich sah. Obgleich sie als Kind schon in allem furchtlos und mutig war, so erschrak sie doch oft heftig über die Erscheinungen, die sie hatte. Sie versicherte, dass sie von etwas verfolgt werde, was sie „jene schrecklichen, leuchtenden Augen“ nannte. Bei solchen Gelegenheiten hielt sie sich die Augen zu und schrie so, dass das ganze Haus zusammenlief.  Andere Male wurde sie gleichsam von Lachkrämpfen befallen, und erklärte dies durch die Spässe, welche ihre unsichtbaren Gefährten trieben. Sie sah diese in jeder dunklen Ecke, in jedem Strauch des Parkes und in den öden Sälen unseres Schlosses.

 

Obgleich alle Türen stehts verschlossen waren, fand man Helene doch oftmals mitten in der Nacht in diesen dunklen Gemächern in einem halb bewusstlosen Zustand, gleich dem einer Schlafwandlerin, und sie konnte selbst nicht angeben, wie sie dorthin gekommen war. Mitunter fand man sie auf dem Speicher im Taubenschlag, und andere Male in der zoologischen Sammlung unserer Grossmutter, und alle die ausgestopften Tiere, Krokodile, Seehunde und Eisbären u.s.w. waren für sie lebendig und erzählten ihr ihre Erlebnisse. Für sie gab es keinen leblosen Raum. Alles war für sie lebendig, ja sogar die Steine und der Sand am Meere. Alles hatte für sie ein innerliches Leben, das für die äussere Welt ein Geheimnis ist.

 

Manchmal machten wir Ausflüge auf einen Landstrich, der in alten Zeiten einmal Seeboden gewesen war. Man fand da oft Muscheln und versteinerte Überreste von Seetieren.  Aus solchen Überbleibseln las Helene deren Geschichten, und sie tat dies mit einer solchen Begeisterung, dass man das, was sie erzählte, selbst mitzuerleben glaubte. Wunderbar lautete ihre Beschreibung der Seeungeheuer, deren Formen sie in den Sand zeichnete. Sie beschrieb deren Kämpfe, die vielleicht von Jahrtausenden gerade dort stattgefunden hatten, wo wir uns lagerten. Sie beschrieb das Meer mit seinen dunkelblauen Wogen, den Meeresboden mit seiner grotesken Pflanzenwelt, die Korallenriffe und Wassertiere, so dass sie alle ihre Zuhörer mit sich fortriss.

 

Es braucht kaum versichert zu werden, dass sie niemals von der Wiederverkörperung gehört hatte. In unserer höchst christlich – orthodoxen Familie hätte so etwas nie die Rede sein dürfen. Dennoch wusste sie von dergleichen Dingen genug zu erzählen. Da war z.B. in unserem Museum ein langbeiniger ausgestopfter Flamingo. Derselbe war, so behauptete sie, vor vielen Jahren ein Mensch gewesen, er hatte aber viele grosse Verbrechen und einen Mord begangen, weshalb seine Seele wieder zum tierischen Dasein hinuntersank, und in diesem Flamingo ihren Aufenthalt nahm.“

 

 Diejenigen welche die Kunst der „Psychometrie“ und Reinkarnation verstehen, werden diese Dinge erklärlich finden und sie nicht der leeren Phantasie zuschreiben, selbst wenn die Phantasie dabei eine Rolle spielt. Auch sind eine Menge von Tatsachen vorhanden, welche bezeugen, dass dasjenige, was sie hellsehend schaute, auch wirklich vorhanden war. Wir wählen unter den verschiedenen Bespielen folgendes:

 

Im Jahre 1858 wurde nicht weit vom Wohnorte von Madame Blavatskys Schwester ein Mann in einer Branntweinschenke ermordet gefunden. Der Täter war unbekannt und der Polizeikommissär des Distriktes kam nach dem Dorfe, um Erkundigungen einzuziehen. Bei dieser Gelegenheit machte er einen Besuch bei Blavatskys Vater, und dieser schlug ihm vor, den Versuch zu machen, durch Helenes okkulte Kräfte dem Mörder auf die Spur zu kommen. Der Kommissär war ein Skeptiker, und machte Witze über diesen Vorschlag. Dadurch wurde die Kleine gereizt, ihn zu beschämen, und sie teilte ihm folgendes mit:

„Während sie hier Unsinn reden, ist der Täter, der Samoylo Ivanof heisst, bereits schon vor Tagesanbruch über die Grenze ihres Distrikts entwischt, und befindet sich jetzt im Hause eines Bauern Namens Andrew Vlassoff, in dem Dorfe Oreschkion, wo er sich auf dem Heuboden versteckt hat. Wenn sie gleich hingehen, werden sie ihn erwischen. Samoylo Ivanof ist ein alter beurlaubter Soldat. Er war betrunken und hatte einen Streit mit seinem Opfer. Der Totschlag war nicht vorüberlegt; es ist ein Unglück und kein Verbrechen.“

 

Kaum hörte der Kommissär diese Worte, so stürmte er fort, und am nächsten Morgen kam ein Bote mit der Nachricht, dass in dem über dreissig Meilen entfernten Dorfe Oreschkino der beurlaubte Soldat Samoylo Ivanov in dem Hause des Bauern Andrew Vlassoff, gerade so wie es Helene beschrieben hatte, auf dem Heuboden versteckt gefunden worden wäre, und die Tat eingestanden hätte. Diese Probe von Hellsehen hatte übrigens für ihren Vater einige Unannehmlichkeiten zur Folge, denn die Polizei in St. Petersburg wollte durchaus wissen, wie es käme dass die junge Dame dies alles so genau gewusst hätte, und da die Polizei nicht an Hellsehen glaubte, und mit den gegebenen Erklärungen nicht zufrieden war, so blieb dem Vater nichts anderes übrig, als sie auf jene Weise zu beruhigen, die unter den russischen Beamten stehts wirksam war.

 

H.P. Blavatsky hatte eine äusserst sensitive Natur, und war bis zu ihrem fünfundzwanzigsten Jahre ein bewunderungswürdiges „Medium“. In ihrer Gegenwart trugen sich alle die erstaunlichen Phänomene zu, welche diejenigen, die sich mit Spiritismus beschäftigen, hinlänglich bekannt sind, und die wir nicht weiter zu erwähnen brauchen, da über dergleichen Dinge bereits eine höchst umfangreiche Literatur existiert. Aber während die spiritistischen Medien sich bei solchen Gelegenheiten ganz passiv verhalten, und diese Phänomene nicht selbst verursachen, sondern sie, vermittelst ihres Organismus, durch Kräfte oder Wesen, die ihnen selbst in der Regel unbekannt sind, hervorbringen lassen, kannte Blavatsky die dabei wirkenden Kräfte und konnte dergleichen Phänomene willkürlich und nach Belieben hervorbringen. In ihrer früheren Jugend war sie ein Werkzeug dieser „Geister“, später erlangte sie die Macht über dieselben, und diese „Geister“, wenn wir sie so nennen wollen, wurden ihre Werkzeuge. Dies war nur dadurch möglich, dass sie die Fähigkeit hatte, dieselben zu sehen.

 

So konnte sie z.B. das bekannte „Geisterklopfen“ nach Belieben und ohne irgendwelche äusserliche Mittel, durch ihre eigene Willenskraft hervorbringen, und auf diese Weise ihre „Geister“ Mitteilungen nach dem Alphabet „ausklopfen“ lassen. Die Klopftöne ertönten dort, wo sie es wollte. Für eine Dame, welche sehr skeptisch war und hämische Bemerkungen machte, brachte sie diese Klopftöne an der Goldfüllung von den Zähnen in dem Munde von dieser Dame zuwege, was sicher für diese überzeugend genug war.  Hunderte von solchen Anekdoten könnten aufgeführt werden.

