Immer scheint das Licht in die Finsternis,
aber die Finsternis begreift es nicht.
Vor Millionen von Jahren, in einem
Zeitalter, welches über aller menschlichen Berechnung liegt, wohnte eine
Königin der Weisheit in einem Reiche des Lichtes, von dessen
Herrlichkeit wir uns keinen Begriff machen können. Sie war eine edle
Frau von vollkommener Schönheit; ihr Antlitz leuchtete wie die Sonne,
und die lebendigen Lichtstrahlen, welche von ihr ausgingen, erfüllten
das ganze Universum mit Pracht und riefen darin Leben, Bewusstsein und
Empfindungen hervor. Die Geister, von welchen Sie umgeben war, und
welche ihr dienten, waren zahllos wie der Sand am Meer; grosse und
kleine; viele davon leuchteten wie der Mond und andere funkelten wie die
Sterne; die herrlichsten darunter aber waren die Liebe, der Glaube, die
Hoffnung und die Geduld, und über allen diesen herrschte der Geist der
Wahrheit, welcher so mächtig war, dass er tun konnte, was er wollte; das
ganze Weltall verdankte ihm sein Dasein und sogar die Königin ihren
Schmuck.
Überall, wo die Königin sich blicken liess, wurde es helle, und wo sie
erschien, da ging die Dunkelheit fort; ihr Licht leuchtete bis zu zu den
äussersten Grenzen ihres Reiches, welche in der Unendlichkeit lagen, und
soweit als ihr Licht reichte, reichte auch ihre Kraft, welche aus einer
feurigen ätherischen Substanz bestehend, den ganzen undendlichen Raum
erfüllte.
Eines Tages beauftragte die Königin ihren Kammerdiener, den Willen, ihr
ein Schauspiel zu veranstalten, und auf seinen Befehl verdichtete sich
die feurige ätherische Substanz im Reiche des Lichtes. Geister
verschiedener Art setzten sie in Bewegung und bildeten darin Anziehungs-
und Abstossungspunkte, und um diese sammelten sich verschiedenartige
Kräfte zu einem Dinge, das man "Stoff" oder "Materie" nennt, und
gestalteten sich zu leuchtenden Kugeln, welche mit grosser Schnelligkeit
sich im Tanze drehten und durch den unendlichen Himmelsraum kreisten,
geführt durch den Willen der göttlichen Weisheit welcher Liebe ist. Und
viele von diesen leuchtenden Kugeln bekamen einen dunkeln Kern, auf
welchem sich Steine, Pflanzen, Tiere und menschliche Wesen entwickelten,
und die Königin freute sich sehr.
Im Anfang hatten alle die durch den Willen der Weisheit hervorgebrachten
Erscheinungen und Geschöpfe eine lichte und ätherische Form, wie man sie
jetzt nur mehr bei Elfen, Feen und ähnlichen Wesen findet; sie waren von
dem Licht der Weisheit durchdrungen und deshalb selbst leuchtend und
erkannten alles, was sie sahen, als das Eigentum der Königin an. Nach
und nach aber verdichteten sich ihre Körper und wurden ebenso dunkel als
die Erde, auf welcher sieh wohnten, und da konnten sie auch nichts mehr
sehen, und tappten solange im Dunkel herum, bis sie endlich in den
Höhlen der Erde eine phosphosrescierende Substanz fanden, welche ein
schwaches Licht von sich gab, ähnlich demjenigen eines Diamanten,
welcher eine Zeitlang von der Sonne beschienen war. Dieses Licht nannten
sie "die Vernunft" und waren sehr stolz auf dessen Besitz, weil es ihnen
die Möglichkeit gab, ihre Umgebung zu sehen. Da aber dieses Licht nur
die Oberfläche der Dinge beleuchtete, und nicht so, wie das Licht der
Weisheit, in das Innere drang, so verschaffte es ihnen nur eine
oberflächliche Kenntnis der Dinge und gab Anlass zu vielen Irrtümern und
Täuschungen, weil die Menschen das Wesen der Dinge welches sie nicht
mehr sehen konnten, nun nur mehr nach dem oberflächlichen und
trügerischen Schein beurteilten.
Als dies die Königin sah, betrübte sie sich; denn sie wollte allen
Dingen ihren eigenen königlichen Glanz verleihen und ihnen geradeso
leuchten, wie in ihrem eigenen Selbst, und da sie sich den Leuten nicht
mehr direkte verständlich machen konnte, so sandte sie ihren Willen den
Geist der Wahrheit zu den Menschen hinunter, damit er sie zur Erkenntnis
zurückbringe.
