S.
256)
..Anfangs hatte er die Übung des Stillsitzens gemacht, wann sie ihm gerade
einfiel, eine Stunde, oder länger oder kürzer, und war daran gegangen teils
neugierig, teils mit der innerlich ungläubigen Miene eines Menschen, der im
Grunde seiner Seele das beständige, nüchterne:“Es führt ja doch zu nichts“
wie ein Wahlspruch der Erfolgslosigkeit mit sich herum schleppt.
Eine Woche später hatte er die Übung zwar auf eine Viertelstunde am Morgen
beschränkt, aber er machte sie mit dem Aufgebot aller Kraft um ihrer selbst
willen und nicht mehr in der ermüdenden und jedesmal enttäuschten Erwartung,
es müsse sich irgend etwas wunderbares begeben.-
Bald wurde sie ihm unentbehrlich wie ein erfrischendes Bad, auf das er sich
schon freute, wenn er sich abends niederlegte……
S.257)
.. Er hatte sich der Vorschrift gemäss aufrecht hingesetzt und einen Zustand
des höheren Wachseins zu erzwingen getrachtet, um der unerträglichen Folter
der Gramgedanken wenigstens für einen Augenblicke zu entrinnen, - und wider
Erwarten war es ihm gleich beim erstenmal merkwürdig gut gelungen. -…..
… Was früher Schmerz gewesen, hatte sich urplötzlich in eine Quelle der
Freude verwandelt.
So hatte er durch die Übung eine Zufluchtsstätte in seinem Inneren
geschaffen, in die er sich jederzeit zurückziehen konnte, um immer neue
Zuversicht und jenes geheimnisvolle Wachstum zu finden, das denen, die es
nicht aus Erfahrung kennen lernen, das ganze Leben hindurch, so oft sie auch
davon hören, ein totes, leeres Wort bleiben wird…….
S.258)
… Es kamen, je mehr er sich von der Aussenwelt zurückzog, mitunter Stunden
eines so tiefen Glückes über ihn, wie er es niemals für möglich gehalten
hätte, in denen sich Erkenntnis an Erkenntnis reihte und immer klarer und
klarer begriff, dass es wirkliche Wunder innerer Erlebnisse gab, denen die
sich die Vorgänge des äusseren Daseins nicht nur scheinbar, wie er früher
stets gedacht, sondern tatsächlich wie Schatten zu Licht verhielten.
Das Gleichnis vom Phönix als dem Adler der ewigen Verjüngung wurde ihm
täglich eindrucksvoller – erschloss ihm immer neue Bedeutung – liess ihn den
merkwürdigen Unterschied zwischen lebendigen und toten Symbolen in
ungeahnter Fülle erfassen.
Alles was er suchte, schien in diesem unerschöpflichen Sinnbild enthalten zu
sein.
Es löste ihm Rätsel wie ein allwissendes Wesen das er nur zu befragen
brauchte, um die Wahrheit zu erfahren.
S.259)
So hatte er zum Beispiel bei seinen Bemühungen, Herr über das Kommen und
Gehen seiner Gedanken zu werden bemerkt, dass es ihm manchmal vortrefflich
gelang, aber wenn er dann glaubte, die Art und Weise wie er es zuwege
gebracht, genau zu wissen, fand er am nächsten Tag keine Spur mehr von
Erinnerung daran in sein Gedächtnis vor. Es war wie ausgewischt in seinem
Hirn und er musste scheinbar wieder von vorne anfangen, um eine neue Methode
zu ersinnen.-
„Der schlummer des Körpers hat mich der gepflückten Frucht beraubt“, hatte
er sich in solchen Fällen gesagt und um dem vorzubeugen, beschlossen, sich
nicht mehr schlafen zu legen, so lange es irgend ginge, bis er eines Morgens
von dem Einfall erhellt wurde, dass dieses sonderbare verschwinden aus
seiner Erinnerung nichts anderes war als die „Verbrennung zur Asche“, aus
der der Phönix immer wieder verjüngt erstehen müsse, - das es irdisch und
vergänglich sei sich Methoden zu schaffen und merken zu wollen – das nicht
ein zustande gebrachtes Gemälde das Wertvolle ist wie Pfeill es in Hilversum
ausgedrückt hatte, sondern das Malen können.
