Hierzu brauchte Blavatsky weder berühmt, noch gelehrt, noch eine Heilig
zu sein, wohl aber musste sie Verstand und Willenskraft besitzen, und
diese besass sie auch in ungewöhnlichem Grade.
In der Persönlichkeit von jedem von uns ist eine geistige Individualität
inkarniert, ein höheres Ich, welches diejenigen Talente und
Eigenschaften besitzt, die es in seinem früheren Dasein erworben hat.
Deshalb kommt es auch täglich vor, dass ein Mensch in seinem Innern viel
mehr Erkenntnis hat als er persönlich besitzt und die Intuition eines
Menschen besteht gerade darin, dass dasjenige, was er geistig weiss und
erkennt, zu seinem persönlichen Bewusstsein gelangt.
Wer in seinem früheren Leben ein grosser Arzt, Künstler, Musiker,
Okkultist u.s.w. war, der wird im nächsten Leben als ein geborener Arzt,
geborener Künstler u.s.w. wieder auf der Bühne des Lebens erscheinen.
Ebenso entwickelten sich in der Person von Blavatsky nach und nach die
Talente und Eigenschaften, die sich ihre Individualität in einem
früheren Leben erworben hatte. Sie war eine Abgesandte der Meister und
ihre Verbindung mit diesen hörte solange sie lebten nicht auf.
Auch beschränkte sich der Einfluss dieser und anderer, hier nicht
erwähnten Adepten, nicht nur auf H.P. Blavatsky, sondern auch auf manche
andere Personen, besonders auf solche, die mit Blavatsky in Verbindung
standen, und von denen zu erwarten war, dass sie ihr in ihrem Werke
hilfreich beistehen könnten. Manche von diesen, wie z.B. Col. Olcott,
Damodar K. Malavankar und W.T. Brown trafen sogar mit diesen Meistern
persönlich zusammen. Manche trafen mit ihnen in geistige Verbindungen,
aber nur wenige waren fähig, dieselbe dauernd zu erhalten; bei den
meisten regte sich schon nach kurzer Zeit der Eigendünkel, Grössenwahn
und die Sucht nach Selbstverherrlichung und Herrschsucht, wodurch das
Erhabene und Heilige zurückgestossen und diese Verbindung unwirksam
gemacht wurde. Viele Beispiele hiervon stehen uns zur Verfügung. Ich
will davon nur eines, das folgende erwähnen: V.S. Solovyoff, der
ehemalige Busenfreund und spätere Verleumder von H.P. Blavatsky schreibt
in „A modern Priester of Isis, S 79“:
„ Ich schloss meine Türe und ging schlafen. Plötzlich wachte ich auf,
oder, was wahrscheinlicher ist, ich träumte, oder bildete mir ein, dass
ich durch einen warmen Hauch aufgeweckt werde. Ich befand mich in meinem
Zimmer, und vor mir, im Halbdunkel, stand eine hohe, in Weiss
gekleidete, menschliche Gestalt. Ich fühlte eine Stimme, welche mir, ich
weiss es nicht wie, oder in welcher Sprache, gebot, das Licht
anzuzünden. Ich war nicht im geringsten erschrocken oder überrascht. Ich
zündete die Kerze an, und sah nach meiner Uhr. Es war zwei Uhr.
Die Erscheinung verschwand nicht. Vor mir stand ein lebender Mensch und
dieser Mensch war augenscheinlich kein anderer, als das Original des
wunderbaren Porträts, welches ich gesehen hatte; ein genaues Ebenbild
desselben (siehe Teil eins, also Mahatma Morýa). Er setzte sich auf
einen Stuhl neben mich, und sprach zu mir in einer mir unbekannten, aber
dennoch verständlichen Sprache, von verschiedenen Angelegenheiten, die
mich betrafen. Unter anderem sagte er mir, dass, um die Fähigkeit zu
erlangen, ihn in seinem Astralkörper zu sehen, ich durch gewisse
Vorbereitungen hätte gehen müssen, und dass ich grosse magnetische
Kräfte besässe. Ich fragte ihn, wie ich diese anwenden sollte; aber da
war er verschwunden. Ich dachte, dass ich ihm nachsprang, aber die Türe
war verschlossen. Die Idee kam mir, dass dies eine Halluzination gewesen
sei, und dass ich verrückt würde; aber da war Mahatma Morýa wieder an
derselben Stelle; er bewegte sich nicht; er hielt seinen Blick auf mich
gerichtet, geradeso, wie es auf mein Gehirn beeindruckt war. Er
schüttelte sein Haupt und sprach in derselben lautlos eingebildeten
Sprache der Träume: „ Sei versichert, dass ich keine Hallucination bin,
und dass dein Verstand dich nicht verlässt.“
Er verschwand. Ich sah auf meine Uhr, und es war nahezu drei Uhr. Ich
löschte das Licht aus und schlief sogleich wieder ein.
