Auszüge aus Gustav Meyrink's Roman (Das grüne Gesicht)
        (Seiten 1 bis 100)
(Herman Bauer Ausgabe 1963)

Seite 21)

 „Seltsam bunt wird das Leben, wenn man sich die Mühe gibt, es in der Nähe zu betrachten, und den sogenannten wichtigen Dingen den Rücken kehrt, die einem nur Leid und Verdruss bringen,“ dachte der Fremde“, ….......   

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S. 27)

 "Schwerer ist es, das ewige Lächeln zu erringen, als den Totenschädel in den abertausend Gräbern, der Erde herauszufinden, den man in einem früheren Leben auf den Schultern getragen; erst muss der Mensch sich die alten Augen aus dem Kopf weinen, bevor er die Welt mit neuen Augen lächelnd zu betrachten vermag.“

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S.30)

„Ob deiner Seele Sehnsucht in

Erfüllung geht? –Fahr drein

mit fester Hand und setz‘ das

Wollen an der Wünsche Statt!“

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S.35)

Pfeill hat leider recht, die Menge kennt Goethe nicht nur nicht, sie verehrt ihn sogar; je falscher man ihn zitiert, desto tiefer fühlen sie sich in seinen Geist eingedrungen.“

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S.41)

„Freilich! Die Mission sich selbst zu überwinden.  Alles hat die Mission sich selbst zu überwinden. Wer von andern überwunden wird, hat seine Mission verfehlt; wer seine Mission verfehlt, wird von anderen überwunden. Wenn einer sich selbst überwindet, merken die anderen nichts davon; wenn aber einer die andern überwindet, wird der Himmel – rot. Der Laie nennt diese „Licht“erscheinung: Fortschritt. Ein Trottel hält ja auch bei einer Explosion das  Feuerwerk für das Wesentliche…

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S.42)

„Träume ich denn noch immer?“ fragte er sich voll Erstaunen. „Was war das? Zieht sich durch jedes Menschenleben ein solcher roter Faden merkwürdiger Zufälle, oder bin ich der einzige, dem derartige Dinge passieren? Greifen die Ringe der Geschehnisse vielleicht erst dann ineinander und bilden eine Kette, wenn man ihre Zusammenhänge nicht dadurch stört, dass man sich Pläne schafft, denen man tölpelhaft nachjagt und infolgedessen das Schicksal in einzelne Stücke reisst, die sonst ein fortlaufendes, wundersam gewebtes Band gebildet hätten?“

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S.44)

„Eine Kugel kann nur rollen, ein Würfel nur kollern, warum sollte ein Lebewesen mit seinem tausendfach komplizierteren Dasein Erlebnisvorausbestimmungen vor eine Deichsel gespannt sein! –..………… nur sind die Menschen offenbar auf dem Holzweg, wenn sie glauben, die sichtbaren Sterne am Himmel bestimmten den Schicksalsweg. Es wird sich da um andere Planeten handeln, um solche, die im Blut um das Herz kreisen und andere Umlaufszeiten haben als die Himmelskörper: Jupiter, Saturn usw. – Wenn gleicher  Geburtsort, gleiche Geburtsstunde und Geburtsminute allein das Entscheidende wären, wie könnte es dann sein, dass Monstrositäten wie die zusammengewachsenen Schwestern Blaschek, die doch in derselben Sekunde geboren wurden, ein so verschiedenes Schicksal hatten, dass die eine Mutter wurde und die andere Jungfrau blieb?“……

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S.56)

„ - hatte er jemals irgend etwas vollbracht, das belangreicher gewesen wäre? Er hatte studiert und die Sonne versäumt, um Maschinen zu bauen, hatte Maschinen gebaut, die längst verrostet waren, und darüber versäumt, anderen zu helfen, dass sie sich hätten der Sonne erfreuen können, - hatte nur sein Teil beigetragen zur grossen Zwecklosigkeit.  

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S.82/83)

„ – ich bin überzeugt, wie Schuppen würde es uns von den Augen fallen und wir wären mit einem Schlage eines zweiten fortlaufenden Lebens teilhaftig, dass wir in unserem jetzigen Zustand im Tiefschlaf führen, ohne es zu wissen, weil es jenseits unseres körperlichen Daseins liegt und während unseres Zurückwanderns über die Brücke des Traumes, die Tag und Nacht verbindet, vergessen wird. – Was die Ekstatiker der christlichen Mystik von der „Wiedergeburt“ schreiben, ohne die es unmöglich sei, das Reich Gottes zu schauen‘, scheint mir nichts anderes zu sein, als Aufwachen des bis dahin wie tot gewesenen Ichs in einem Reich, das unabhängig von den äusseren Sinnen existiert, - im „Paradies“ kurz und gut.“- Er holte ein Buch aus dem Spind und deutete auf ein Bild darin. „Der Sinn des Märchens vom Dornröschen hat sicherlich darauf Bezug, und ich wüsste nicht, was diese alte, alchemistische illustrierte Darstellung der „Wiedergeburt“ hier; ein nackter Mensch, der aus dem Sarge aufsteht und daneben ein Totenschädel mit einer brennenden Kerze auf dem Scheitel, anders bedeuten sollte?   

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S.92/93)

„ –Wir sind keineswegs Spiritisten, wie Sie vielleicht annehmen, Mynheer; fast möchte ich sagen das Gegenteil, denn wir haben nichts zu tun mit dem Reiche der toten. Unser Ziel ist das ewige Leben. – Jedem Namen nun liegt eine geheime Kraft inne, und wenn wir diesen Namen mit geschlossenen Lippen in unser Herz hineinsprechen, unablässig, bis er für Tag und Nacht beständig unser Wesen erfüllt, so ziehen wir die geistigen Kräfte in unser Blut hinein, das, in den Adern kreisend, mit der Zeit unseren Körper verändert.

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S.93)

„ –Zwischen Hysterie und Hysterie ist ein grosser Unterschied. Nur diejenige Hysterie die Hand in Hand geht mit Ekstase und Geistverwirrung, ist einer Krankheit gleichzustellen und führt nach abwärts, die andere Art jedoch ist die Geistes e n t w i r r u n g – das „Kommen zur Klarheit“ und ist der Weg nach aufwärts, der über das Erfassen der Erkenntnisse durch das Denken hinaus den Menschen zum Wissen durch direktes „Schauen“ führt.

In der Schrift heisst dieses Ziel das „innere Wort“, und wie der Mensch der heutigen Zeit denkt, indem er, ohne sich dessen bewusst zu sein, Worte im Gehirn lispelt, so spricht im geistigen wiedergeborenen Menschen eine andere geheimnisvolle Sprache mit neuen Worten, in denen es kein, „Mutmassen“ und keinen Irrtum mehr gibt. Dann ist das Denken ein neues Denken geworden – ist Magie und nicht mehr ein armseliges Verständigungsmittel, -  ist ein Offenbarwerden  der Wahrheit, in deren Licht der Irrtum verschwindet, weil die Zauberringe der  Gedanken sodann ineinander greifen und nicht mehr nebeneinander liegen.“  

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