Seit er diesen Einblick gewonnen hatte, war ihm die
Bewältigung der Gedanken ein beständiger Genuss geworden, statt ein
erschöpfendes Ringen zu sein, und er klomm von Stufe zu Stufe, ohne es zu
bemerken, bis er plötzlich zu seinem Erstaunen wahrnahm, dass er bereits den
Schlüssel zu seiner Herrschaft besass, von deren blossen Möglichkeit er sich
nicht einmal
hatte träumen lassen. – „Es ist als wäre ich
bisher von Gedanken umschwärmt gewesen wie von Bienen, die sich von mir
Futter holten“ -
hatte er es Swammerdam erklärt, mit dem er sich
damals noch über derlei innere Erlebnisse auszusprechen pflegte – „jetzt
kann ich sie ausserdem mit meinem Willen und sie kommen mit Einfällen wie
mit Honig beladen zurück. Früher haben sie mich beraubt, - jetzt bereichern,
sie mich.
S.260)
Fast in denselben Worten las er zufällig eine Woche später einen ähnlichen
geistigen Vorgang in der Tagebuchrolle geschildert und erkannte daraus zu
seiner Freude, dass er, ohne belehrt worden zu sein, den richtigen Weg zur
Entwicklung eingeschlagen hatte……..
… Er hatte sich zwar in seinem Urteil nicht geirrt,
,
da das, was unter dem Namen Mystik in aller Mund war, wirklich nichts
anderes bedeutete
als ein Umhertappen im Nebel, aber jetzt sah er
ein, dass es auch einen wahren mystischen Zustand gab, - schwer zu finden
und noch schwerer zu erringen – der nicht nur hinter der Wirklichkeit der
täglichen Daseinserfahrung
nicht zurückblieb, sondern sie an Lebendigkeit
weit übertraf. –
S. 261)
Wenn er die Augen schloss, wogten Farben wie Wolken und hinter seinen
Lidern, lösten sich auf und ballten sich wieder zusammen; er wusste aus den
Erfahrungen, die er gesammelt, dass sie der Stoff waren, aus dem er sich
Bilder schaffen konnte, wenn er wollte, - Bilder, die anfangs starr und
leblos schienen, dann aber, wie von einer rätselhaften Kraft beseelt, ein
selbständiges Leben bekamen, als seien sie Wesen gleich ihm.
Vor wenigen Tagen war es ihm zum erstenmal geglückt,
auch Evas Gesicht in dieser Weise zu formen und lebendig zu machen, und er
hatte geglaubt, auf dem richtigen Wege zu sein, auf eine neue geistige Art
mit ihr zusammenzukommen, bis er sich an die Stelle in der Tagebuchrolle
über die Halluzinationen der Hexen erinnerte
und begriff, dass hier das uferlose Reich der Gespenster begann, in das er
nur einzutreten brauchte, um nie wieder zurückzufinden.
Je
mehr seine Kraft, die verborgenen unerkannten Wünsche seines Inneren in
Bilder umzugestalten, wuchs, desto grösser, fühlte er, musste auch die
Gefahr für ihn werden, auf einen Pfad abzuirren, von dem es keine Heimkehr
gab……
S.262)
….Er sandte Gedanken aus, damit sie mit neuen
Eingebungen, wie er es anzufangen hätte, beladen zu ihm zurückkehren
möchten; er wusste aus seinen Fortschritten in den letzten Wochen, dass
diese Methode des Aussenden von Fragen und beharrlichen Wartens auf Antwort
– dieses klarbewusst Wechseln von aktivem und passivem
Zustand – selbst dann nicht zu versagen
brauchte, wenn es sich um Dinge handelte, die durch logischen Denkprozess
herauszufinden unmöglich war.