Ich erwachte um zehn Uhr und erinnerte mich an alles ganz genau. Die Tür
war verschlossen; es war mir unmöglich, der Kerze anzusehen, ob sie
während der Nacht gebrannt hatte, da sie schon vorher gebraucht worden
war. Im Frühstückszimmer traf ich Miss A. Wir gingen zu Gebhards. Madame
Blavatsky begegnete uns und fragte, wie mir schien, mit einem
bedeutungsvollen Lächeln: „Nun! Wie haben sie geschlafen?“
„Sehr gut,“ antwortete ich, und fügte gedankenlos hinzu: „ Haben sie mir
nichts zu sagen?“
„Nichts Besonderes“ sagte sie, „ ich weiss nur, dass der Meister letzte
Nacht bei Ihnen zum Besuche war.“
Oberflächlich urteilende und unerfahrene Menschen werden aus dieser
Beschreibung nichts anderes sehen, als dass der Betreffende einen
lebhaften Traum hatte; ich erblickte darin ein Zeugnis, bis zu welchem
Grade die Zweifelsucht den Menschen blind machen kann.
Es ist klar, dass man das „Traumbild“ (Mayavirupa) eines anderen
Menschen nicht anders als mit dem inneren Auge sehen kann.
Dass aber dieses Traumbild kein dem eigenen Gehirn entsprungenes
war, ist durch die begleitenden Umstände bewiesen.
Ich selbst habe solche Erscheinungen zu wiederholten Malen gesehen. Ich
war mehr als einmal zugegen, wenn ein Meister in Blavatskys Zimmer war
und mit ihr sprach. Ich konnte ihn aber nicht sehen, und musste mir
deshalb von Blavatsky Bemerkungen gefallen lassen, und bei anderen
Gelegenheiten wurden mir, selbst wenn Blavatsky abwesend war, solche
Besuch zu teil, die ich klar und deutlich sah, und von denen mir niemand
glauben machen könnte, dass es von mir selbst erzeugte Traumbilder
waren.
Auch hat es in dieser Beziehung nicht an handgreiflichen Beweisen , die
noch jetzt in meinem Besitze sind , gefehlt, und schliesslich ist es
nichts Ausserordentliches dass man einen Unbekannten im Wachtraume oder
im Halbschlummer sieht, und dieselbe Person später im Leben persönlich
kennen lernt. Einige von meinen Erfahrungen mit „okkulten Phänomenen“
wurden im Jahre 1884 in der Monatsschrift “The Theophist“ in Madras
veröffentlicht; ich ziehe es aber vor, mich in allem, was die Adepten
betrifft, auf das Zeugnis anderer zu berufen, als von mir selbst zu
sprechen.
Dem Präsidenten der „Theosophischen Gesellschaft“ H.S. Olcott, erschien
einer der Meister in New York, obgleich sich dieser Meister zur selben
Zeit in Asien (Tibet) befand. Die Erscheinung des Adepten sprach mit
Olcott, nahm ihren Turban ab und gab ihm denselben zum Andenken, und
noch heute führt Olcott auf seinen Reisen diesen Turban mit sich und
zeigt ihn gelegentlich bei seinen Vorträgen vor.
Ob er aber damit irgend einen Gläubigen überzeugen kann, dass es
Adepten gebe, dies will ich nicht behaupten.
Domodar K. Mavalankar, ein junger Inder, der in Adyar am Hauptquartier
der Theosophischen Gesellschaft wohnte, als ich mich dort befand, hatte
die Fähigkeit, seinen Körper zu verlassen und in seinem Astralköper
Besuche zu machen. Eines Tages wurde ihm gestattet, auf diese Weise die
Wohnung des Meisters Kut Humi zu besuchen, und er berichtet darüber
folgendes:
„Während meiner Anwesenheit in Lahore empfing ich drei Besuche des
Meisters in seinem physischen Körper. Jeder dieser Besuche dauert
ungefähr drei Stunden; ich war bei vollem Bewusstsein und einmal ging
ich ihm ausserhalb des Hauses entgegen. Er, den ich in Lahore körperlich
sah, war derselbe den ich in Adyar in seinem Astralkörper gesehen hatte,
und auch derselbe, den ich in meinen Träumen und Visionen in seinem
Hause, Tausende von Meilen entfernt, in meinem Astralkörper besucht
hatte. Bei diesem Astralbesuch hatte ich ihn, da meine psychischen
Kräfte nur erst wenig entwickelt waren, nur in einigermassen nebelhaften
Form gesehen, obgleich seine Gesichtszüge ganz deutlich erkennbar waren,
aber nur in Lahore war dies anders.
