Einleitung

 

Diese Schrift ist in erster Linie für diejenigen geschrieben, die den mystischen Pfad bereits kennen und ihn eingeschlagen haben. 

 

Zweitens ist er auch für diejenigen geschrieben, die den Pfad zwar kennengelernt, aber noch nicht praktiziert haben.

 

Jeder Okkultist und erst recht der Mystiker weiß, dass der Mensch ein Doppelwesen ist. Das eine ist der äußere Mensch und das andere der innere oder verborgene Mensch. Der äußere Mensch ist sichtbar, und es ist hauptsächlich sein materieller Körper, sein Charakter, sein Verhalten, seine offensichtlichen Eigenschaften, die die Welt als den wahren Menschen betrachtet.

 

Aber die Welt irrt in diesem Punkt, denn der wahre Mensch ist etwas ganz anderes, etwas Verborgenes und Unsichtbares, und zwar so verborgen, dass die äußere Welt und die Menschen in ihr, sofern sie nicht zumindest oberflächlich in die okkulten Lehren eingeweiht sind, keine Ahnung von der Existenz des inneren Menschen haben. Und doch liegt unsere wahre Natur und unser wahres Leben nur in diesem inneren, verborgenen und unsichtbaren Menschen.

 

Die Welt weiß nichts von ihm und kennt ihn deshalb auch nicht.  Aber die eingeweihten Meister sagen, dass wir, ohne diesen inneren Menschen zu kennen immer noch in der „Dunkelheit“ leben, und dass wir in den Kreislauf des Lebens zurückkehren müssen - zu einer neuen  Verkörperung. Und nur mit dem Wissen um diesen inneren Menschen werden wir die Befreiung und all das erlangen, was wir uns gewünscht haben, d.h. ewige, vollkommene Glückseligkeit.

 

Der innere Mensch, das ist die Göttlichkeit in uns.

 

Um diesen inneren Menschen oder unseren persönlichen Gott zu kennen, sind zwei Dinge notwendig: erstens Wissen und zweitens Glaube. Ohne zu wissen, dass es diesen inneren Gott gibt, können wir ihn nicht suchen, einfach weil wir nichts über ihn wissen. Und wenn wir von ihm wissen, brauchen wir den Glauben, dass das, was wir darüber gehört oder gelesen haben, wahr ist. Wenn wir nicht an diese Wahrheit glauben, haben wir nicht den Mut und die Kraft, ihn zu suchen.

 

Im übertragenen Sinne kann man da auch von einem Schatz sprechen. Wenn wir nicht wissen, dass irgendwo ein Schatz verborgen ist, gibt es keinen Schatz für uns. Nicht einmal, wenn er unter unseren Füßen oder an unseren Fingerspitzen läge. Aber wenn wir von ihm wissen und nicht glauben, dass er existiert, haben wir keine Kraft, ihn zu suchen.

 

Aber unser innerer Schatz ist der Schatz aller Schätze, und wir wissen nicht nur um ihn, sondern wir wissen auch genau, wo er ist, und wir kennen die Mittel, ihn zu suchen und zu finden. Wenn der moderne Mensch das nicht glaubt, dem geben wir die Worte des unbekannten aber berühmten und grossen alten Meisters.

 

In der Chandogya Upanishad heißt es im ersten khanda (Abschnitt ) Vers 1 folgendes:

 

"In dieser Stadt Brahma´s (d.h. des Körpers des Menschen) gibt es ein Haus und in ihm ist eine kleine Lotusblume (Herz). Und in ihr ist ein kleiner Raum und was darin ist, sollen wir erforschen, und die Wahrheit zu erkennen suchen."

 

"In Wahrheit ist der Raum dieser Welt so gross, wie die grösse  des Raumes im Herzen. In ihm sind sowohl Himmel als auch Erde, dort eingeschlossen/vorhanden. Das Feuer und der Wind, die Sonne und der Mond, die Blitze und die Sterne, und alles, was der Mensch hier hat und alles, was er nicht hat ist dort eingeschlossen."

 

"Dieses Innere altert nicht mit dem Alter, noch kann es getötet werden, wenn ein Mensch ermordet wurde. Dies ist der wahre Ort von Brahma, in dem alle Wünsche eingeschlossen sind. Das ist das Selbst (die Seele), das ohne Sünde ist, frei von Alter, frei von Tod und frei von Leiden, frei von Hunger und frei von Durst, und sein Verlangen ist wahr und wahr ist sein Entschluss."