 

Sie brachte diese Klopftöne, nach ihrer eigenen Angabe, auf zweierlei Arten hervor: Die erste bestand darin, dass sie sich völlig passiv verhielt und die sogenannten „Geister“ d.h. die geist- und hirnlosen Elementarwesen nach belieben durch ihren Organismus wirken liess. Dieselben spiegelten dann mehr oder weniger getreu die Gedanken der Anwesenden wieder, oder folgten instinktiv den Empfindungen und Gedanken, die sie in Blavatskys Innerem fanden.

 

Die andere Art bestand darin, dass sie sich innerlich sammelte und mit geschlossenen Augen im Astrallichte diejenige Gedankenströmung aufsuchte, welche den echten Eindruck irgend einer bestimmten und bekannten verstorbenen Persönlichkeit enthielt. Sie identifizierte sich mit dieser Strömung (oder wie man zu sagen pflegt, sie ging in den Geist des Verstorbenen ein) und liess dann die Worte, die sie sich selbst aus diesen Gedanken gebildet hatte, durch die Klopftöne ausbuchstabieren. Wenn z.B. der „Klopfgeist“ sich als Shakespeare ankündigte, so war dies nicht in Wirklichkeit dessen verstorbene Person, noch auch sein zurückgebliebener Schatten, sondern nur das Echo seiner unsterblichen Gedanken, welche im Astrallichte gleichsam krystallisiert waren. Ihr eigenes Gehirn fotografierte sozusagen das, was sie mit ihrem geistigen Auge sah, bildete es in Worte, und durch ihren Willen wurde es in Klopftönen ausbuchstabiert.

 

Der vernünftige Leser wird nun vielleicht fragen, weshalb sie diese Klopferei nötig hatte, dass sie doch auf eine viel einfachere Weise diese Gedanken hätte aussprechen oder niederschreiben können; aber er vergisst dabei, dass nicht Blavatsky sondern die Zuschauer diese Klopftöne haben wollten. Ein orthodoxer Geistergläubiger kümmert sich nicht um das, was ihm ein lebendiger Mensch sagt. Wird er angeblich durch den Geist eines Verstorbenen „ausgeklopft“, so ist er zufrieden. Alle Versicherungen und Beweise Helenes, dass sie dies selbst tue, half nichts; man wollte durchaus, dass es die Geister Verstorbener sein sollten.  Die Welt will nicht betrogen sein, aber sie liebt es, sich selbst zu betrügen.

 

Dass Blavatsky nicht schon mit einer vollkommenen Kenntnis der Naturgesetze geboren wurde, ist begreiflich, und es ist auch nicht zu verwundern, dass sie in ihrer Jugend, während ihrer mediumistischen Entwicklung Schöpfungen ihrer eigenen, unbewusst arbeitenden geistigen Wahrnehmung und Einbildungskraft für Erscheinungen verstorbener Menschen hielt, wie folgender Vorfall beweist.

 

Helene von Hahn (Blavatsky) hatte eine entfernte Verwandte aus Deutschland gehabt, aber dieselbe niemals gekannt, da diese schon als Helene noch in der Wiege lag, aus Russland verschwunden war. Niemand wusste wohin; es hiess nur, dass sie irgendwo im Auslande gestorben sei.  Eines Tages aber erschien ihr der Geist dieser Verwandten, und teilte ihr mit, wo und wann und unter welchen Umständen sie gestorben sei. Der Geist gab den Namen des Pfarrers an, der die Leichenrede gehalten hatte und den Text der Predigt. Tag für Tag kam diese Verwandte und beschrieb ihre Freuden im Himmel und ihre Seligkeit. Viele Bogen wurden mit diesen Mitteilungen ausgefüllt; manche wurden mit „direkter Geistesschrift“ geschrieben. Unter diesen befand sich auch eine Kopie einer Bittschrift, welche vor vielen Jahren einmal nach St. Petersburg gesandt worden war. Ein Vetter der dorthin reiste, erhielt die Erlaubnis, in den Archiven nachzusehen und fand das betreffende Original. Es stimmte genau mit der Kopie überein; die Handschrift war dieselbe, und sogar ein Tintenklex auf dem Original war auf der Kopie getreulich nachgebildet. Die Beweise der Identität des Geistes waren so überzeugend, dass kein Spiritist sich hätte besseres wünschen können.  Selbst der eingefleischeste Zweifler hätte nichts zu erwidern gehabt.  Zum Überfluss kam auch noch der Geist des Sohnes dieser Verwanden, klagte sich an, Selbstmord begangen zu haben, schilderte in ergreifenden Worten seinen Zustand im Fegefeuer und bat um Gebet.