Wenn ich ihn in seiner Astralform berührte, so ging meine Hand durch
denselben hindurch; aber jetzt berührte sie materielle Kleider und
lebendiges Fleisch. Hier
sah ich einen lebendigen Menschen vor mir, der die mir bekannten
Gesichtszüge hatte, und dessen Porträt ich oft in Madame Blavatskys
Besitz gesehen hatte. …….. In Jummu hatte ich das Glück, dass es mir
erlaubt wurde, ihn zu besuchen und ich blieb dort einige Tage in
Gesellschaft verschiedener Mahatmas vom Himalaya und ihren Jüngern…..“
Selbstverständlich beweisen diese Erzählungen dem Skeptiker nichts.
Es gibt keine Erfahrung, wenn sie auch von tausenden von Zeugen ,
die sie gemacht haben bezeugt werden kann, die nicht diejenigen, welche
sie nicht erfahren haben, ableugnen und zu ihrer Erklärung irgend eine
Betrugstheorie erfinden können. Wir leben in einer Welt, in der vieles
verkehrt ist. Vieles was für Sinnestäuschung oder Betrug gehalten wird,
ist unverstandene Wahrheit und vieles, was allgemein für wahr gehalten
wird, ist Täuschung oder Betrug.
Niemand kann eine Wahrheit mit Bestimmtheit erkennen, solange er von ihr
selbst keine Erfahrung hat. Selbst die eigenen uns innewohnenden Kräfte
können wir erst dann erkennen, wenn wir die Fähigkeit erlangt haben, sie
zu gebrauchen. Wenn ich von Adepten und okkulten „Phänomenen“ spreche,
so hat dies keinen anderen Zweck, als darauf hinzuweisen, dass es noch
Dinge gibt, die nicht allgemein bekannt, aber wohl geeignet sind, die
Aufmerksamkeit auf eine andere und höhere Art von Naturgesetzen, als die
bereits bekannten, zu lenken. Eines derjenigen Phänomene, welche mich
besonders überraschten, war folgendes:
„Am 20. Februar 1884 reiste Blavatsky nach Europa ab. Ich begleitete sie
nach Bombay, und nachdem das Schiff abgefahren war, kehrte ich vom Hafen
in die Stadt zurück. Ich hatte durch ihre Vermittlung ein gewisses
tibetanisches Kleinod mit einer Inschrift in tibetanischer Sprache
erhalten, das ich sehr hoch schätzte, und ich nahm mir vor, dasselbe bei
mir beständig zu tragen. Hierzu bedurfte ich einer kleinen Kette. Ich
besuchte ein paar Juwelierläden, konnte aber keine passende goldene
Kette finden, und eine silberne konnte ich nicht brauchen , da dieselbe
bei dem Salzwassergehalt der Luft an der Meeresküste zu leicht
Chlorsilber angesetzt hätte. Ich ging in mein Quartier zurück, das aus
einem saalähnlichen grosse Zimmer bestand, und indem ich in demselben
auf und ab spazierte, kam mir der Gedanke, dass wohl in Ermangelung
einer Kette ein seidenes Band das beste wäre.
In demselben Augenblicke sah ich etwas vor mir, in der Luft flattern.
Das Ding fiel vor meine Füsse und als ich es aufhob fand ich,
dass es ein rosafarbenes seidenes Band war, nagelneu von der richtigen
Länge, und die Enden waren bereits so gedreht, dass ich weiter nichts zu
tun hatte, als das Kleinod daran zu befestigen. Dieses Band war
jahrelang in meinem Besitz.
