Auszüge aus Gustav Meyrink's Roman (Das grüne Gesicht)
        (Seiten 227 bis 254) Fortsetzung

S.227)

…Eidotter deutete wieder auf den Ärmel. – „ Das Kleid schützt Sie von der Näss‘, wenn’s regnet, und vor der Hitze, wenn die Sonn‘ scheint. Ob Sie sich darum sorgen oder nicht: - das Kleid macht’s von selber, - Mein Körper  kümmert sich um das Geschäft, nur weiss ich nichts mehr davon wie früher. Hat doch schon Rabbi Simon ben Eleasar gesagt:, Hast du je einen Vogel ein Handwerk treiben gesehen? – und doch ernährt er sich ohne Müh‘ – und ich sollt mich nicht ohne Müh‘ ernähren?‘- - Natürlich, wenn die Makifim nicht in mir umgestellt wären, könnt ich mein Körper nicht allein lassen und wär an ihn angenagelt.“   

 

.. „Freilich, aus eigener Kraft kann der Mensch so etwas nicht vollbringen,“ – fuhr Eidotter versonnen fort, - „da hilft alles studieren nix und ka Gebet und auch die Mikwaôth – die Tauchbäder – sind umsonst. Wenn nicht einer von drüben die Lichter in einem umstellt – wir können’s nicht.“

 

S.228)

… „Aber es war ganz natürlich; so, als wenn ä ganz gewöhnlicher Jud zur Tür hereintritt. Nicht emol das Herz hat mir schneller geschlagen. Bloss zweifeln hab ich nicht daran können, dass er’s is, soviel ich mir auch angestrengt hab. – Wie ich ihn dann nicht mehr aus den Augen gelassen hab‘, is mir sei‘ Gsicht immer bekännter und bekännter vorgekommen und ich hab‘ plötzlich gewusst, dass nicht ä einzige Nacht in meinem Leben gewesen is, wo ich ihn nicht im Traum gesehen hätt‘.“

 

…..“wenn ich nicht gewusst hätt‘, es ist Elias, wär mir auch dran nichts besonders aufgefallen, aber so hab ich gspürt, das alles, was er getan hat, ä tiefe Bedeutung gekriegt hat. Dann wie er im Gespräch die zwei Leuchter am Tisch miteinander vertauscht hat, is es mir ganz deutlich geworden und ich hab’s gefühlt, dass er in mir die Lichter umgestellt, und ich bin von da an ä anderer Mensch gewest, - meschugge, wie mer in der Gemeinde gesagt hat. – Zu was für än Zweck Er die Lichter in mir umgestellt hat, das habe ich später gewusst…….

 

S.229)

..“Begegnet?“ wiederholte Eidotter und strich sich über die Stirn, als müsse er sich erst langsam klar werden, was man von ihm wolle. „Begegnet? – Wo er einmal bei mir war, wie hätt‘ er denn wieder fortgehen sollen? Er ist doch immer bei mir. „Und Sie sehen ihn beständig?“ „Ich sehe ihn überhaupt nicht.“ „Aber sie sagen, er sei immerwährend bei Ihnen. – Wie soll ich das verstehen?“ Eidotter zuckte die Achseln. „ Mit dem Verstand lässt sich das nicht begreifen, Herr Dokter.“ Können Sie es mir nicht an einem Beispiel erklären? Redet Elias zu Ihnen, wenn er Sie unterweist, oder wie ist das?“ Eidotter lächelte. – „Wenn Sie sich freuen, ist da die Freude bei Ihnen? Ja Natierlich. Aber Sie können die Freude doch nicht anschauen und nicht  hören. – so ist es."

 

S.231)

.. „ Es ist wie ä Hiniebergehen ins Reich der Fülle“ – fuhr Eidotter nach einer Pause fort, während der er selig vor sich hingelächelt hatte, - „es is kei‘ Herieberkommen, wie ich früher immer geglaubt hab‘. Aber es is ja alles falsch, was ä Mensch glaubt, solang die Lichter in ihm noch nicht umgestellt sind, - so grundfalsch, dass mer’s gar nicht erfassen kann. Mer hofft, dass Elias kommt, und dann, wenn er kommt und er ist da, sieht mer, dass er gar nicht gekommen is, sondern; dass mer zu ihm gegangen ist. Mer glaubt mer nimmt, statt dessen gibt man. Man glaubt, mer bleibt stehen und wartet, statt dessen geht mer und sucht. Der Mensch wandert und Gott bleibt stehen. – Elias is in unser Haus gekommen – hat ihn Berurje erkannt? Sie ist nicht zu ihm gekommen also is auch er nicht zu ihr gekommen und sie hat gemeint, es is ä fremder Jud, dier Chidher Grün heisst.“