S.263)
Einfall auf Einfall schoss ihm durch den Kopf, einer krauser und
phantastischer als der andere; er prüfte sie mit der Waage seines Gefühls:
jeder wurde zu leicht befunden.
Wieder war es der Schlüssel des „Wachseins“, der das verborgene Schloss
aufsperren half.
Nur musste diesmal – erriet er instinktiv – sein Körper und nicht das
Bewusstsein allein zu höherer Lebendigkeit erregt werden; im Körper lagen
die magischen Kräfte schlafend, sie musste er erwecken, wenn er auf die
stoffliche Welt einwirken wollte. …..
Er legte – wie unter einer Eingebung – die Hände auf die Knie und setzte
sich aufrecht hin in der Stellung der ägyptischen Götterstatuen, die mit dem
unbeweglichen Ausdruck ihrer Gesichter ihm plötzlich als die Sinnbilder
magischer Gewalt erschienen, - zwang seinen Körper zu totenhafter Ruhe und
schickte zugleich einen erregenden Feuerstorm von Willenskraft durch jede
Faser seines Leibes……..
S.271)
„Fürchte dich nicht, ich kann nicht mehr von dir gehen, Geliebter. – Die
Liebe ist stärker als der Tod……
S.274)
„ Willst du ins Reich der Toten gehen, um die
Lebendigen zu suchen? – Chidher Grün stand vor ihm, wie einst im Laden in
der Jodenbuurt: mit schwerem Talar und weissen Schläfenlocken. – Glaubst du,
„drüben“ ist die Wirklichkeit? Es ist nur das Land vergänglicher Wonnen für
blinde Gespenster, so wie die Erde das Land vergänglicher Schmerzen für die
blinden Träumer ist! Wer nicht auf der Erde das
‚Sehen‘ lernt, drüben lernt er’s gewiss nicht.
– Meinst du, weil ihr Körper wie tot liegt,“- er deutete auf Eva – „ könne
sie nicht mehr auferstehen? Sie ist lebendig, nur du bist noch tot. Wer
einmal lebendig geworden ist wie sie, kann nicht mehr sterben, - wohl aber
kann einer, der tot ist wie du, lebendig werden.“-
Er griff nach den beiden Lichtern und stellte sie um: das linke nach rechts
und das rechte nach links, und Hauberisser fühlte sein Herz nicht mehr
schlagen, als sei es plötzlich aus der Brust verschwunden. – „So wirklich,
wie du jetzt deine Hand in meine Seite legen kannst, so wirklich wirst du
mit Eva vereint sein, wenn du erst das neue geistige Leben hast. - - Dass
die Menschen glauben werden, sie sei gestorben, . was braucht’s dich zu
kümmern? – Man kann von den Schlafenden nicht verlangen, dass sie die
Erwachten sehen.
Du hast nach der vergänglichen Liebe gerufen“ – er wies nach der Stelle, wo
das enthauptete Kreuz gestanden hatte, fuhr mit dem Fuss über den
vermoderten Fleck im Boden und der Fleck verschwand, - ich habe dir die
vergängliche Liebe gebracht, denn ich bin nicht auf der Erde geblieben, um
zu nehmen: ich bin geblieben, um zu geben – jedem das, wonach er sich sehnt.
Nur wissen die Menschen nicht, wonach ihre Seele sich sehnt, wüssten sie’s,
so wären sie sehend.
S.275)
Du hast im Zauberladen der Welt nach neuen Augen begehrt, um die Dinge der
Erde in einem neuen Licht zu sehen – erinner dich: habe ich dir nicht
gesagt, du müsstest dir erst die alten Augen aus dem Kopfe weinen, ehe du
neue bekommen könntest?
Du hast nach Wissen begehrt: ich habe dir das Tagebuch eines der Meinigen
gegeben, der hier in diesem Hause gelebt hat, als sein Köper noch verweslich
war. Eva hat sich nach unvergänglicher Liebe gesehnt: ich habe sie ihr
gegeben – und werde sie um ihretwille auch dir geben. Die vergängliche Liebe
ist eine gespenstische Liebe.