 

Hier wird das Wort "Seele" anstelle des bekannten Ausdrucks "Atma" verwendet, der den göttlichen Geist bezeichnet. Seine Wünsche sind wahr, während die menschlichen Wünsche falsch sind – selbst wenn sie wahr werden.

 

 

In der zitierten Schrift heisst es weiter:

„Wer also von hier weggeht, ohne die Seele und damit ihre wahren Wünsche erkannt zu haben, dem wird das Leben eines Leibeigenen in allen Welten zuteil. Wer aber von hier weggeht, und die Seele und ihr wahres Wesen erkannt hat, dem wird das Leben der Freiheit in allen Welten zuteil. Das Verlangen der Seele zu kennen, bedeutet, den göttlichen Willen zu kennen und danach zu handeln."

 

Selbst Menschen, die an ein Leben nach dem Tod glauben und ihren inneren Menschen nicht kennen, werden ihre Wünsche nach dem Tod erfüllt bekommen, aber das ist falsch und nicht wahr. Deshalb wird sein Leben nach dem Tod zwar eine Zeit lang freudig sein, aber dann muss er wieder in den Zyklus der Inkarnation zurückkehren. Es wird keine ewige Erlösung und kein ewiges glückseliges Leben im dem Schoß Gottes geben.

 

In der gleichen Upanishad lesen wir dazu klare Worte (Zweites Khanda, Vers 1 ff.):   

 

"Wenn ein solcher Mensch ein Verlangen nach der Welt der Väter hat wird diese Welt der Väter sein Los sein und er wird sich erfreuen." In gleicher Weise heißt es in dieser Schrift weiter, dass derjenige, der ein Verlangen nach der Welt der Mütter hat, die Welt der Mütter betreten wird, die dadurch für ihn geschaffen wird. Wer die Welt der Brüder begehrt , wird die Welt der Brüder betreten, und wer Schwestern begehrt, wird die Welt der Schwestern betreten, und wer die Welt der Düfte und Kränze begehrt, dem werden die Welt der Düfte und Kränze

sein Schicksal sein. Und wer die Welt des Essens und Trinkens begehrt, dem wird auch  eine Welt des Essens und Trinkens, und auch, je nach seinem Wunsch, eine Welt des Singens und Spielens wird, je nach seinem Verlangen, eine Welt des Gesangs und des Spiels der Saiteninstrumente zuteil.

 

Und wer die Welt der Frauen begehrt, dem wird nach seinem Verlangen eine Welt der Frauen zuteil.

 

Was auch immer ein solcher Mensch begehrt, ... er begehrt also immer, wenn er diese Welt verlässt, wird sein Wunsch erfüllt werden und er wird sich freuen.

 

Aber fortfahrend in die UpanishadenVers 1, khanda 3):

 

Diese wahren Wünsche sind im Fall eines (Unwissenden 1) mit Unwahrheit bedeckt.

 

Sie sind tatsächlich vorhanden, aber die Unwahrheit verdeckt sie. Wenn einer seiner Freunde oder Verwandten von hier weggeht (stirbt), ist diese Person nicht mehr, sieht er diese Person nicht wieder 2).

  

"Aber in Wahrheit ist es so, dass alle seine Lieben, die hier leben und auch die die gegangen sind und alles, was er sonst begehrt und nicht erreicht hat - alles, finden wird, wenn er hierher in sein eigenes Herz kommt – denn hier sind seine wahren Wünsche, die sonst von der Unwahrheit verdeckt sind."

 

Daraus ersehen wir, dass der Schleier der Maya auch in die unsichtbaren Welten hineinreicht, und dass er sogar dort die Sinne der Wesen, die dorthin gelangt sind, umhüllt.

 

Wir sehen hier also die magische Kraft der menschlichen Vorstellungskraft oder Phantasie. Sie erschafft sogar ganze Welten und falsche Himmel für jene Menschen, die sich diese vorgestellt haben und sich einbilden, dass sie nach dem Tod dorthin gehen werden. In diesen Himmeln, in denen die Existenz endlich ist - so sage ich -, findet der Mensch alles, wonach er sich gesehnt hat. Aber das ist ein Irrtum und eine Täuschung.

