Auszüge aus Gustav Meyrink's Roman (Das grüne Gesicht)
        (Seiten 152 bis 213) Fortsetzung

S.152)

„ Sie übersehen bloss, dass es vollkommen genügt, wenn ein einzelner sich bis in die Wurzeln umgestaltet. Sein Werk kann dann niemals vergehen, - gleichgültig, ob es der Welt bekannt wird oder nicht. So einer hat ein Loch ins Bestehende gerissen, das nie mehr zusammenwachsen kann, ob es jetzt die anderen gleich bemerken oder eine Million Jahr später. Was einmal entstanden ist, kann nur scheinbar verschwinden. So ein Loch in das Netz reissen, in dem die Menschheit sich vergangen hat, - nicht durch öffentliches Predigen, nein: indem ich selbst der Fessel entrinne, das ist’s, was ich will.“

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S.153)

„Ursachen können wir nie erkennen; alles was wir wahrnehmen ist Wirkung. Was uns Ursache zu sein scheint, ist in Wahrheit nur ein – Vorzeichen. Wenn ich diesen Bleistift hier loslasse, wird er zu Boden fallen. Dass das Loslassen die Ursache des Heruterfallens ist, mag ein Gymnasiast glauben, ich glaub’s nicht.  Das Loslassen ist ganz einfach das untrügliche Vorzeichen des Herunterfallens. Jedes Geschehnis, auf das ein zweites folgt, ist dessen Vorzeichen. Ursache ist etwas vollständig anderes. Allerdings bilden wir uns ein, es stünde in unserer Macht, eine Wirkung hervorzubringen, aber es ist ein unheilvoller Trugschluss, der uns die Welt beständig in einem Falschen Licht sehen lässt. In Wahrheit ist es nur ein – und dieselbe geheimnisvolle Ursache, die den Bleistift zu Boden fallen macht und mich kurz vorher verleitet hat ihn loszulassen. ………..

 

S154)

„Das Reich der wahren Ursachen ist verborgen; wenn es uns gelingt, bis dorthin vorzudringen, werden wir zaubern können.“

 

„Und sollte: seine Gedanken beherrschen können,- das heisst, die geheimsten Wurzeln ihres Entstehens aufdecken  - nicht dasselbe sein wie zaubern?“

 

Pfeill blieb mit einem Ruck stehen. „Freilich! Was sonst? Eben deshalb stelle ich das Denken um eine Stufe höher als das Leben. Es führt uns einem fernen Gipfel zu, von dem aus wir nicht nur alles werden überschauen, sondern alles, was wir wollen, auch werden vollbringen können.“-………

 

S.161)

„Wissen Sie so genau, dass ein Einfall, den Sie haben, tatsächlich in Ihnen geboren wird und nicht eine Mitteilung von irgendwoher ist? Ich halte es für mindestens ebenso wahrscheinlich, dass der Mensch nicht Erzeuger, sondern nur ein Empfangsapparat – ein feiner oder ein grober- für alle Gedanken ist, die – nehmen wir einmal an: von der Erde als Mutter gedacht werden. „……………..

 

S. 163)

„Es gibt einen Weg der der „Schwäche“,-ist ein Hoffen auf Gott und das Kommen des Messias. Es gibt auch einen Weg der Kraft. Baron Pfeill hat ihn angedeutet. Das Ziel bleibt dasselbe; in beiden Fällen kann es erst erkannt werden, wenn das Ende erreicht ist. Falsch ist an sich weder der eine noch der andere Weg: unheilvoll wird er erst dann, wenn ein Schwacher, oder ein Mensch, der voller Sehnsucht ist wie ich, den Weg der Kraft wählt, und ein Starker den Pfad der Schwäche.“……

 

S.164)

„ Die Starken haben keine Religion mehr nötig; sie gehen fei und ohne Stock; diejenigen, die nur an Essen und Trinken glauben, brauchen ebenfalls keine Religion; sie haben sie noch nicht nötig. – Sie bedürfen keines Stockes, denn sie gehen nicht, sie bleiben stehen.“

S.165)