Wo ich auf Erden eine Liebe keimen sehe, die über die Liebe zwischen
Gespenstern hinauswächst, da halte ich meine Hände wie schirmende Äste über
sie zum Schutz gegen den früchtepflückenden Tod, denn ich bin nicht nur das
Phantom mit dem grünen Gesicht – ich bin auch Chidher, der Ewig gründende
Baum.“
S.276)
… „ Seien Sie ohne Sorge um ihn, Herr Baron! – Die Verzweiflung kann nicht
mehr an ihn heran; Eidotter würde sagen: die Lichter in ihm sind
umgestellt.“…
S.278)
... „Die Frage mit dem Paradies ist ein zweischneidiges Schwert. Man kann
damit so manchen unheilbar verwunden, wenn man ihm sagt, dass drüben nur
Bilder sind.“….
S.280)
….“Freilich freilich. Es kommt daher, - weil Ihre Erkenntnis aus dem Denken
entstehen und nicht aus dem „Inneren Wort“. Den eigenen Erkenntnissen
misstrauen wir heimlich, ohne es zu wissen, deshalb sind sie grau und tot, -
die Eingebungen durch das Innere Wort dagegen sind lebendige Geschenke der
Wahrheit, die uns unsäglich erfreuen -
Immer wieder, so oft wir uns an sie erinnern.
Seit ich den ‚Weg‘
gehe, hat das Innere Wort nur wenige mal zu mir
gesprochen
: - aber es hat dadurch mein ganzes Dasein erhellt.“
S.281)
… Ich habe niemals eine sogenannte ‚überirdische‘ Erscheinung gehabt – nur
eimal im Schlaf: das Bild meiner Frau, als ich einen grünen Käfer suchte. –
Ich habe niemals begehrt, Gott zu schaun‘, niemals ist ein Engel zu mir
gekommen, wie zu Klinkherbogk – ich bin nie dem Propheten Elias begegnet wie
Lazarus Eidotter, - aber tausenfach hat mir alles das die Lebendigkeit des
Bibelwortes ersetzt:, Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!‘- Es ist
an mir zur Wahrheit geworden. Ich habe geglaubt, wo nichts zu glauben war,
und habe gelernt, Dinge für möglich zu halten, die unmöglich sind.
S.282)
Manchmal fühle ich: es steht Einer neben mir, riesengross und allmächtig, -
oder ich weiss: er hält seine Hand über Den oder Jenen; ich sehe und höre
ihn nicht, aber ich weiss: Er ist da.
Ich hoffe nicht, dass ich ihn jemals sehen werde – aber ich hoffe auf ihn……
S.292)
Der Begriff „seelischer Schmerz“ war für ihn ein leeres Wort geworden und
hatt die Macht über sein Gefühlsleben verloren….
S.293)
…Weil mir die Menschen wie Gespenster erschienen, die blind durchs Dasein
irren, - weil sie mir wie Raupen vorkommen, die über den Boden kriechen und
nicht wissen, dass sie keimende Schmetterlinge sind, habe ich deswegen ein
Recht, mich von ihnen fernzuhalten?“
…. Und in die Menge hineinzuschreien, dass es eine Brücke gebe, die zwei
Leben – das diesseits und das Jenseits – miteinander verbindet, liess ihn in
jähem Entschluss auffahren. „ Ich würde nur Perlen vor die Säue werfen“,
überlegte er im nächsten Augenglick;“ die grosse Masse könnte mich nicht
verstehen, - sie winselt danach, dass ein Gott vom Himmel steigt, den sie
verkaufen und kreuzigen darf. – Und die wenigen Wertvollen, die nach einem
Weg suchen, um sich selbst zu erlösen, würden die auf mich hören ?..