S.232/233

…“Wenn ich im traumlosen Schlaf ganz mit Elias vereinigt war und komm zurück so halb in’s Leben in mein Spiritusladen, und es ist inzwischen was passiert, so glaub‘ ich oft, ich bin dabei gewest und hab‘ mitgemacht. Wenn zum Beispiel jemand ä Kind geschlagen hat, glaub ich, dass ich’s geschlagen hab‘, und muss hingehen und es trösten; wenn jemand vergessen hat, sein‘ Hund zu füttern, glaub ich, ich hab’s vergessen und muss ihm sei‘ Fressen bringen. Nachher, wenn ich zufällig erfahr‘, dass ich mich geirrt hab‘, brauch ich bloss für än Augenblick wieder ganz zu Elias zu gehen und gleich wieder zurück zu kümmen, dann weiss ich sofort, wie’s in Wirklichkeit gewest is. Ich mach sowas selten, weil’s kann Zweck hat und schon das halbete Weggehen von Elias so is, als ob mer blind wird, aber vorhin, wie Sie ä so lang nachgedenkt haben, Herr Dokter, hab‘ ich’s doch gemacht und da hab‘ ich gesehen, dass es ä Schwarzer war, der wo mein Freund Klinkherbogk umgebracht hat.“

„Wie – wie haben Sie gesehen, dass es ein Neger war?“

„Nun ich bin wieder im Geist auf der Kette‘ eraufgeklettert, bloss hab‘ ich mich diesmal angeschaut und da hab ich schon äusserlich gesehen; ich bin ä Schwarzer mit ä rotem Lederstrick um en Hals, kane Stibel an und en blauen Leinwandanzug. Und wie ich mich innerlich angeschaut hab‘, hab‘ ich schon gar gewusst, ich bin ä Wilder.“

 

.. Alles, was ein Mensch glaubt, solang die Lichter in ihm nicht umgestellt sind, ist falsch  und wenn’s noch so richtig ist – es ist so grundfalsch, dass man es gar nicht erfassen kann. Man glaubt , man nimmt, statt dessen gibt man; man glaubt man bleibt stehen und wartet, statt dessen geht man und sucht.“

 

S.238)

„Der Anfang“ – las er, an einer ixbeliebigen Stelle beginnend, und stutzte über den eigentümlichen Zufall, gerade auf dieses Wort gestossen zu sein, - „ ist es, der dem Menschen fehlt.

Nicht, dass es so schwer wäre, ihn zu finden, - nur die Einbildung, ihn suchen zu müssen ist das Hemmnis.

 

Das Leben ist gnädig; jeden Augenblick schenkt es uns einen Anfang. Jede Sekunde drängt uns die Frage auf: Wer bin ich? – Wir stellen sie nicht; das ist der Grund, weshalb wir den Anfang nicht finden.

Wenn wir sie aber einmal im Ernste stellen, dann bricht auch schon der Tag, an dessen Abendrot für jene Gedanken den Tod bedeutet, die  in den Herrschersaal eingedrungen sind und an der Tafel unserer Seele schmarotzen.

Das Korallenriff, das sie sich mit infusorienhaftem Fleiss im Lauf der Jahrtausende aufgehbaut haben, und das wir „unseren Körper“ nennen, ist ihr Werk und ihre Brut- und Heimstätte; wir müssen aus diesem Riff aus Kalk und Leim zuerst eine Bresche legen und es dann wiederum in den Geist auflösen, der es von Anbeginn war, wenn wir freies Meer gewinnen wollen. - - Ich will dich später lehren wie du dir aus den Trümmern dieses Riffs ein neues Haus erbauen kannst.“

 

S.239)

…..„Jetzt aber höre, was ich Dir zu sagen habe:

Rüste Dich für eine kommende Zeit!

Bald schlägt die Uhr der Welt die zwölfte Stunde; ihre Zahl auf dem Zifferblatt ist rot und in Blut getaucht. Daran kannst du sie erkennen.