 

Ich habe schon früher über diese Dinge geschrieben, doch  gab es viele, die dies nicht geglaubt oder verstanden haben. Hier ist also der unwiderlegbare Beweis, aus einem heiligen alten indischen Buch, dessen Autor oder Autoren all diese Dinge gesehen haben.

 

 

(siehe Fussnoten, Anmerkungen des Verfasser)

(1)  Ein Unwissender ist ein nicht eingeweihter Mensch, der seine innere Göttlichkeit nicht erkannt hat oder, nach der christlichen Mystik, die spirituelle Wiedergeburt.

 

 

 

2) Das heißt, in der Welt, in die er nach dem Tod eingetreten ist, wird er nicht mit denen zusammentreffen    die nach ihm kommen werden, weil es eine Welt ist, die nur durch seine eigene Vorstellung erschaffen wurde und daher eine Welt, die scheinbar und falsch ist. Hier sehen wir, was für ein Unterschied zwischen den Lehren der großen indischen Rishis (die die Wahrheit sahen) und z.B. den wahnhaften Lehren der Spiritisten. Nach dem Tod geht die Seele in den falschen Himmel, das sogenannte Devachan der Theosophen, wo sie scheinbar alle ihre Wünsche erfüllt sehen.   Doch ihr Astralkörper bleibt auf der Erde, bis er sich aufgelöst, hat.    Anmerkungen des Verfassers.

 

 

 

So gibt es katholische Himmel oder andere protestantische Himmel und mohammedanische Himmel mit einem Paradies voller Huren, und es gibt indische Himmel mit einer Vielzahl einzigartiger Tiere, und es gibt spiritistische Himmel mit "hohen Geistern", die sie lehren, aber es gibt auch die Himmel des Nichts und der Finsternis, in die diejenigen eintreten, die sich eingebildet haben, dass es nichts nach dem Tod gibt.

Es gibt zwei Arten von Menschen. Die einen glauben an etwas und die anderen an nichts. Die ersteren sind besser dran, weil sie für eine gewisse Zeit einen Zustand der Glückseligkeit erleben, der jedoch im Vergleich zur Ewigkeit, die manchmal Tausende von Menschenjahren dauern kann, sehr kurz ist.

 

Aber all dies hat keinen richtigen Wert.

 

 

 

 

 

Wir haben gesehen, dass das, was ewig, wahr und unsterblich ist, im Herzen des Menschen wohnt, und das ist die Göttlichkeit. Und diese Göttlichkeit ist der innere Mensch, den wir suchen sollen und mit dem sich der äußere Mensch unbedingt vereinigen muss.

 

 Aus dem Vorangegangenen geht, wie wir bereits angedeutet haben, auch hervor, dass die menschliche Immanenz, also die Vorstellungswelt, eine allmächtige Kraft ist. Sie erschafft unsichtbar alle wünschenswerten Welten und Orte, so dass sie als real erscheinen.

 

Ohne Vorstellungskraft ist keine Magie, aber es gibt keine Mystik ohne sie.

 

Was ist der mystische Weg, der zur inneren Liebe führt? Es ist in erster Linie eine menschliche Idee, es ist wiederum eine Vorstellung. Wer sich sein ganzes Leben lang seine innere Göttlichkeit vorstellt, aber immer in der gleichen Form, wird diese Göttlichkeit wirklich kennen und sich mit ihr verbinden. Das ist die einfache Formel der Mystik.

 

Nur, dass für diese Übung nicht das bloße Denken, das bloße momentane Vorstellen ausreicht, sondern man muss mit aller Kraft und in einem ständigen Strom an diesen inneren Gott denken. Das bedeutet mystische Konzentration. Ohne sie gibt es keinen mystischen Weg, und ohne sie können Wiedergeburt und Erlösung nicht erlangt werden.

 

Die Lehre von der mystischen Konzentration ist in der Tat der Schlüssel zu der geheimen Tür, die zum inneren Tempel führt, oder zu jenem kleinen Lotus im Herzen, in dem die Gottheit, oder nach der christlichen mystischen Lehre, Jesus Christus, wohnt. Daher sagte Christus selbst von sich: "Ich bin die Tür". Durch sie betreten wir den inneren Menschen; wer durch sie eingetreten ist, befindet sich im Tempel und ist ganz allein mit seiner Göttlichkeit.