…“Nein, so geht es nicht“, sagte er sich und sann nach,. „ Merkwürdig, je
reicher man wird an inneren Erlebnissen, desto weniger kann man anderen
davon geben; ich wandere immer weiter weg von den Menschen, bis plötzlich
die Stunde da sein wird, wo sie meine Stimme nicht mehr hören können.“…
S.294)
… Du wirst in dem Tagebuch, das dem meinigen beigeschlossen ist, eine Lehre
niedergelegt finden, die alles enthält, dessen der Mensch bedarf, um wie auf
einer Brücke in eine neue Welt voll von Wundern hinüberzuschreiten. – …..
S.295)
… Wenn meine Zeilen auch nur dazu beitragen sollten, dich in der Zuversicht
zu bestärken, dass es wirklich und wahrhaftig einen geheimen Weg gibt, der
über sterbliches Menschentum hinausführt, so hätten sie damit schon voll und
ganz ihren Zweck erfüllt……
… Schrecknisse nicht für mich, aber für die Zahllosen, die am Bau des Lebens
nicht reif geworden sind; - ich weiss nicht, ob ich die „erste Stunde“ der
neuen Zeit, die du in der Tagebuchrolle meines Vorgängers erwähnt findest,
mit leiblichen Augen schauen werde, - vielleicht ist diese Nacht meine
letzte, - aber: ob ich morgen von der Erde gehe oder erst Jahre später: ich
strecke tastend meine Hand in die Zukunft hinein nach der deinen. Fasse sie,
- so wie ich die Hand meines Vorgängers erfasst habe – damit die Kette der
‚Lehre vom Wachsein‘ nicht abreisst, und vererbe auch du deinerseits das
Vermächtnis weiter!“….
S.296)
..“Schwerer ist es, das ewige Lächeln zu erringen, als den Totenschädel zu
finden, den man in einem früheren Dasein auf den Schultern getragen hat.“….
… Als Chidher Grün von mir gegangen war, und mit ihm
auf unbegreifliche Weise auch jeglicher Schmerz um Eva, wollte ich zum Bette
treten und ihre Hände küssen,
da sah ich, dass ein Mann davor kniete, den
Kopf auf ihren Arm gelegt, und erkannte voll Staunen, in ihm meinen eigenen
Körper; ich selbst konnte mich nicht mehr sehen. Wenn ich an mir
herunterblickte, war es leere Luft, - aber gleichzeitig war der Mann vor dem
Bette aufgestanden und schaut auf seine Füsse herab, - so wie ich es an mir
zu tun glaubte. – Es war, als sei er mein Schatten, der jede Bewegung machen
musste, die ich ihm befahl……..
S.297)
…Ich fühlte mich so unendlich glücklich, dass nicht Eva, sondern eine Fremde
gestorben war, dass ich vor Freude kein Wort hervorbringen konnte.
Dann traten drei Gestalten ins Zimmer: - ich erkannte meine Freunde in ihnen
und sah, dass sie zu meinem Körper hingingen und ihn trösten wollten, aber
er war ja nur mein ‚Schatten‘ lächelte und gab keine Antwort.
Wie wäre er es auch imstande gewesen, wo er doch den Mund nicht öffnen
konnte – unfähig etwas anderes zu tun, als was ich ihm befahl.
Aber meine Freunde und alle die vielen Menschen, die
ich dann später in der Kirche und beim Begräbnis sah, waren Schemen für mich
geworden wie mein eigener Körper: - der Leichenwagen, die Pferde, die
Fackelträger, die Kränze,
- die Häuser an denen wir vorüber kamen, -
der Friedhof, der Himmel, die Erde und die
Sonne; alles war Bildwerk ohne inneres Leben, farbig wie ein Traumland, in
das ich hineinblickte – froh und glücklich, dass es mich nichts mehr anging.