Der neuen ersten Stunde geht ein Sturmwind voraus. Sei wach, damit er dich nicht schlafend finde, denn die mit geschlossenen Augen hinübergehen in den heranbrechenden Tag, werden die Tiere bleiben, die sie waren, und nicht mehr zu erwecken sein.

S.240)

Es gibt auch eine geistige Tag-und Nachtgleiche. Die neue erste Stunde, von der ich spreche, ist der Wendepunkt. In ihr gewinnt das Gleichgewicht gegenüber der Dunkelheit.

Ein Jahrtausend und länger noch haben die Menschen gelernt, das Gesetz der Natur zu durchschauen und sie sich dienstbar zu machen. Wohl denen, die den Sinn dieser Arbeit erfasst und begriffen haben, dass das Gesetz des Innern dasselbe wie das Gesetz des äusseren ist nur um eine Oktave höher: sie sind zur Ernte berufen, - die anderen bleiben ackernde Knechte, das Antlitz zur Erde gebeugt.

 

S.240)

Der Schlüssel zur Macht über die innere Natur ist verrostet seit der Sintflut. Er heisst: - - Wachsein. Wachsein ist alles.

 

Von nichts ist der Mensch so fest überzeugt wie davon, dass er wach sei; dennoch ist er in Wirklichkeit in einem Netz gefangen, das er sich selbst aus Schlaf und Traum gewebt hat.  Je dichter dieses Netz, desto mächtiger herrscht der Schlaf; die darin verstrickt sind, das sind die Schlafenden, die durchs Leben gehen wie Herdenvieh zur Schlachtbank, stumpf, gleichgültig und gedankenlos.

 

Die Träumenden unter ihnen sehen durch die Maschen eine vergitterte Welt, - sie erblicken nur irreführende Ausschnitte, richten ihr Handeln darnach ein und wissen nicht, dass diese Bilder bloss sinnloses Stückwerk eines Gewaltigen Ganzen sind. Diese „Träumer“ sind nicht,  wie du vielleicht glaubst, die Phantasten und Dichter – es sind die Regsamen, die Fleissigen, Ruhelosen der Erde, die vom Wahn des Tun’s Zerfressen; sie gleichen emsigen hässlichen Käfern, die ein glattes Rohr emporklimmen, um von oben – wieder hineinzufallen. Sie wähnen wach zu sein, aber das, was sie zu erleben glauben, ist in Wahrheit nur ein Traum, - genau vorausbestimmt im kleinsten Punkt und unbeeinflussbar von ihrem Willen.

 

S.241)

Einige unter den Menschen hat’s gegeben und gibt es noch, die wussten gar wohl, dass sie träumen, - Pioniere, die bis zu den Bollwerken vorgedrungen sind, hinter denen sich das ewig wache Ich verbirgt, - Seher wie Goethe, Schopenhauer, und Kant, aber sie besassen die Waffen nicht, um die Festung zu erstürmen und ihr Kampfruf hat die Schläfer nicht erweckt.

Wach sein ist alles…..

  

  … Wach sein ist alles.

Sei wach bei allem, was du tust!  Glaub nicht, dass du’s schon bist. Nein, du schläfst und träumst.

Stell dich fest hin, raff dich zusammen und zwing dich einen einzigen Augenblick nur zu dem körperdurchrieselnden Gefühl“ jetzt bin ich wach!“

 

Gelingt es dir das zu empfinden, so erkennst du auch sogleich, dass der Zustand, in dem du dich soeben noch befunden hast, dagegen wir Betäubung und Schlaftrunkenheit erscheint.

 

Das ist der zögernde Schritt zu einer langen, langen Wanderung von Knechttum zur Allmacht.

 

Auf diese Art geh‘ vorwärts von Aufwachen zu Aufwachen.

 

Es gibt keine quälenden Gedanken, den du damit nicht bannen könntest; er bleibt zurück und kann nicht mehr zu dir empor; du reckst dich über ihn, so wie die Krone eines Baumes über die dürren Äste hinauswächst. Die Schmerzen fallen von dir ab wie welkes Laub, wenn du einmal so weit  bist, dass jenes Wachsein auch deinen Körper ergreift.