„Das Herrwerden über die Gedanken ist ein uralter heidnischer Weg zum wirklichen Übermenschentum, aber nicht zu jenem, von dem der deutsche Philosoph Nietsche gesprochen hat. – Ich weiss nur wenig darüber. Mir graut davor. - - In den letzten Jahrzehnten ist mancherlei über die „Brücke zum Leben“- - so lautet die echte Bezeichnung dieses gefahrvollen Pfades -  von Osten her nach Europa gedrungen, aber zum Glück so wenig, dass keiner, der die ersten Schlüssel nicht hat, sich zurechtfinden könnte. Das Wenige hat schon genügt, um viele tausend Menschen, besonders Engländer und Amerikaner, die alle diesen Weg der Magie -  es ist nichts anderes erlernen wollten, ausser Rand und Band zu bringen.

Eine umfangreiche Literatur ist darüber entstanden und ausgegraben worden, zu dutzenden laufen Schwindler aller Rassen herum, die sich als Eingeweihte gebärden. – Aber, Gott sein Dank, noch weiss kein einziger, wo die Glocke hängt, die da läutet.

-  Scharenweise  sind die Leute nach Indien und Tibet gepilgert, ohne zu wissen, dass dort das Geheimnis längst erloschen ist. Sie wollen es noch heute nicht glauben. – Wohl haben sie dort etwas gefunden, was einen ähnlichen Namen trägt, - aber es ist etwas anderes, das schliesslich nur wieder zum Weg der Schwäche, den ich vorhin erwähnt habe, oder zu den Verwirrungen eines Klinkherbogk führte……

S.166)

„Wenn es aber einem Menschen gelingt, über die „Brücke des Lebens“ hinüberzuschreiten, so ist es ein Glück für die Welt. Es ist fast mehr, als wenn ihr ein Erlöser geschenkt wird. – Nur etwas ist vonnöten; ein einzelner kann dieses Ziel nicht erreichen, er braucht dazu - - eine Gefährtin. – Nur durch eine Verbindung männlicher und weiblicher Kräfte ist es überhaupt möglich. Darin liegt der geheime Sinn der Ehe, der der Menschheit seit Jahrtausenden verloren gegangen ist.“

 

S.172)

„Was Sie da sagen, ist mir ein vollkommenes Rätsel,“ fiel Hauberisser ein“ ein Wort beständig in sich hineinsprechen sollte das Schicksal eines Menschen bestimmen oder ändern können?“

 

S.179)

„Die Worte Shepardi’s, es gäbe einen königlichen, verborgenen Pfad, auf dem ein Weib dem Gatten mehr sein könne als blosse irdische Freude, leuchtete ihr wie ein ferner Hoffnungsstrahl, aber wo den Eingang suchen?“

S.183)

… „alles, was sie tat, geschah mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie früher, und doch kam es ihr neu und ungewohnt vor, - so, als seien ihre Hände, ihre Augen und ihr ganzer Körper nur noch Werkzeuge und nicht mehr mit ihrem Ich untrennbar verbunden. Sie hatte die Empfindung, als lebe sie gleichzeitig an einem fernen Ort irgendwo im Weltall ein zweites, dumpfes, noch nicht völlig erwachtes Leben wie ein Kind, das eben erst geboren worden. Die Dinge im Zimmer hatten von ihren eigenen Organen nichts wesentlich verschiedenes mehr für sie, - waren beides Gebrauchsgegenstände für den Willen, nichts weiter.“…

 

S.183)

..“was sie jetzt mit den Sinnen wahrnahm, fast wie ein Traum an ihr vorüberglitt der ob leid- oder freudvoll, immer nur ein Schauspiel ohne tiefer einschneidende Bedeutung blieb für das erwachte Ich. „ …..

 

S.186)

„Mit Staunen wurde sie gewahr, dass ein geheimes, unsichtbares Band die Menschen umschloss, - dass ihre Seelen einander erkannten über die Körper hinweg und mitsammen sprechen konnten in unwägbaren Schwingungen und Gefühlen, die nur zu fein waren, um von den äusseren Sinnen erfasst zu werden. – Wie Raubtiere, scheelsüchtig, gierig und mordbereit, machten sie sich das Leben streitig und doch bedurfte es vielleicht bloss eines winzigen Risses in dem Vorhang, der über ihren Augen lag, um aus den erbittersten Feinden die treusten Freunde zu machen.“….