Es wäre ein Leichtes, Bände zu füllen mit Erzählungen von „okkulten
Phänomenen“ , die sich entweder in meiner Gegenwart oder mit anderen
ereignet haben; aber nicht nur würden solche Erzählungen nichts
beweisen, sondern sie würden am Ende unter einer gewissen Klasse von
Leuten den Glauben erwecken, dass ein Mahatma nichts besseres tun
könnte, als okkulte Phänomene zu machen, Hokus Pokus zu treiben,
verloren Strumpfbänder wiederzubringen zerbrochene Kaffeetassen zu
flicken u. dergl. was ebenso vernünftig wäre , als wenn man glauben
wollte, die Lebensaufgabe eines Staatsministers bestehe darin,
Champagner zu trinken, oder der Zweck eines Musikdirektors sei es, mit
dem Taktstock in der Luft herumzufuchteln, um das Publikum durch
gymnastische Übungen in Erstaunen zu versetzen. Es ist nun einmal so in
der Welt, dass die Menschen, und vor allem die „Klugen“, stehts nur das
oberflächliche sehen. Das Nebensächliche halten sie für die Hauptsache,
das Wesentliche aber beachten sie nicht.
Nichts hat die „Theosophische Gesellschaft“ in den Augen des
Publikums so lächerlich gemacht, als das grosse Geschrei das die „Theosophisten“
wegen ihren okkulten Phänomenen erhoben haben, und ich kann dem
Taschenspieler Hermann nicht böse dafür sein, dass er eine Puppe die er
„Mahatma Kut Humi“ nannte hundert Abende nacheinander in Philadelphia
auf der Bühne erscheinen und den Theophisten zum Spott Kunststücke
aufzuführen, z.B. eine Taschenuhr apportieren liess. Natürlich machte er
damit nicht die Adepten, sondern den Unfug, der mit ihrem Namen
getrieben wurde, lächerlich. Den unverständigen Kritikern und auch den
böswilligen Verleumdern von H.P. Blavatsky ist es zu danken, dass ein
gesunder Unglaube unter
denjenigen Platz griff, welche für diese Dinge kein Verständnis hatten
und sonst leicht durch ihre Sucht nach dem Wunderbaren in einen
krankhaften Mysticismus und Aberglauben verfallen wären.
Ich glaube auch darin das Werk der Meister zu erkennen, welche wohl
wissen, dass der Zweifel ein notwendiges Mittel ist, um durch eigenes
Nachdenken zur Selbsterkenntnis zu kommen, und die Bocksprünge einer
ungezügelten Phantasie zu mässigen. Der grosse Genius, der durch die
Person von Blavatsky offenbar wurde, kann durch kein theoretisches
Geschwätz berührt werden, und wenn auch Blavatsky persönlich unter den
Angriffen des Unverstandes litt, so waren ihre Feinde doch
gewissermassen ihre unfreiwilligen Mitarbeiter, denn sie trugen das
ihrige dazu bei, die Welt auf die uralten Lehren der Wahrheit aufmerksam
zu machen, und mehr als dies hat weder Blavatsky noch irgend einer ihrer
Nachfolger jemals verlangt.
Gross ist die Torheit derjenigen, welche die Glaubwürdigkeit eines
Lehrers verdächtigen, der gar keinen blinden Glauben beansprucht,
sondern nichts weiter verlangt, als dass diejenigen, welche sich für die
Lehren der weisen interessieren, dieselben selbst prüfen und zu eigenen
Anschauung gelangen sollen. Es ist die alte Geschichte: der Kampf der
Selbsterkenntnis gegen den Gelehrtendünkel und Autoritätswahn.
Es handelt sich nicht darum, an das Dasein Gottes zu glauben, weil
irgend ein Mensch auf dessen Glaubwürdigkeit man sich verlassen zu
können meint, behauptet hat, dass es einen Gott gäbe, sondern sollte
jeder danach streben, selbst in seiner eigenen Person Gott zu erkennen
und selber ein lebendiges und sprechendes Zeugnis für das Dasein Gottes
(der Wahrheit) zu sein. Desgleichen handelt es sich auch nicht darum, in
der Phantasie für äusserliche Meister in Tibet oder sonstwo zu
schwärmen, oder von diesen besondere Vergünstigungen zu erwarten,
sondern die Hauptsache ist, dass jeder seine Aufmerksamkeit darauf
richten sollte, dass die Weisheit des Meisters in ihm selbst offenbar
wird.
Damit ist nicht gemeint, wie dies von gewissen Seiten aufgefasst wurde,
dass man „die Lehre annehmen und die Lehrer ignorieren solle“. Die
Ehrfurcht, die ein Schüler seinem Lehrer entgegenbringt, geht aus der
Erkenntnis seiner Lehren hervor. Wer eine Wahrheit verkündet, verdient
die höchste Achtung aller Menschen; aber die Respektabilität eines
Lehrers beruht auf seiner Erkenntnis der Wahrheit und nicht die Wahrheit
auf des Lehrers Respektabilität.