 

S.242)

… Lies die heiligen Schriften der Völker der Erde: durch alle zieht sich wie ein roter Faden die verborgene Lehre vom Wachsein; - es ist die Himmelsleiter Jakobs, der mit dem Engel des Herrn die ganze „Nacht“ gerungen hat, bis es „Tag“ wurde und den Sieg gewann.

 

… Auf dem Wege zum Erwachen wird der erste Feind, der sich dir entgegenstellt, dein eigener Körper sein. Bis zum ersten Hahnenschrei wird er mit dir kämpfen; erblickst du aber den Tag des ewigen Wachseins, der dich fernrückt von den Nachtwandlern, die da glauben, die seien Menschen, und nicht wissen, dass sie schlafende Götter sind, dann verschwindet für dich auch der Schlaf des Körpers und das Weltall ist dir untertan.

 

S.243)

…. Freilich, das Glück des treuen, wedelnden Hundes: eines Herrn über sich zu kennen, dem er dienen darf – dieses Glück wird für dich zerschellen,  - aber frag‘ dich selbst, würdest du als der Mensch, der du jetzt noch bist, mit deinem Hunde tauschen?

 

Lass dich nicht abschrecken durch die Angst, das Ziel in diesem Leben vielleicht nicht zu erreichen  können! – Wer unsern Weg einmal betreten hat, der kommt immer wieder auf die Welt in einer inneren Reife, die ihm die Fortsetzung seiner Arbeit ermöglicht, - er wird als „Genie“ geboren.

 

Der Pfad den ich dir Weise, ist besät mit wundersamen Erlebnissen: Tote, die du im Leben gekannt hast, werden vor dir aufstehen und mit dir reden! – Es sind nur Bilder – Hauchformen, von deinem Körper ausgesendet, der unter dem Einfluss deines verwandelnden Willens den magischen Tod stirbt und aus Stoff zu Geist wird, gleich wie starres Eis, vom Feuer getroffen, sich in formenballenden Dunst auflöst.

 

Erst wenn du alles Kadaverhafte von ihm abgestreift hast, kannst du sagen: jetzt ist der Schlaf für immer von mir gewichen.

 

Dann aber ist das Wunder vollbracht, das die Menschen nicht glauben können, - weil sie, durch ihre Sinne betrogen, nicht begreifen, dass Stoff und Kraft dasselbe ist, - jenes Wunder; dass, wenn man dich auch begräbt, keine Leiche im Sarge liegt.

 

S.244)

Dann erst, nicht früher, wirst du Wesenhaftes vom Schein trennen könne; wem du dann begegnest, kann nur einer sein, der vor dir den Weg gegangen ist.

 

-          Alle anderen sind Schatten.

 

Bis dahin bleibt es ungewiss auf Schritt und Tritt, ob du das glücklichste oder das unglücklichste Wesen wirst. – Aber fürchte dich nicht- : noch ist keiner, der den Pfad des Wachseins betreten hat, auch wenn er in der Irre ging von den Führern verlassen worden.

 

Ein Merkmal will ich dir sagen, an dem du erkennen kannst, ob eine Erscheinung, die du hast, wesenhaft ist oder ein Trugbild: Wenn sie vor dich tritt und dein Bewusstsein ist getrübt, und die Dinge der Aussenwelt sind für dich verschwommen oder verschwunden, dann traue nicht! Sei auf der Hut! Es ist ein Stück von dir. Wenn du das Gleichnis nicht errätst, das es in sich birgt ist es nur ein Gespenst ohne Bestand – ein Schemen, ein Dieb, der von deinem Leben zehrt. 

Die Diebe, die die Kraft der Seele stehlen, sind schlimmer als die Diebe der Erde. Sie locken dich wie Irrlichter in die Moräste einer trügerischen Hoffnung, um dich in der Finsternis allein zu lassen und für immer zu verschwinden.

Lass dich durch kein Wunder blenden, das sie scheinbar für dich tun, durch keinen heiligen Namen, den sie annehmen, durch keine Prophezeiung, die sie aussprechen, auch nicht, wenn sie in Erfüllung geht, - sie sind die Todfeinde, von der Hölle deines eigenen Köpers ausgespien, mit dem du um die Herrschaft ringst.

 

Wisse, dass die wunderbaren Kräfte die sie besitzen, deine eigenen sind, - von ihnen entwendet, um dich in Sklaverei zu erhalten; - sie können nicht leben, ausser von deinem Leben, aber wenn du sie überwindest, sinken sie zu stummen, gehorsamen Werkzeugen herab, die du nach deinem Willen handhaben kannst.