 

S.187)

„Die Feindseligkeit, die sie um sich her lauern spürte, belehrte sie, dass sie sich irrte. Es ging ein finsterer Hass von der Erde aus, der sich gegen sie richtete,  - der kalte unbarmherzige Grimm, den die Natur auf den Menschen wirft, wenn er es wagt, an den Fesseln seiner Knechtschaft zu rütteln.“

 

S.201)

„… dass Gebete nur ein Mittel sind, um Kräfte, die in uns schlummern, gewaltsam zu erwecken. Zu glauben, dass Gebete den Willen eines Gottes zu ändern vermöchte ist Torheit. – Die Menschen, die ihr Schicksal dem Geiste in sich überantwortet haben, stehen unter geistigem Gesetz.  Sie sind mündig gesprochen von der Vormundschaft der Erde, über die sie dereinst Herren werden sollen. Was ihnen im Äusseren noch zustösst, bekommt einen vorwärts treibenden Sinn; alles was mit ihnen geschieht, geschieht so, dass es keinen Augenblick besser geschehen könnte.“

S.202)

„Das Schwere ist die Anrufung des Geistes, der unser Schicksal lenken soll; - nur wer reif ist, dessen Stimme hört Er, und der Ruf muss aus Liebe geschehen und um eines anderen Menschen willen, sonst machen wir die Kräfte der Finsternis in uns lebendig.“

 

S.202)

…“es gibt Wesen aus dem lichtlosen Reiche Ob – sie fangen die Gebete ab, die keine Flügel haben;“ – sie meinen damit nicht Dämonen ausser uns, denn gegen 

solche sind wir durch die Mauer unseres Körpers geschützt, - sondern magische Gifte in uns, die, wachgerufen, unser Ich zerspalten.“

 

S.203)

„Erst, wenn von unserer Seite alles geschehen ist, was in irdischer Macht liegt, haben wir ein Recht, die Hilfe geistiger Einflüsse zu erwarten.“ - -

 

S.207)

..“und nehmen Sie Ihre Sorgen nicht mit in den Schlaf hinüber. Wir können mehr tun mit unserer Seele, wenn der Körper sie mit seinem Kummer nicht mehr stört, als die Menschen ahnen. -..

 

S.208)

…“begab es sich, dass ich eines Tages Zeuge wurde, wie man ein Pferd abrichtete.

Man hatte es an einen langen Riemen befestigt und trieb es, ohne ihm nur eine Sekunde Ruhe zu gönnen, im Kreise umher. – So oft es an eine Hürde kam, über die es springen sollte, brach es aus oder bockte. Hageldicht und stundenlang sausten die Peitschenhiebe auf seinen Rücken nieder, aber immer weigerte es sich zu springen. Dabei war der Mann, der es quälte, keineswegs ein roher Mensch und litt selber sichtlich unter der grausamen Arbeit, die es verrichten musste. – Er hatte ein gutes, freundliches Gesicht und sagte mir, als ich ihm Vorstellung machte:, ich würde ja gern dem Gaul für meinen ganzen Taglohn Zucker kaufen, wenn es dann nur begriffe, was ich von ihm will. Ich hab dergleichen oft genug versucht, aber es hilft nichts. Es ist, als ob in so einem Tier der Teufel steckt, der ihm den Verstand verblendet. Und dabei ist’s doch so wenig was es tun soll‘.-

 

Ich sah die Todesangst in den wahnsinnigen Augen des Pferdes, wenn es an die Hürde kam, jedesmal von neuem aufleuchten, und las in ihnen die Furcht:, jetzt, jetzt wird die Peitsche auf mich niederfallen‘,……… 

 

 

S.209)

…- und zu meinem Leiden einsehen musste, dass doch nur der grimmige Schmerz es war, der als Lehrer schliesslich zum Ziele kam, da blitzte in mir die Erkenntnis auf, dass ich selber es auch nicht anders machte als das Pferd: das Schicksal hieb auf mich ein, und ich wusste nur, dass ich litt, - ich hasste die unsichtbare Macht, die mich folterte, aber dass alles nur geschah, damit ich irgend etwas vollbringen sollte – vielleicht eine geistige Hürde überspringen, die vor mir lag, - das hatte ich bis dahin nicht begriffen……...