Solange Blavatsky lebte hat sie gegen den Autoritätendünkel gekämpft und
versucht, ihren Schülern zu helfen, über dieselben hinauszuwachsen und
zur Theosophie d.h. zur Selbsterkenntnis zu kommen. Sie hat weder ein
blindgläubiges Annehmen ihrer Lehren, sondern dieselben als Probleme zum
eigenen Forschen und eigenen Denken hingestellt; aber sie wurde nur von
wenigen verstanden, weil die meisten, besonders aber die Gelehrten, kein
anderes Wissen kennen, als was aus dem Hörensagen und Autoritätsglauben
entspringt, und ihnen die Bezeichnung „ Selbsterkenntnis“ ein Wort ohne
Begriff ist, weil sie selbst keine eigene Erkenntnisfähigkeit haben.
Auch hat man sich über die „Echtheit“ ihrer okkulten Phänomene ganz
unnötigerweise ereifert, denn es hat sich noch niemals um einen
wissenschaftlichen Beweis von deren Echtheit gehandelt, und es hat noch
niemand einen blinden Glauben an dieselben verlangt.
Der Zweck derselben war, auf die Möglichkeit des Vorhandenseins noch
unbekannter Kräfte hinzuweisen und die eigene Forschung anzuregen, und
diesen Zweck hätten sie am Ende auch, selbst wenn sie „unecht“ gewesen
wären erfüllt.
Tatsächlich zerfielen diese Phänomene in zweierlei Klassen: Erstens in
solche, wodurch irgend jemandem, der darum fragte, ein Rat oder eine
Lehre erteilt wurde, wozu die „okkulten Briefe“ gehören, und zweitens
eine solche, welche gewöhnlich als „physische Manifestationen“
(Glockenklingel in der Luft, Klopftöne, Fortbewegung von Gegenständen
durch unsichtbare Mittel u. dergl.) bezeichnet werden.
Was die erstere Klasse betrifft, so sollte man glauben, annehmen zu
dürfen, dass ein vernünftiger Mensch den Wert eines Ursprung eines
Briefes eher nach dessen Inhalt, als nach der Art, wie er denselben
erhält, beurteilen wird. Durch die übrigen Phänomene war aber nichts zu
„beweisen“ und wer die tiefe Ehrfurcht, wenn nicht Vergötterung kennt,
welche sie ihren Meistern entgegenbrachte, der wird es überhaupt für
undenkbar halten, dass sie die Namen derselben zu irgend einem Zweck
missbrauchte. Dies wäre für sie gleichsam eine Gotteslästerung und ewige
Verdammnis gewesen.
Ohne okkulte Phänomene wäre Blavatskys Mission schwerlich geglückt. Es
ist schwer, neuen Ideen Eingang zu verschaffen, wenn die Aufmerksamkeit
nicht durch äusserliche Mittel angeregt wird. Achzig Jahre dauerte es
ehe Schopenhausers Philosophie in Deutschland Eingang fand, und die
Werke der besten Mystiker (Jakob Böhme, Eckhart, Paracelsus,
Eckhartshausen, Jane Leade u.s.w.) sind noch heute nur wenigen bekannt.
Hätte Blavatsky als einfache Schriftstellerin philosophische Werke
verfasst, und sich jemals ein Verleger dafür gefunden, so hätte es wohl
lange gedauert, ehe ihre Schriften bekannt geworden wären. Die okkulten
Phänomene setzen die Welt in Erstaunen. Sie waren für die „Theosophie“
ungefähr dasselbe, was für die Religion das Glockengeläute ist, wenn die
Gläubigen zur Andacht versammelt.
Niemand wird so töricht sein, das Glockengeläute mit der Religion
zu verwechseln oder seinen Glauben an die Religion davon abhängig zu
machen, dass man ihm beweise, dass das Glockengeläute auf eine
Übernatürliche Weise hervorgebracht worden sei.
Viele von diesen Phänomenen gingen aus Blavatskys
eigener psychischer Kraft hervor; andere hatten ihren Ursprung
augenscheinlich in der Gegenwart anderer, für uns unsichtbare Wesen. Das
wunderbarste Phänomen letzterer Art war zweifellos ihre plötzliche
Genesung während einer schweren Krankheit, nachdem eine solche von den
besten medizinischen Autoritäten für unmöglich erklärt worden war. Dies
fand in zwei Fällen statt; das erste Mal in Adyar, wo ich selbst
gegenwärtig war. Blavatsky war sterbenskrank, und Frau Cooper – Oakley
und ich wachten abwechselnd nachts an ihrem Bette. Eine Konsultation von
Professoren und Ärzten ergab das Resultat, dass sie keine zwölf Stunden
mehr leben könne. Am nächsten Morgen nach diesem Todesurteil war sie
völlig gesund. Dies war gegen das Ende März 1885; am ersten April
dampfte sie mit mir nach Europa ab. Sie sagte, dass in der betreffenden
Nacht ihr der Meister erschienen sei und ihr neue Lebenskraft mitgeteilt
hätte.