Aber der Geist der Wahrheit war ein Geist, und deshalb ohne Form,
allgegenwärtig und unsichtbar, und die Menschen konnten ihn deshalb
nicht sehen und wollten nicht an seine Gegenwart glauben. Da entschloss
der Geist der Wahrheit sich, in die Herzen der Menschen selbst
einzugehen, ihnen seine Gegenwart fühlbar zu machen, und er hoffte in
ihnen eine sichtbare Gestalt anzunehmen, damit sie ihn begreifen und
seine Stimme hören könnten. Er drang in das Herz des Menschen ein, und
fand, dass es ein Haus mit verschiedenen Abteilungen war. Im unteren
Stockwerke war es ein Stall mit Tieren verschiedener Art, Da war ein
Ochse, genannt der "Eigenwille" unter dem Joch einer Hexe, genannt
Leidenschaft; da war ein Esel, genannt der "Verstand", der Sohn des
"Eigendünkels"; da war ein Schwein, genannt "Unmässigkeit", ein
Erzeugnis der "Begierde" und ein Bock namens "Lust", ein Erzeugnis der
Sinnlichkeit. Vor der Türe lauerte der Tiger, der Wolf und die Hyäne und
suchten sich einzuschleichen, während durch die Ritzen der Mauern
Schlangen und giftiges Gewürm sich hineinschlängelten; die Fenster waren
mit Spinnweben bedeckt, welche den Eintritt; die Fenster waren mit
Spinnweben bedeckt, welche den Eintritt des Lichtes verhinderten, und
der Stall war voll Unreinigkeit. Im Keller unten aber wohnten die Teufel
des Hasses, der Bosheit, der Mordlust, Herrschsucht und Tyrannei. Viele
von diesen Teufeln schliefen, und wurden durch den Eintritt des Geistes
der Wahrheit aufgeschreckt. Im oberen Stockwerk aber herrschte ein
grosser Lärm, denn dasselbe war von Händlern und Schacherjuden bewohnt.
Da waren Weisheitskrämer verschiedener Art, Vorleser und Prediger,
Gelehrte, Pharisäer und Heuchler, Händler in Scheinwissenschaft,
Theologen, Moralisten u.s.w., und alle waren vom Geiste der Selbstsucht
beherrscht, welcher sie mit seiner Knute in beständiger Aufruhr erhielt.
Der Besitzer des Hauses gewahrte die Gegenwart des fremden Gastes, und
fragte ihn, wer er sei; aber infolge des Lärmens im oberen Stockwerke
war es dem Geiste der Wahrheit nicht möglich, sich dem Besitzer
verständlich zu machen und der letztere ernannte eine Kommission, um zu
untersuchen, wer der Fremde sei und was er wolle. Er wählte hierzu zwei
seiner Diener, genannt "Zweifel" und "Aberglaube", Söhne der
Unwissenheit und eine feile Dirne, namens "Logik", eine Tochter der
Lüge. Diese begaben sich in das Haus und verlangten vom Geiste dass er
ihnen beweisen solle, wer er sei; aber da sie die Wahrheit nicht
kannten, so konnten sie auch deren Geigst trotz aller Zeugnis nicht
erkennen, und erklärten ihn deshalb für einen Betrüger. Die Tiere aber
wurden sehr aufgeregt und verlangten stürmisch, dass der fremde Besucher
entfernt werden solle; denn seine Gegenwart störte sie in ihrer
Behaglichkeit, umsomehr, als der Geist angefangen hatte, eine fühlbare
Gestalt anzunehmen und deshalb leiblicher Nahrung bedurfte, um Kraft zu
erhalten, zu welchem Zwecke er den Tieren Blut entzog und sich damit
nährte.
Dies schien dem Besitzer des Hauses untertäglich und er nahm sich
deshalb vor, den Eindringling zu töten. Der Zweifel und der Aberglaube
waren die grössten Feinde der Wahrheit geworden, und erklärten sich
gerne dazu bereit. Da sie den Geist der Wahrheit nicht kannten, um sich
ihm deshalb nicht nähern konnten, so liessen sie sich von der Logik
führen, welcher es oft gelingt, der Wahrheit nahe zu kommen und welche
deshalb für sie um so gefährlicher ist. So gelang es den dreien, sich
dem Geiste der Wahrheit zu nähern, und die Form, welche er sich
aufgebaut hatte, zu zerstören; dem Geiste selbst aber konnten sie nichts
anhaben, weil er unsterblich war. Als dies geschehen war, kehrte der
Geist der Wahrheit wieder zu seiner Herrscherin, der Königin der
Weisheit zurück, welche ihn abermals aussandte, um den Versuch sich den
Menschen zu offenbaren und zu wiederholen und so wiederholt sich
immerfort dieses Spiel, denn der Geist der Wahrheit, gehorsam dem
Gesetze der Weisheit, senkt sich beständig in die Herzen der Menschen,
um in ihnen der Weisheit Licht zu entzünden, aber die Menschen erkennen
ihn nicht.