 

… ich lernte die Unsichtbaren, die mich vorwärts peitschten, lieben, denn ich fühlte, sie gäben mir auch lieber ‚Zucker‘, wenn es auf diese Art ginge, mich über die niedrige Stufe sterblichen Menschentums in einen neuen Stand zu erheben…..

 

S.210)

Wichtig für mich war vor allem das eine: ich hatte bis dahin in dem Wahne gelebt, was mir an Leid geschähe, sei eine Strafe, und ich mich mit Grübeln zerquält, womit ich mir sie wohl verdient haben könnte,- dann mit einmal kam für mich Sinn in die Härten des Schicksals,  und wenn ich auch sehr oft nicht ergründen vermochte, was für eine Hürde ich überspringen sollte, so war ich doch von da an  nach bestem Willen ein gelehriges Pferd………

 

..mit dem Begriff der Strafe fiel auch von selbst die Schuld weg und aus dem Zerrbild eines rächenden Gottes wurde im veredelten, von Form losgelösten Sinn eine wohltätige Kraft, die mich nur belehren wollte – so, wie der Mann das Pferd….

 

..Die Leute glaubten, wenn sie meinen Rat anwandten, immer leicht erraten zu können, was der unsichtbare ‚Dresseur‘ von ihnen verlangte und hörten die Schläge des Schicksals dann nicht sogleich auf, so gerieten sie wieder in ihr altes Geleise und schleppen murrend oder – ‚ergeben‘ wenn sie zur Selbstbelügung der sogenannten Demut ihre Zuflucht nahmen – ihr Kreuz weiter. Ich sage: wer schon so weit ist, dass er nur zuweilen erraten kann was die drüben, - oder besser: ‚Der grosse Innerliche‘ von ihm will, das er tue, der hat schon mehr als die Hälfte der Arbeit hinter sich. Das Erraten wollen bedeutet allein schon eine vollkommene Umwälzung der Lebensauffassung; das Erraten-können ist bereits die Furcht dieser Saat.-

 

S.211)

..Es ist ein schweres Ding dieses Erratenlernen, was wir tun sollen!

 

Im Anfang, wenn wir die ersten Versuche wagen, ist es wie ein unvernünftiges Tappen, und wir begehen da zuweilen Handlungen, die denen eines Verrückten gleichen und lange keinen Zusammenhang zu haben scheinen. Erst nach und nach bildet sich aus dem Chaos ein Gesicht, aus dessen Mienen wir den Willen des Schicksals lesen lernen können; im Beginn schneidet es Grimassen…

 

.. aber dennoch ist das, was Sie tun sollen: diejenige magische Kraft zu suchen, die es für die Zukunft ausschliesst, dass Ihre Braut jemals wieder ein Unheil zustossen kann; sonst möchte es vielleicht geschehen, dass Sie sie finden, um sie immer wieder zu verlieren, so, wie sich die Menschen auf der Erde finden, um vom Tod auseinander  gerissen zu werden. ..

 

S.212)

..Aber gerade dieser Moment ist der kostbarste und kann zum Sieg über den Tod führen. – Der Geist der Erde fühlt gar wohl, dass ihm in diesem Augenblick die Gefahr droht, von Menschen überwunden zu werden, und deshalb stellt er uns gerade da die tückischsten Fallen…

 

S.213)

.. trotzdem rate ich Ihnen heiss und dringend, lassen Sie alles Äussere seiner Wege treiben und suchen Sie in den Lehren, die jener Unbekannte niedergelegt hat, das, was Ihnen nottut. Alles wird sich von selber einstellen. -….

 

.. Wer richtig sucht, der kann nicht angelogen werden. Es gibt keine Lüge, in der nicht die Wahrheit stäke; es muss nur der Punkt der richtige sein, auf dem der Suchende steht,“ – Swammerdam drückte Hauberisser rasch die Hand zum Abschied – „ und eben heut stehen Sie auf dem richtigen Punkte: Sie können ohne Gefahr nach den furchbaren Kräften greifen, die sonst unrettbar den Wahnsinn bringen, - denn Sie tun es jetzt um der Liebe willen.“..

 

 

Fortsetzung folgt