Dasselbe wiederholte sich in Ostende in Gegenwart von Gräfin Constance
Wachtmeister und anderen. Die Gräfin schreibt darüber wie folgt (in
Wachtmeister Reninicenses):
„H.P. Blavatsky war in einem Zustande von Lethargie. Stundenlang schien
sie bewusstlos zu sein, und nichts konnte sie zu sich bringen….. Der
belgische Arzt erklärte, dass er noch nie von einer so schweren
Erkrankung der Nieren gehört hätte, wobei der Patient solange
ausgehalten hätte, und dass nichts mehr geschehen könne, um sie zu
retten. Alle Hoffnung sei vergebens.“
Die Gräfin beschreibt dann die schmerzlichen Empfindungen, die ihr der
herannahende Verlust von Blavatsky verursachte, und wie sie, von
Müdigkeit übermannt, in deren Zimmer einschlief. Sie fährt fort:
„Als ich meine Augen öffnete, war die Morgendämmerung angebrochen und es
kam mir die Angst, dass am Ende Blavatsky gestorben wäre, während ich
hätte wachen sollen. Erschrocken wandte ich mich nach dem Bette, und da
sah ich Blavatsky, die mich ruhig mit ihren klaren Augen betrachtete.
Sie gebot mir näher zu treten. „Was ist geschehen?“ fragte ich sie. „
Sie sehen so ganz verändert aus?“ Sie antwortete: „ Ja, der Meister war
hier. Er gab mir die Wahl, entweder zu sterben und frei zu sein, oder
noch länger zu leben und die Geheimlehre zu vollenden. Er sagte mir
wieviel ich noch zu leiden hätte, und was mir schreckliches in England
bevorstehe; aber als ich an diejenigen, denen ich noch einiges lehren
darf und an die theosophische Gesellschaft dachte, der ich mein Herzblut
gewidmet habe, nahm ich das Opfer an; und nun, um die Sache kurz zu
machen, bringen sie mir Kaffee und etwas zu essen, und meinen
Tabakskorb…“ Als der Arzt kam war er ausser sich und rief einmal über
das andre aus: „ Mais c´est inoui! Madame aurait du mourrir!“…..
Häufig wurde sie von unsichtbaren Händen, die mitunter wohl auch
sichtbar wurden, bedient; aber es ist zwecklos, uns bei diesen Dingen
aufzuhalten, die ja in der Geschichte der okkulten Wissenschaften
hinreichend bekannt sind. Die Geschichte der „Seherin von Prevost“, der
heiligen Crescentia von Kaufbeuren und hundert anderer Erzählungen von
solchen Dingen, die auch jetzt noch alltäglich vorkommen und jedem
bekannt sind, der sich dafür interessiert.
Wer seine eigene Menschennatur mit seinen eigenen verborgenen Kräften
nicht kennt, dem wird auch H.P. Blavatsky ein Rätsel bleiben. Ihre
Phänomene konnten und sollten nichts weiter tun, als bezeugen, dass sie
die Fähigkeit hatte, dieselben zu verursachen.
Aber auch aus Ihren Schriften können wir kein Urteil über sie
fällen; denn ferne davon, sich als eine Gelehrte oder Prophetin oder
„Priesterin der Isis“ hinstellen zu wollen, behauptete sie vielmehr
selbst, dass sie für alles, was sie schrieb, Amanuensis gewesen sei,
dass es ihr die Meister gelehrt, gezeigt und mitgeteilt hätten, und dass
sie nichts weiter dabei zu tun hatte, als das Mitgeteilte zu ordnen und
wiederzugeben.
