Auszüge aus Briefen von Gustav Meyrink

 Lieber Leser

Auf der Suche

Zweiter Brief:


 V
om 4.07.1917, auf der Suche nach Licht



"Anbei die erwähnte Broschüre. Stossen Sie sich nicht an den Nebensächlichkeiten darin. Ich rate Ihnen, sich die darin angegebenen >Ich< Übungen abzuschreiben und, wenn sie sie auch täglich machen, dennoch von Zeit zu Zeit wieder durchzulesen, denn sie entgleitet einem oft auf seltsame Weise.

Das stürmische Befehlen ist sehr gut, aber meist nur für solche, die in Anbetung (falsche >Demut<) eines äusseren Gottes (Götzen) befangen waren. Wer, wie Sie, so lange schon sucht, der findet weit leichter das Innerste durch subtile Zartheit. - Das Innerste ist innerlich noch als das bildhafte Innere; es ist wie ein scheues Waldtier, das entflieht, sowie man nur die Hand regt.

Das Innerste ist raum- & zeitlos, nur an seiner eintretenden Wirkung Wirkung allein ist es wahrnehmbar.- Sie müssen von dem Standpunkt ausgehen: E ist ja schon da, ich brauche es gar nicht zu suchen: wenn ich es suche, so heisst das einen Zweifel einschalten an seiner Gegenwart.-
An einem freudigen Gefühl, das dabei eintritt, müssen Sie die subtilsten Zeichen seiner magischen Wirkung spüren lernen. - Es ist das Wort, - Wort nicht als Mitteilung (die zuerst als Ihr eigener "Ein" fall sich als Ideenkundgebung zeigt) sondern als magisches Zauberwort. - Später tritt der >Führer< auf, ein Mensch wie Sie und doch quasi >Sie selbst< insofern, als das Bild das Sie sehen werden, nur eine von ihm magisch erzeugte Vibration Ihres Geistleibes ist. Sein Wort, (Mitteilung) tönt in dieser Vibration u. nur scheinbar aus einem Mund. Sie werden es daher in deutscher Sprache hören, so als ob er deutsch spräche.-

  Aber nur Ihr Innerstes ist die Brücke, durch die er kommt. Wichtig ist: jede Regung des Innersten ohne Zwang, feinstest zu sich - an sich herankommen zu lassen und dankbar auch das scheinbar natürlichste registrieren- nur dann kommt rasch mehr und mehr. Und nur nicht das Innerste unter das Joch der eigenen Wünsche erniedrigen wollen. - E ist ja dennoch Ihr Wille und nur Ihr Wille, der da handelt, aber ein richtigerer Wille. Einen Fremden Gott gibt es nicht. Götter sind dem Menschen untertan.
Ganz von selbst deckt sich dann das Innerste in die Schablone Ihrer Wünsche. Natürlich nur nach dem Rahmen der von Anbeginn in Sie gelegten Entwicklungsmöglichkeiten. Unsere Sehnsucht sagt uns, wie weit diese Grenzen gesteckt sind, denn keiner bleibt unbefriedigt."