 

S.245)

Unzählig sind die Opfer, die sie unter den Menschen gefordert haben; lies die Geschichte der Visionäre und Sektierer und du wirst erkennen, dass der Pfad der Beherrschung, den du wandelst, mit Totenschädeln bedeckt ist.

 

Die Menschheit hat sich unbewusst eine Mauer gegen sie gebaut: - den Materialismus. Diese Mauer ist ein unfehlbarer Schutz, - sie ist ein Sinnbild des Körpers, aber sie ist zugleich auch eine Kerkermauer, die den Ausblick hemmt.

 

Heute, wo sie langsam zerbröckelt und der Phönix des inneren Lebens aus seiner Asche, in der er lange Zeit wie tot gelegen, mit neuen Schwingen wieder aufersteht, regen auch die Aasgeier einer anderen Welt die Flügel. Darum hüte dich. Die Wagschale, in die du dein Bewusstsein legst, zeigt dir allein an, wann due Erscheinungen trauen darfst; je wacher es ist, desto tiefer neigt sie sich zu deinen Gunsten.

 

Will dir ein Führer, ein Helfer, oder ein Bruder aus einer geistigen Welt erscheinen, so muss er es können, auch ohne dein Bewusstsein zu plündern; du darfst, wie der ungläubige Thomas, diene Hand in seine Seite legen. Er wäre ein Leichtes, den Erscheinungen und ihren Gefahren auszuweichen: - du brauchst nur zu sein wie ein gewöhnlicher Mensch. – Aber was ist damit gewonnen? Du bleibst gefangen im Kerker deines Leibes, bis der Henker „Tod“ dich zum Richterblock schleppt.

 

Die Sehnsucht der Sterblichen, die Gestalten der Überirdischen zu schauen ist ein Schrei, der auch die Phantome der Unterwelt weckt, weil eine solche Sehnsucht nicht rein ist – weil sie Habgier ist statt Sehnsucht, weil sie „nehmen“ will in irgend einer Form, statt zu schreien, und das „geben“ zu lernen.

 

S.246)

Jeder der die Erde als ein Gefängnis empfindet, jeder Fromme, der nach Erlösung ruft, - sie alle beschwören unbewusst die Welt der Gespenster.

Tue es auch. Aber: bewusst!

 

Ob es für jene die es unbewusst tun, eine unsichtbare Hand gibt, die die Sümpfe in die sie geraten müssen, in Eilande verzaubern kann? Ich weisse es nicht. Ich will nicht streiten, - - aber ich glaub’s nicht.

 

Wenn du auf dem Wege des Erwachens das Reich der Gespenster durchquerst, wirst du allmählich erkennen, dass es nur Gedanken sind, die du plötzlich mit den Augen sehen kannst. Das ist der Grund, weshalb sie dir fremd und wie Wesen erscheinen; denn die Sprache der Formen ist anders als die Sprache des Gehirns.

 

…. Alles, was ich dir hier gesagt habe, steht auch in den Büchern der Frommen jedes Volkes; das Kommen eines neuen Reiches, das Wachen, die Überwindung des Körpers und die Einsamkeit, - und doch trennt uns von diesen Frommen eine unüberbrückbaren Kluft:……..  

 

S.247)

……..- sie glauben, dass  „wachen“ ein Offenhalten der Sinne und Augen und ein Aufbleiben des Körpers während der Nacht sei, damit der Mensch Gebete verrichten könne,

 

 - wir wissen, dass das „Wachen“ ein Aufwachen des unsterblichen Ich’s bedeutet und die Schlummerlosigkeit des Leibes eine natürliche Folge davon ist;

- sie glauben , der Körper müsse vernachlässigt werden und verachtet, weil er sündig sei;

wir wissen es gibt keine Sünde, der Körper ist der Anfang, mit dem wir zu beginnen haben, und wir sind auf die Erde herabgestiegen, um ihn in Geist zu verwandeln:

 

-   sie glauben, man soll mit dem Leib in die Einsamkeit gehen, um den Geist zu läutern; wir wissen, dass zuerst unsere Geist in die Einsamkeit gehen muss, um den Leib zu verklären.