S.298)
…Seitdem ist meine Freiheit immer grösser geworden, und ich weiss, dass ich
über die Schwelle des Todes hinausgewachsen bin; ich sehe bisweilen meinen
Körper des nachts schlafen liegen, höre seine gleichmässigen Atemzüge. – und
bin doch dabei wach; er hat die Augen geschlossen und dennoch kann ich
umherschauen und überall sein wo ich will. Wenn er wandert, kann ich ruhen
und – wenn er ruht, kann ich wandern. – Aber ich kann auch mit seinen Augen
sehen und mit seinen Ohren hören, wenn es mir beliebt, nur ist dann alles
ringsum trüb und freudearm und ich bin dann wieder wie die anderen Menschen:
ein Gespenst im Reich der Gespenster.
Mein Zustand, wenn ich vom Leibe losgelöst bin und ihn wahrnehme wie einen
automatisch meinem Geheiss gehorchenden Schatten, der am Scheinleben der
Welt teilnimmt, ist so unbeschreiblich seltsam, dass ich nicht weiss, wie
ich ihn dir schildern soll.
Nimm an du sässest in einem Kinematographen-Theater, -
Glück im Herzen, weil dir kurz vorher eine grosse
Freude
begegnet ist, - und sähest auf einen Film deiner eigenen Gestalt zu, wie sie
von Leid zu Leid eilt, am Sterbebette einer geliebten Frau zusammenbricht,
von der du weisst, dass sie nicht tot ist, sondern zu Hause auf dich wartet,
- hörtest dein Bild auf der Leinwand mit deiner eigenen Stimme,
hervorgerufen durch eine Sprechmaschine, Schreie des Schmerzes und der
Verzweiflung ausstossen, - - würde dich dies Schauspiel ergreifen? –
Es ist nur ein schwaches Gleichnis, das ich dir damit geben kann; ich
wünsche dir, dass du es erlebest.
S. 299)
Dann wirst du auch wissen, so wie ich es jetzt weiss, dass es eine
Möglichkeit gibt, dem Tod zu entrinnen.
Die Stufe, die zu erklimmen mir geglückt ist, ist die grosse Einsamkeit, von
der das Tagebuch meines Vorgängers spricht; sie würde für mich vielleicht
noch grausamer sein als das irdische Leben, wenn die Leiter, die aufwärts
führt, damit zu Ende wäre, aber die jubelnde Gewissheit, dass Eva nicht
gestorben ist, hebt mich darüber hinaus. …..
.. Es gibt eine unsichtbare Welt, die die sichtbare durchdringt; eine
Gewissheit sagt mir: Eva lebt in ihr wie in einer verborgenen Wohnung und
wartet auf mich. Sollte dein Schicksal ähnlich dem meinen sein und du hast
einen geliebten Menschen auf Erden verloren, so glaube nicht, dass du ihn
auf andere Weise wiederfinden kannst, als dadurch, dass du den ‚Weg des
Erwachens‘ gehst…
Denke daran, was mir Chidher gesagt hat: Wer nicht auf der Erde das Sehen
lernt, drüben lernt er’s gewiss nicht‘ –
Hüte dich vor der Lehre der Spiritisten wie vor Gift,
- sie ist die furchtbarste Pest, die jemals die Menschen befallen hat; auch
die Spiritisten behaupten, mit den Toten verkehren zu können,
- sie glauben, die Toten kämen zu ihnen; - es
ist eine Täuschung. – es ist gut, dass sie nicht wissen wer die sind, die da
kommen. Wenn sie’s wüssten, würden sie sich entsetzen.
S.300)
Erst musst du selber unsichtbar werden können, ehe du den Weg findest, zu
den Unsichtbaren zu gehen und hier und drüben zugleich zu leben, - so wie
ich unsichtbar geworden bin – sogar für die Augen meines eigenen Körpers.
Ich bin selber noch nicht so weit, als dass mir der Blick für die jenseitige
Welt erschlossen wäre, dennoch weiss ich: die, die blind von der Erde
gegangen sind, sind nicht drüben; sie sind wie in der Luft verklungene
Melodien, die durch den Weltraum wandern, bis sie wieder auf Seiten treffen,
auf denen sie von neuem ertönen können; - das, wo sie zu sein glauben, ist
kein Ort: es ist eine raumlose Trauminsel von Schemen, weit weniger wirklich
noch als die Erde.