 

Aber zum Unglück für die Richtigkeit dieser Geistertheorie kam damals ein Vetter Helenes, ein junger Kavallerieoffizier nach Ekarterinoslav, und sein Regiment schlug in der Nähe des Ortes, wo Helene wohnte, ihr Lager auf. Diese besuchte ihren Vetter in seinem Zelte, und indem sie nach Kinderart in seinen Effekten herumstöberte, fiel ihr ein Porträt in die Hände. Beim Anblick desselben stiess sie einen Schrei aus. „Was gibt es denn“ fragte der Leutnant. „Was es gibt!“ antwortete Helene. „Hier ist das Porträt von ……….., deren Geist mich seit Monaten täglich besucht.“ Da fing der Vetter an zu lachen, und sprach: „Du bist ja närrisch! Dies ist ja das Porträt meiner Tante, die gar nicht ans sterben denkt. Sie freut sich ihres Lebens in Dresden, und strickt dort an ihrem Strumpf.“

 

Und so war es auch. Die Tante lebte, und ihr Sohn lebte auch, und was an der Selbstmordgeschichte wahr war, das ist, dass er einmal den Versuch gemacht hatte, sich zu erschiessen, aber sich nur unbedeutend verletzt hatte, und nachdem er längst wieder hergestellt worden war, eine einträgliche Stelle in einem Kaufhause in London inne hatte. In späteren Jahren, nachdem Blavatsky die „Geister“ kennen gelernt hatte, konnten solche Irrtümer, wie sie sich heute täglich in spiritistischen Kreisen ereignen, bei ihr nicht mehr vorkommen.

 

Alles das Obige ist dazu bestimmt, um anzudeuten, dass es im Menschen verborgene Kräfte gibt, die noch nicht jedermann kennt; das Geisterreich oder die Seele der Welt mit dem Geiste des Menschen und seiner psychischen Natur im innigsten Zusammenhange stehen, und ferner, dass Helene Petrowna Blavatsky eine seltsame Person und in der Astralwelt, oder dem sogenannten „Geisterreich“, ebenso zu Hause war, wie in der sichtbaren physischen Welt. In ihr waren die erwähnten geheimen Kräfte (Wille, Imagination, geistige Wahrnehmungen u.s.w.) auf eine ganz ausserordentliche Weise entwickelt.

 

Gedanken waren für sie Dinge, die sie wie in einem offenen Buche, in der Aura ( oder Geistessphäre) desjenigen, der sie dachte, lesen konnte. Die „übersinnlichen“ Bewohner der „übersinnlichen“ Welt waren für sie sichtbar und leibhaftig. Sie verkehrte mit ihnen schon in frühester Jugend, und geriet als Kind oft in Ärger, wenn ihre Gouvernante das Dasein eines buckligen Zwerges, der ihr Spielgenosse war, nicht anerkennen wollte, weil sie nicht die Fähigkeit hatte, ihn mit leiblichen Augen zu sehen. In späteren Jahren beherrschte sie durch die Kraft Ihres Geistes diese geistlosen Wesen, welche in Ermangelung eines passenden Ausdruckes noch immer als „Geister“ bezeichnet werden.