 

Bei dir allein steht es, deinen Weg zu wählen – ob unseren oder jenen. Es soll dein freier Wille sein. 

Ich darf dir nicht raten; es ist heilsamer, aus eigenem Entschluss eine bittere Frucht zu pflücken, als auf fremden Rat eine süsse auf dem Baume – hängen zu sehen. Nur mach’s nicht wie die vielen, die da wohl wissen es steht geschrieben, Prüfet alles und das Beste behaltet‘ – aber hingehen, nichts prüfen und das
  - Erstbeste behaltet.“     

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S.248)

Der Unbekannte, an den das Schriftstück gerichtet war, schien sich zu dem „heidnischen Wege der Gedankenbeherrschung“  entschlossen zu haben, und der Verfasser der Rolle fuhr auf einem neuen Blatt, das die Überschrift trug:

 

D e r  P h ö n i x

 

folgendermassen fort:

 

„Mit dem heutigen Tag bist du aufgenommen in unserer Gemeinschaft und ein neuer Ring in der Kette, die von Ewigkeit zu Ewigkeit reicht.

 

Damit erlischt mein Amt und geht in die Hände eines Andern über, den du nicht sehen kannst, solange deine Augen noch der Erde gehören.

 

……. „Ich habe dir gesagt, der Anfang des Weges ist der eigene Körper; wer das weiss, kann jeden Augenblick die Wanderung beginnen.

 

Ich will dich jetzt die ersten Schritte lehren:

 

Du musst dich vom Leib trenne, aber nicht, als wolltest du ihn verlassen: - du musst dich von ihm lösen, wie jemand, der Licht von Wärme scheidet.

 

Wer sich vom Körper losreisst, um durch den Raum zu fliegen, der geht den Weg der Hexen, die nur einen gespenstischen Leib aus dem groben, irdische herausgezogen haben und auf ihm wie auf einem Besen zur Walpurgisnacht reiten.

 

Die Menschheit hat sich aus richtigem Instinkt eine Brustwehr gegen diese Gefahr errichtet, indem sie ein Lächeln über die Möglichkeit solcher Künste bereit hält.

 

-   Du brauchst als Schutz den Zweifel nicht mehr – du hast in dem, was ich dir gegeben habe, ein besseres Schwert. Die Hexen glauben, auf dem Sabbat des Teufels zu sein, und in Wirklichkeit liegt ihr Körper bewusstlos und starr in der Kammer. Sie vertauschen bloss die irdische Wahrnehmung gegen eine geistige – sie verlieren das Bessere, um das Schlechtere zu gewinnen; - es ist ein Ärmerwerden statt ein Reichersein.

 

Schon daraus siehst du, dass es nicht der Weg  des Erwachens sein kann. -  Um zu begreifen dass du nicht dein Körper bist, - wie die Menschen von sich wähnen, – musst du erkennen, mit welchen Waffen er kämpft, und die Herrschaft über dich zu behaupten. – Jetzt stehst du freilich noch tief in seiner Gewalt, dass dein Leben erlischt, wenn sein Herz aufhört zu schlagen, und du in Nacht versinkst, sobald er die Augen schliesst. Du glaubst, du könntest ihn bewegen, - es ist eine Täuschung; nein, er bewegt sich und nimmt nur deinen Willen zu Hilfe. Du glaubst, du schaffst Gedanken: nein, er schickt sie dir, damit du meinst, sie kämen von dir, und alles tust, was er will.

 

 

 

 

S.250/251)

Setz‘ dich aufrecht hin und nimm dir vor, kein Glied zu rühren, mit keiner Wimper zu zucken und regungslos zu bleiben wie eine Bildsäule, und du wirst sehen, dass er hassentbrannt  augenblicklich über dich herfällt und dich zwingen will, ihm wieder untertan zu sein. – Mit tausend Waffen wird er auf dich losstürzen, bis du ihm wieder erlaubst, sich zu bewegen. – An seiner grimmigen Wut und der überstürzten Kampfesweise, mit der er Pfeil auf Pfeil auf dich abschiesst, kannst du ersehen, wenn du schlau bist, wie bange ihm um seine Herrschaft sein muss und wie gross deine Macht, dass er sich vor dir fürchtet.