In Wahrheit unsterblich ist nur der erwachte Mensch; Sonne und Götter
vergehen, - er allein bleibt und kann alles vollbringen, was er will. Über
ihm ist kein Gott.
Nicht umsonst heisst unser Weg: ein heidnischer Weg. Was der Fromme für Gott
hält, ist nur ein Zustand den er erreichen könnte, wenn er fähig wäre, an
sich selbst zu glauben, - so aber zieht er sich in unheilbarer Blindheit
eine Schranke, die er nicht zu überspringen wagt, - er schafft sich ein
Bild, um es anzubeten, anstatt sich darein zu verwandeln.
Willst du beten, so bete zu deinem unsichtbaren Selbst; es ist der einzige
Gott, der Gebete erhört: die anderen Götter reichen dir Steine statt Brot.
S.301)
Unglücklich, die, die zu einem Götzen beten und ihr Flehen wird erhört: sie
verlieren dadurch ihr Selbst, da sie nie wieder zu glauben vermögen, dass
nur sie selber es waren, die sich erhört haben.
Wenn dein unsichtbares Selbst als Wesenheit in dir
erscheint, so kannst du es daran erkennen, dass es einen Schatten wirft: ich
wusste auch nicht früher, wer ich bin, bis ich meinen eigenen Körper als
Schatten sah. Eine Zeit, in der die Menschheit leuchtende Schatten werfen
wird und nicht mehr schwarze Schandflecken auf die Erde wie bisher, will
dämmern, und neue Sterne zeihen herauf. Trag du auch dazu bei, bei dass
Licht wird!“
S.317)
…Einen Augenblick lang glückte es ihm wieder: er sah seinen Körper als
schattenhaftes, fremdes Geschöpf am Fenster lehnen, aber die Welt draussen,
trotz ihrer Verwüstung, war nicht mehr ein gespenstisches, totes Bild wie
früher in solchen Zuständen: eine neue Erde, durchzittert von Lebendigkeit,
bereitete sich vor ihm aus-
… Im nächsten Moment war Hauberisser wieder mit seinem Körper vereinigt und
sah in den heulenden Sturm hinein, aber er wusste, dass sich hinter dem Bild
der Zerstörung das neue verheissungsvolle Land verbarg, das er soeben mit
den Augen seiner Seele geschaut hatte.
S.321)
…Er erkannte deutlich die kahlen, schmucklosen Wände seines Zimmers, und
doch waren es zugleich die Wände eines Tempels mit Fresken ägyptischer
Göttergestalten bemalt; er stand mitten darin – beides war Wirklichkeit; er
sah die hölzernen Dielen des Bodens und zugleich waren es steinerne
Tempelfliesen, - zwei Welten durchdrangen einander – in eine verschmolzen
und doch voneinander getrennt…..
.. Ein neues Bewusstsein war zu seinem gewohnten, menschlichen, das er
bisher besessen, dazu getreten – hatte ihn mit der Wahrnehmung einer neuen
Welt bereichert, die die alte in sich schlang, berührte, verwandelte und
dennoch auf wunderbare Weise fortbestehen liess….
… Allmählich begriff er, dass er das Ziel des Weges, den zu Ende zu gehen
der verborgene Daseinszweck jedes Menschen ist, erreicht hatte: ein Bürger
zweier Welten zu sein,…
S.323)
… „Helft wie ich, den kommenden Geschlechtern ein
neues Reich aus den Trümmern des alten wieder aufzubauen,“ fühlte er einen
Gedanken, als sei es die Stimme Chidhers, sagen, „ damit die Zeit anbricht,
in
der auch ich lächeln darf.“
S.324)
… Wie ein Januskopf konnte Hauberisser in die
jenseitige Welt und zugleich in die irdische Welt hineinblicken und ihre
Einzelheiten und Dinge klar unterscheiden:
er war hüben und drüben
ein lebendiger Mensch.