„Du bist sehr einfältig“, sagte sie zu ihrer Nichte Vera Jelihoffsky ,
„wenn du glaubst, dass ich alles was ich schreibe, tatsächlich weiss und
verstehe. Wie oft muss ich dir und deiner Mutter wiederholen, dass mir
diese Dinge diktiert werden, und dass ich oft Manuskripte, Zahlen und
Worte vor meinen Augen habe von denen ich nichts wusste.“
Diese Manuskripte erschienen ihr aber nicht nur im Astrallichte, sondern
kamen sehr oft „auf unerklärliche Weise“ in greifbarer Form, nicht nur
in ihrem Zimmer in Adyar, Würzburg, Ostende und London, sondern auch
während der Reise auf offener See. Wer aber als ein Meister dieser
Wissenschaft hätte ihr wohl alles Material, aus dem ihre „Geheimlehre“
zusammengesetzt ist, verschaffen und sie in diesen Dingen unterrichten
können? Ihr Werk bedarf keines anderen Zeugnisses als seines Inhalts, um
zu zeigen, dass es das Werk eines Meisters ist, dessen intelligentes
Werkzeug Blavatsky war. Dies ist aber auch alles, was sie selbst
behauptete zu sein, und alle diejenigen, die nicht fähig sind, hinter
den Vorhang zu blicken und dem Meister zu sehen, werden sich vergeblich
den Kopf darüber zerbrechen, woher H.P. Blavatsky ihre Wissenschaft
nahm. Ich möchte sie vergleichen mit einem Meteor.
Die einen sehen ihn auf dem Felde liegen und beachten ihn nicht; andere
finden in ihm sonderbare Eigenschaften, die sie sich nicht erklären
können, weil sie nicht wissen woher er kommt und auch nicht glauben
können, dass Steine vom Himmel fallen, da doch, wie sie sagen keine
Steine im Himmel sind; aber wieder andere sehen ihn leuchten und blitzen
und fallen, und erkennen in ihm die Kunde, die er ihnen aus jenen
Regionen bringt, welche den armseligen erdgebundenen Bewohnern dieses
Planeten nicht zugänglich sind.
Damit sind wir aber wieder bei dem bereits erwähnten Schlusse angelangt,
das H.P. Blavatsky ein „Chela“ oder Jünger der Meister war, und diese
Skizze wäre nicht vollständig, wenn wir nicht das Verhältnis berühren
würden, das zwischen diesen Meistern und diesen Jüngern besteht. H.P.
Blavatsky sagt darüber folgendes:
„Wenn ein erleuchtungsfähiger Mensch darauf Anspruch macht, als Jünger
eines Meisters angenommen zu werden, so muss er stehts die Vereinbarung
eingedenk sein, die entweder schweigend oder formell zwischen ihm und
dem Meister stattgefunden hat und niemals vergessen, dass ein solches
Gelöbnis heilig ist.
Es gilt dabei eine siebenjährige Prüfungszeit. Wenn er während dieser
Zeit seinem erwählten Meister und der von den Meistern ins Dasein
gerufenen Gesellschaft durch alle Versuchungen treu bleibt, wobei aber
die vielen kleinen menschlichen Schwächen und Fehlern (mit Ausnahme von
zweien die ich nicht öffentlich nennen will) nicht in Betracht kommen so
kann er in……. (Die „Einweihung“ besteht nicht in einer äusserlichen
Komödie, sondern in einer innerlichen Erweckung und Eröffnung der
inneren Sinne, wodurch er in einen sichtbaren Verkehr mit Wesen tritt,
die ihm vorher unsichtbar waren. Die „Gesellschaft“, welche er treu
bleiben soll, ist die „Theosophische Gesellschaft“, und man kann ihr
nicht anders treu bleiben, als dass man an ihrer Verfassung festhält,
selbst wenn alle „Leiter“ oder „Präsidenten“ derselben entgegen handeln.)
eingeweiht werden und von nun an direkt mit seinem Guru verkehren. Seine
Fehler können ihm nachgesehen werden; sie gehören seinem zukünftigen
Karma an. Dem Meister ist es anheimgestellt zu beurteilen, ob während
dieser Prüfungszeit der Kandidat, trotz seiner Irrtümer und Sünden,
gelegentlich (äusserliche) Zeichen oder Ratschläge erhalten soll.
„ Der Meister, welcher die
Ursachen und Beweggründe genau kennt, welche den Kandidaten zu Begehungs
– und Unterlassungssünden verleitet haben, ist allein befähigt darüber
zu urteilen, ob der angehende Jünger ermutigt werden soll; er allein hat
das Recht, darüber zu entscheiden, denn er selbst ist dem unerbittlichen
Gesetze des Karma unterworfen, welchem niemand, von einem Zulukaffer
angefangen, bis hinauf zum höchsten Erzengel, entwischen kann.