 

Aber es steck dabei noch eine List von ihm dahinter: er will dich glauben machen, dass hier, im äusseren Willen, die Entscheidungsschlacht um das Szepter geschlagen wird; nein, es sind nur Scharmützel, die er dich, wenn’s sein muss, gewinnen lässt, um dich dann um so tiefer unter’s Joch zu beugen.

 

Diejenigen die solches Geplänkel gewinnen, werden die ärmsten Sklaven – sie dünken sich Sieger und tragen auf der Stirn das Schandmal:“Charakter“.

 

Deinen Körper zu bändigen, ist nicht der Zweck, den du verfolgst. Wenn du ihm verbietest, sich zu bewegen, so, so sollst du es nur deshalb tun, damit du die Kräfte kennen lernst, über die er gebietet. Es sind Heerscharen, fast unüberwindlich durch ihre Zahl. Er wird sie gegen dich in den Kampf schicken, einen nach der anderen, wenn du nicht nachlässt, mit dem so einfach scheinenden Mittel des Stillsitzens: zuerst die rohe Gewalt der Muskeln die beben und zittern wollen, - das Sieden des Blutes, das dir den Schweiss ins Gesicht treibt, das Hämmern des Herzens, - das Frösteln der Haut, bis dein Haar sich sträubt, - das Schwanken des Leibes, das dich durchfährt, - als habe die Schwerkraft die Achse verändert, - sie alle kannst du besiegen, - scheinbar durch den Willen – dennoch ist es nicht der Wille allein: es ist in Wahrheit bereits ein höheres Wachsein, das unsichtbar hinter ihm steht in der Tarnkappe.

 

Auch dieser Sieg ist wertlos; selbst, wenn du Herr würdest über Atmung und Herzschlag, wärst du nur ein Fakir – ein „Armer“ auf deutsch.

 

Ein „Armer“! das sagt genug. - - -

 

Die nächsten Kämpfer, die dir dein Körper stellt, sind die ungreifbaren Fliegenschwärme der Gedanken. Gegen sie hilft das Schwert des Willens nicht mehr. Je wilder du nach ihnen schlägst, desto wütender umschwirren sie dich, und glückt es dir nur einen Augenblick, sie zu verscheuchen, so fällst du in Schlummer und bist in anderer Form der Besiegte.

 

Ihnen Stillhalten zu gebieten ist vergebens; nur ein einziges Mittel gibt es, ihnen zu entrinnen: die Flucht in ein höheres Wachsein.

 

Wie du das zu beginnen hast, musst du allein lernen.  Es ist ein vorsichtiges, immerwährendes Tasten  mit dem Gefühl und ein eiserner Entschluss zugleich.

 

Das ist alles, was ich dir darüber sagen kann. Jeder Rat, den dir für dieses qualvolle Ringen irgend jemand gibt, ist Gift. Hier liegt eine Klippe, über die dir kein anderer hinweghelfen kann als du selbst.

 

Es braucht dir nicht zu gelingen, die Gedanken für immer zu bannen, - der Kampf mit ihnen dient nur dem einen Zweck: den Zustand höheren Wachseins zu erklimmen.

 

S. 252)

Hast du diesen Zustand erlangt, naht das Reich der Gespenster, von dem ich dir bereits gesprochen habe. Gestalten, schreckhafte und solche in Strahlenglanz werden dir erscheinen und dich glauben machen wollen, sie seinen Wesen aus einer anderen Welt. – Es sind nur Gedanken in sichtbarer Form, über die du noch nicht völlig Macht besitzt!

 

Je erhabener sie sich gebärden, desto verderblicher sind sie, das Merke dir!

 

So mancher Irrglauben hat sich auf solchen Erscheinungen aufgebaut und die Menschheit in die Finsternis zurückgerissen. Trotzdem steckt hinter jedem dieser Phantome ein tiefer Sinn: sie sind nicht bloss Bilder, sie sind für dich – gleichgültig ob du ihre Symbolische Sprache verstehst oder nicht – die Merkmale der geistigen Entwicklungsstufen, auf denen du dich befindest.

 

Die Verwandlung deiner Mitmenschen in Gespenster, von der ich dir sagte, dass sie auf diesen Zustand folgen wird, birgt, wie auf geistigem Gebiet, zugleich ein Gift und eine Heilkraft in sich.