 

Auch Christus sprach über diesen Schlüssel im Lukasevangelium, Kap. XI., V. 52: "Wehe ihr Schriftgelehrte, denn ihr habt den Schlüssel der Erkenntnis genommen. Ihr seid nicht selbst hineingegangen und ihr habt die, die hineingehen wollten, gehindert".

 

Ernste Worte von unserem Erlöser!

 

Er tadelt die Schriftgelehrten , die sich des "Schlüssels der Kunst" bemächtigt haben.

 

Was für eine Kunst? Alle mystischen Gelehrten nennen die mystische Reise "die königliche Kunst". Selbst Meister Kerning nennt sie so.

 

Warum ist Mystik eine königliche Kunst? Weil es eine gewisse Kunst erfordert, den Schüler richtig auszubilden, weil nicht jeder in der Lage ist, sich richtig zu konzentrieren, und weil es eine echte und große Kunst ist, die äußeren Sinne und die äußeren Wünsche, Neigungen zu überwältigen, kurz, den äußeren Menschen zu „töten“, um in das Heiligtum, den Tempel der Weisheit einzudringen.

 

Und die königliche Kunst deshalb, weil sie im Altertum die Provinz der Könige war, denn Könige waren damals auch Hohepriester und große Eingeweihte. Außerdem gehört der Name königlich auch zur mystischen Kunst, weil sie zu Christus dem König und zum Himmelreich führt.

 

Christus tadelt also mit dem zitierten Satz die Schriftgelehrten, die damals die Theologen und Ausleger der Heiligen Schrift waren, dafür, dass sie den Schlüssel genommen haben, und nicht nur das, sondern dass sie diejenigen, die eintreten wollten, daran gehindert haben.

 

Und heute ist es fast dasselbe. Nicht nur in Indien geben die Brahmanen die "wahre Wissenschaft" vor und blicken auf die dortigen Schriftgelehrten (Pandits) herab, sondern auch andere Theologen halten sich nur an den Buchstaben und legen in Unkenntnis des wahren, verborgenen Sinns der Schriften alles nach dem äußeren Sinn aus - also philosophisch, und sogar nach scholastischen Grundsätzen (3) völlig falsch. Die Mystik wurde so ihrer Bedeutung beraubt und von den Kirchen fast völlig vergessen. Erst nach unserer mystischen Bewegung beginnt die katholische Kirche, zumindest in unserem Land, ihre mystische Lehre wieder zu beleben, die jedoch in keiner Weise mit der präzisen yogischen Lehre z.B. Indiens vergleichbar ist.

 

Aber auch von anderen Seiten werden nach den Worten Christi diejenigen, die eintreten wollen, daran gehindert. Von allen Seiten behaupten unwissende Leute, die angeblich in verschiedenen okkulten Gesellschaften leitende Funktionäre waren, dass die Konzentration gefährlich sei, dass unsere Übungen zu "schwarzer Magie" führten und dergleichen. Wenn sie selbst nicht eintreten wollen, ist das ihre Sache, aber wenn sie andere dazu bringen, nicht einzutreten, ist das eine sehr ernste Angelegenheit. Wissen diese "Jünger" nicht, dass sie dafür in der Zukunft sehr böse Vergeltung erwarten können? Schließlich weiß man in eingeweihten Kreisen rechter Geister und Okkultisten, dass ein solches Vorgehen der Marotte mancher Skeptiker gegen alles Geistige gleichkommt und dass es nur der Einfluss der dunklen Mächte ist, der von diesen guten Menschen Besitz ergriffen hat.

 

Anmerkung/des Verfassers

 

3) Die Scholastik ist eine Art Philosophie die versucht, in das Systen der Kirche eine Lehre einzuführen, die jedoch für jede derartige Untersuchung unzugänglich ist. Die Scholastik ist in den vorangegangenen Jahrhunderten mehrmals untergegangen. Sie wurde schliesslich von den Jesuiten wiederbelebt.

 

 

          

 

     

 

 
Karel Weinfurter

Der innere Mensch und die Schlangenkraft


Das „dunkle Zeitalter“ geht s ist