 

Aber auch schon in ihrer Jugend bestand ihr Verkehr nicht alleine in dem Umgang mit Astralbildern, Spukerscheinungen, Kobolden, Elementarwesen u. dergl., sondern es machte sich schon frühzeitig der Einfluss höherer Wesen, die wirklich Geist und Intelligenz besassen, bemerkbar. Man sagt, dass jedes Kind einen Schutzengel besitze. Dieser ist in der Regel unsichtbar; aber Helene schien ganz ungewöhnliche Schutzengel zu haben, die sie nicht nur unsichtbar bewachten und beschützten, und aus mancher grossen Gefahr retteten, sondern mit ihr verkehrten und sogar auch für andere Menschen sichtbar und greifbar wurden, und was das merkwürdigste dabei ist, diese „Schutzengel“ waren gar keine luftigen Geister, sondern lebendige Menschen, die, wenn sich auch in weiter Ferne von ihr lebten, dennoch die Macht hatten, nicht nur „im Geiste,“ sondern auch leiblich bei ihr zu sein.

 

Dies wird nun für manche Leser höchst unwahrscheinlich und unglaublich klingen, besonders aber für diejenigen, welche glauben, dass das ganze Wesen des Menschen in seinem grobmateriellen Organismus bestehe, und nicht einsehen können, dass der physische Körper des Menschen nur gleichsam das Haus ist, welches der eigentliche Mensch während seines Daseins auf dieser physischen Erscheinungswelt bewohnt; dass er ausser diesem Organismus noch einen feineren ätherischen Leib besitzt, und dass er, wenn er einmal zur richtigen Erkenntnis seines eigenen geistigen Daseins gelangt ist, aus dem physischen Körper ebensogut herausgehen kann, wie die Schnecke aus dem Schneckenhaus.

 

Für diejenigen, welche nicht nur die physische, sondern auch die metaphysische Beschaffenheit des menschlichen Organismus kennen, hat diese Behauptung durchaus nichts Unglaubliches. Auch ist bereits über diese Dinge soviel von Du Prel und anderen geschrieben worden, dass eine Kenntnis derselben, dass zur allgemeinen Bildung gehörend, vorausgesetzt werden darf. Dass der „Astralköper“ oder „Doppelgänger“ aus dem physischen Körper unter gewissen Umständen austreten und sich von diesem entfernen kann, ist eine so bekannte Tatsache, dass es sich nicht der Mühe lohnt, mit denen, die nichts davon wissen, zu streiten. Der Astralkörper ist dann gewöhnlich ohne Intelligenz und handelt wie ein Schlafwandler oder Träumender; aber es gibt auch Menschen, die es in ihrer Macht haben, mit Selbstbewusstsein und Intelligenz ausserhalb ihres physischen Körpers, in ihrem Astralkörper zu erscheinen. Dies ist die eine Art, durch welche solche Erscheinungen erklärlich gemacht werden können.

 

Aber es gibt noch eine andere Art, um in die Ferne zu wirken. Ausser dem Astralkörper kennt die okkulte Philosophie noch einen geistigen Leib, oder „Gedankenkörper“, im Indischen „Mayavirupa“ genannt, der noch weniger materiell als der „ätherische“ oder „Astralkörper“ ist.  Jeder Mensch der darauf bezüglich Versuche gemacht hat, weiss, dass er seine Gedanken in einem Augenblicke in die weite Ferne senden, und durch sie auf andere Menschen einwirken kann, vorausgesetzt, dass dieselben hierfür empfänglich sind. Der Gedanke, den ein Mensch aussendet, ist ein Teil seiner selbst, er wird nicht vom Menschen getrennt und geht nicht verloren, ebensowenig als ein von der Sonne ausgehender Lichtstrahl von ihr getrennt wird oder verloren geht. Dort, wo ein Mensch sich hindenkt, da ist er in seinen Gedanken. Es handelt sich nur darum, dass er zugleich mit seinen Gedanken auch sein Bewusstsein dorthin versetzen kann; dann ist er in Wirklichkeit dort. Der Grund, weshalb dies möglich ist, besteht darin, dass es im Geistigen überhaupt keinen Raum oder Entfernung nach unseren Begriffen gibt. Der Geist Gottes im Weltall ist nur ein einziger und allgegenwärtig.  Um nun sein Bewusstsein dahin und dorthin, in die Ferne zu versetzen, dazu muss der Mensch in diesem Geiste Gotttes zum Selbstbewusstsein gekommen sein.