„Die erste und unvermeidliche Bedingung ist somit, dass der Kandidat
währen der Prüfungszeit dem von ihm gewählten Meister und seinen Zwecken
treu und ergeben bleibt. Ich sage dies nicht aus Eifersucht, sondern aus
dem einfachen Grunde, dass, je öfter die magnetische Verbindung zwischen
beiden gebrochen wird, es umso schwieriger ist, dieselbe wieder
herzustellen, und man kann nicht verlangen, dass die Meister ihre Kräfte
vergeuden, um mit denjenigen wieder anzubinden, deren künftig Laufbahn
und schliessliche
Abtrünnigkeit sie voraussehen. Aber wie viele von Denen, die
Gunstbezeugungen im Voraus erwarten, und deren Wünsche nicht erfüllt
werden, machen dies den Meistern zu Vorwurf, anstatt die eigene Schuld
zu erkennen. Sie brechen die Verbindung zehnmal im Jahre und wollen sie
stehts wieder hergestellt haben. …..
„Aber zu jenen, welche unzufrieden sind, obgleich ihnen niemand etwas
versprochen hat, und die Gesellschaft niemals „Meister“ zur
Preisverteilung für ein gutes Verhalten angeboten hat, sondern einem
jeden versicherte, dass alles von seinem eigenen Verdienste abhängig
ist, zu diesem möchte ich sagen: „Habt ihr eure Pflicht und Versprechen
erfüllt? Habt ihr, die ihr die Meister, die Verkörperungen der
Barmherzigkeit, Duldsamkeit, Gerechtigkeit und Liebe, beschuldigt, euch
nicht hinreichend bevorzugt zu haben, habt ihr ein heiliges Leben
geführt und die euch auferlegten Bedingungen erfüllt?“
Wer in seinem Herzen und Gewissen aufrichtig sagen kann, dass er niemals
einen ernstlichen Fehltritt gemacht, niemals des Meisters Weisheit
bezweifelt, niemals, in seiner Ungeduld, okkulte Kräfte zu erlangen,
nach einem anderen Meister oder Meistern gesucht hat, niemals seine
Pflichten als Theosoph in Gedanken oder Handlungen verletzt hat, der
möge andere als sich selber beschuldigen. Aber hierzu wird schwerlich
jemand befähigt sein.
Während der elf Jahren des Bestehens der theosophischen Gesellschaft
habe ich von den zweiundsiebzig „Chelas“, die regelrecht als Kandidaten
zur Prüfung angenommen
wurden, und unter den Hunderten von Aspiranten, nur drei gefunden, die
bis jetzt noch nicht das Spiel verloren haben und nur einen einzigen,
der ganzen Erfolg hatte. Niemand wird zur Jüngerschaft genötigt, keine
Versprechungen werden geäussert, nichts bindet, als das Herzbündnis
zwischen dem Jünger und Meister.
Blickt umher und sehet euren sogenannten „Universalbruderbund“. Sehet
die „Theosophische Gesellschaft“, welche zu dem Zwecke gegründet wurde,
die schreienden Übel der Christenheit zu verbessern, Bigotterie und
Intoleranz, Heuchelei und Aberglauben zu vertreiben, und wahre Liebe
nicht nur für die ganze Menschheit sondern für alle Geschöpfe zu
verbreiten. Was ist aus ihr in Europa und Amerika geworden? Nur in einer
einzigen Sache haben wir verdient besser zu erscheinen als die
christlichen Sekten, die zur Verherrlichung der Brüderlichkeit einander
töten, und aus Liebe zu Gott einander wie Teufel bekämpfen, nämlich wir
haben uns alle Dogmatik vom Halse geschafft, und versuchen nun weislich
und gerecht auch noch den letzten Schatten eines selbst nur nominellen
Autoritätswesens abzuschaffen.
„Aber in jeder anderen Beziehung sind wir gerade
so wie die übrigen. Überall Klatschsucht, Verleumdung, Übelwollen,
Nörgelei, Besserwissen, Rechthaberei, Kriegsgeschrei und gegenseitige
Beschuldigungen, so dass die christliche Hölle selbst darauf stolz sein
könnte. Und an allem diesen sollen am Ende noch die Meister schuld sein,
weil sie nicht denjenigen beistehen wollen, welche anderen den Weg zur
Erlösung und Freiheit vermittelst Fusstritten und Skandalen weisen.
Wahrlich! wir sind ein
herrliches Beispiel für die Welt und gelungene Gefährten für die
heiligen Asketen in den Schneegebirgen des Himalaya“.
"Helena Petrowna Blavatsky und Ihre Meister"
"Zweiter Teil"