 

Bleibst du dabei stehen, die Menschen nur für Gespenster zu halten, so trinkst du bloss das Gift und wirst wie jener, von dem es heisst:, „hat er die Liebe nicht, bleibt er leer wie tönendes Erz“. Findest du aber den „tieferen Sinn“ der in jedem dieser Menschenschemen verborgen liegt, so siehst du mit den Auge des Geistes nicht nur ihren lebendigen Kern, sondern auch deinen. Dann wir dir alles, was dir genommen worden, tausendfach zurückgegeben wie dem Hiob; dann bist du – wieder da, wo du warst, wie die Törichten so gerne höhnen: - sie wissen nicht, dass es ein anderes ist, wieder heimzukehren, wenn man lang in der Fremde war, als immer zu Hause geblieben zu sein.

 

Ob dir, wenn du so weit vorgedrungen bist, jene Wunderkräfte, die die Propheten des Altertums besessen haben, zuteil werden, oder du statt dessen in den ewigen Frieden eingehen darfst, dass weiss niemand.  Solche Kräfte sind ein freies Geschenk derer, die die Schlüssel dieser Geheimnisse bewahren.

 

S.253)

Wenn du sie bekommst um sie zu handhaben, geschieht es nur der Menschheit wegen, die solcher Zeichen bedarf.

 

Unser Weg führt bloss bis zur Stufe der Reife, - bist du zu ihr gelangt, so bist du auch würdig, jenes Geschenk zu erhalten; ob man es dir gibt? Ich weiss nicht.

Ein Phönix aber wirst du geworden sein – so oder so; dies zu erzwingen, steht in deiner Hand.

 

Ehe ich jetzt von dir Abschied nehme, sollst du noch erfahren, aus welchem Zeichen du erkennen kannst, ob du einst in der Zeit der „grossen Tag- und Nachtgleiche“ berufen sein wirst, die Gabe der Wunderkräfte zu bekommen. Höre:

Einer von denen, die die Schlüssel der Geheimnisse der Magie bewahren, ist auf der Erde zurückgeblieben und sucht und sammelt die Berufenen.

So wie er nicht sterben kann, kann auch die Sage, die über ihn im Umlauf  ist, nicht sterben. –

 

Die einen munkeln, er sei der „Ewige Jude“; die anderen nennen ihn Elias; die Gnostiker behaupten er wäre Johannes der Evangelist; - aber jeder, der ihn gesehen haben will, schildert seine Aussehen anders. Lass dich dadurch nicht beirren, falls du Menschen in der spriessenden Zeit der Zukunft begegnen solltest, die auf solche Art von ihm erzählen.

 

Es ist nur natürlich, das jeder ihn anders sieht: - ein Wesen wie er, das seinen Leib in Geist  verwandelt hat, kann an keine starre Form mehr gebunden sein. Ein Beispiel wir dir erklären, dass auch seine Gestalt uns sein Gesicht nur Bilder sein können – gespenstischer Schein, sozusagen, für das, was er in Wahrheit ist:

 

S. 254)

Nimm an er erscheine dir als ein Wesen von grüner Farbe. Grün ist an sich keine wirkliche Farbe, trotzdem du sie sehen kannst, - sie ist aus einer Mischung von Blau und Gelb entstanden.  – Wenn du Blau und Gelb miteinander innig vermengst, erhältst du Grün.

 

Jeder Maler weiss das, - das aber die Welt, die man um sich sieht, geleicherweise in den Zeichen der „grünen“ Farbe steht und in Wahrheit nicht das ist, was sie zu sein scheint, nämlich gelb und blau, - das wissen die wenigsten.

 

Erkenne du aus diesem Beispiel, dass er, wenn er dir als ein Mann mit grünem Antlitz begegnen sollte, sein wahres Gesicht dir trotzdem noch immer nicht offenbar ist.

 

Wenn du ihn siehst als den, der er in Wirklichkeit ist: als ein geometrisches Zeichen – als ein Sigill am Himmel, das kein anderer schauen kann als du allein, - dann wisse: du bist berufen zum Wundertäter.

 

Mir ist er begegnet als leibhaftiger Mensch, und ich habe meine Hand in seine Seite legen dürften.

 

Sein Name war - - - - - - - - - - - - - -

 

Hauberisser erriet den Namen; er stand auf dem Blatt, das er beständig bei sich trug, - es war der Name, der ihm immer wieder entgegensprang:

Chidher Grün. 

Fortsetzung folgt