 

Ein solcher Mensch ist ein „Initierter“ (Eingeweihter), „Erleuchteter“ oder „Adept“. Solche Menschen waren Lehrer oder Meister von H.P. Blavatsky, und schon als Kinde ihre „Schutzengel“.

 

Mit diesen Meistern stand H.P. Blavatsky ihr Leben lang in Verbindung und erhielt durch sie ihren Unterricht. Tatsächlich können viele ihrer Werke als von den Meistern inspiriert oder geschrieben betrachtet werden. Nicht so, wie ein spiritistisches Medium von einem „Geiste“, den es vielleicht gar nicht einmal kennt, als Gedankenloses Werkzeug benützt wird, sondern so, wie ein Lehrer seine Schüler bei seinen Arbeiten unterstützt.  Auch darf man sich diesen geistigen Verkehr zwischen dem Meister und dem Jünger nicht als einen nur äusserlichen oder objektiven vorstellen. Je mehr die beiden in Seelenübereinstimmung sind, umso mehr sind sie tatsächlich „ein Herz und ein Gedanke“. Der Jünger vom Geiste des Meisters erfüllt, empfindet sich selbst als den Meister; er ist eins mit ihm, und es ist kein Unterschied mehr zwischen den beiden während dieser liebevollen Vereinigung. Wer soll dann noch unterscheiden, was der Meister und was der Jünger gedacht, oder geschrieben hat?

 

Die Nichtkenntnis dieses Gesetzes hat viel Anlass zu törichtem Kaffeeklatsch, Missverständnissen und Beschuldigungen von H.P. Blavatsky und anderen gegeben, und schliesslich zu einer Trennung der tieferblickenden unter den Mitgliedern der theosophischen Gesellschaft von den kurzsichtigeren geführt.

 

Man empfindet die Gegenwart des Meisters so, wie man die Gegenwart Gottes im seinen Inneren empfindet, aber wer kann dies wissenschaftlich einem anderen beweisen, und wer kann zwischen dem, was ihm selbst göttlicher und menschlicher Natur ist, unterscheiden, als derjenige, welcher das Göttliche erkannt hat, und durch die Kraft der Selbsterkenntnis zu dieser Fähigkeit der Unterscheidung gekommen ist?

 

Helene wuchs auf, von einem Heer von wechselnden Erscheinungen aus der sogenannten „Geisterwelt“ umgeben; aber unter diesen machte sich eine Erscheinung bemerkbar, die sich sehr oft zeigte. Es war dies ein Inder mit von imponierendem Äusseren und durchdringendem Blick; kein „Geist“ eines Verstorbenen, sondern die „Astralform“ ihres in Tibet lebenden Lehrers, Meisters und Beschützers, den sie später in Person kennen lernte. Das erste Mal, dass sie ihn in seinem physischen Körper sah, war während eines Besuches in Paris, wohin derselbe als Mitglied einer tibetanischen Gesandtschaft gekommen war.  Sie erkannte ihn sogleich und wollte sich ihm nähern; aber er winket ihr ab.  Erst viele Jahre später trat sie mit ihm persönlich in Tibet zusammen. Er war es, der sie von ihrer „Mediumschaft“ befreite und sie lehrte, anstatt diesen niederen „Geistern“ zu gehorchen, durch die Kraft ihres magischen Willens, selber Herr über dieselben zu sein.

 

Dass dieser Meister ein Adept und Yogi war und Kräfte besass, die man nicht anders als wie „magische“ oder „göttliche“ bezeichnen kann, geht aus den Erzählungen seiner Handlungen hervor, deren Zeugen nicht nur H.P. Blavatsky, sondern auch viele andere Menschen waren, worunter ich selbst. Einzelne von dergleichen Tatsachen sind in Blavatskys Buch „In den Höhlen und Dschungel Hindostans“ in der Form eines Romans beschrieben, in welchem der Meister unter dem Namen Gulab – Lal – Sing eingeführt ist; unter den Theosophisten wird er „Mahatma Morya“ genannt; sein wirklicher Name ist aber nur den Eingeweihten bekannt. Er ist in dem betreffenden Werke richtig beschrieben als ein Mann von ungewöhnlicher Grösse, reich und unabhängig, in den Geheimnissen der Magie und Alchemie eingeweiht und ein Mensch, den niemand als Betrüger zu verdächtigen wagte, „umso weniger, als er trotz seines umfassenden Wissens öffentlich nie ein Wort über diese Dinge sprach, und seine Kenntnisse, ausser vor wenigen guten Freunden, sorgfältig verborgen hielt.“ Obgleich er als ein Mann von vielleicht vierzig Jahren erscheint, wird von den Eingeweihten behauptet, dass er schon seit mehr als dreihundert Jahren in seiner jetzigen Inkarnation zugebracht habe; aber hierüber kann ich kein Urteil abgeben, und ziehe es überhaupt vor, über verschiedene ähnliche Dinge zu schweigen, die zwar denjenigen, die mit der indischen Yoga – Philosophie vertraut sind, natürlich genug erscheinen, für die man aber in Europa noch wenig Verständnis besitzt.

 

Diejenigen aber, die solche Dinge unglaublich unmöglich und lächerlich finden, möchte ich darauf aufmerksam machen, dass die Erleuchteten aller Nationen darüber einig sind, dass, wenn der Mensch in Wahrheit sich selbst und die in ihm schlummernden Kräfte kennen würde, er auch wirklich wissen würde, dass er der Herr der Schöpfung ist, zwar in einem viel tieferen Sinne, als dies gewöhnlich aufgefasst wird; nicht ein Wesen, dass sich durch äusserliche physische Gewalt, und infolge seines Intellekts äusserlich zum Herrn über andere Geschöpfe macht, sondern ein himmlisches Wesen, dass durch die ihm innewohnende Geisteskraft alle niedriger stehenden Wesen und die ganze Natur beherrscht, insofern als dies das Gesetz  des Karma (Das Gesetz der Gerechtigkeit) gestattet.

 

Der weise Patanschali, der ungefähr 500 Jahre vor der christlichen Zeitrechnung  lebte, hat in seinen „Yoga Aphorismen“ die Kräfte eines solchen „wiedergeborenen“ Menschen beschrieben. Es gehören dazu die Fähigkeit, in den Zustand von Samadhi (Allbewusstsein) einzugehen, die Vergangenheit und Zukunft zu kennen, die Menschen geistig zu durchschauen und ihre Gedanken zu lesen wie ein offenes Buch, in die weiteste Ferne zu schauen und sein Bewusstsein an einen beliebigen Ort innerhalb unseres Planetensystems zu versetzen, sich geistig in einen anderen Menschen zu versenken und von dessen Organismus Besitz zu ergreifen, seinen Körper nach Belieben leicht, schwer oder auch unsichtbar zu machen, die Elemente zu beherrschen, und noch vieles Andere.

 

Ich finde es aber durchaus nicht wünschenswert, dass über diese Dinge viel gesprochen oder geschrieben wird, da dies niemand etwas nützen kann, der diese Kräfte nicht hat, und auch niemand den ersten Schritt zu ihrer Erlangung tun will, der die innerliche Heiligung ist, ohne welche jeder weitere Schritt vergeblich oder höchst nachteilig ist. Denn für den Unreinen ist die Eröffnung der heiligen Mysterien und die daraus entspringende Entwürdigung derselben der sicherste Weg zur Hölle. Auch würde eine solche Veröffentlichung aber unter den Unverständigen dem Aberglauben und der Narrheit Tor und Türe öffnen, weshalb denn auch diese und die folgenden Blätter nur für die Verständigen geschrieben sind.

 

 

          

 

Dr. med Franz Hartmann

 

"Helena Petrowna Blavatsky und Ihre Meister"

 "Erster Teil"